Pionierarbeit für den Klimaschutz
Wie viele Treibhausgasemissionen fallen in einem Krankenhaus an? Wo sind die größten Hebel zu mehr Klimaschutz? An welchen Stellen lassen sich klimaschädliche Emissionen einsparen? Diese Fragen können jetzt endlich umfassend beantwortet werden. Ein CO₂-Rechner, entwickelt vom Öko-Institut und der Uniklinik Freiburg, hilft Krankenhäusern, verschiedene Emissionstypen standardkonform zu erfassen, um so eine eigene Treibhausgasbilanz zu erstellen – das Excel-Tool ist kostenlos und seit Ende Mai für Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen frei verfügbar.
Das Tool basiert auf dem international standardisierten „Greenhouse Gas (GHG) Protocol“ und berücksichtigt sowohl direkte als auch indirekte Emissionen durch Treibhausgase. Das GHG Protocol („Treibhausgas-Protokoll“) dient der Bilanzierung von CO₂-Emissionen und gilt unter anderem wegen seiner Prinzipien und seiner drei Beobachtungsstufen (Scopes) als wichtigster und verbreitetster Standard für die Treibhausgas-Berechnung von Organisationen – bislang allerdings vor allem auf Unternehmensebene. Nur drei Prozent der Kliniken in Deutschland erfüllen derzeit die Anforderungen des GHG Protocol.
So umfasst „Scope 1“ die direkten CO₂-Emissionen wie eigene Anlagen oder Gebäude, „Scope 2“ den indirekten Ausstoß von Treibhausgasen, etwa aus der Nutzung von extern bereitgestellten Energieträgern zum Beispiel für Wärme und Kühlung, und „Scope 3“ schließlich CO₂-Emissionen, die durch Lieferketten oder Dienstleistungen entstehen. Berücksichtigt werden dabei auch Medikamentenherstellung sowie Produktion, Verpackung und Transporte nicht nur von Hygienemitteln, sondern auch von medizinischem Verbrauchsmaterial, Arzneien und Lebensmitteln.
Warum es beim Klimaschutz in den Praxen hakt
Den befragten Ärzten zufolge hat der Deutsche Ärztetag 2022 seine Beschlüsse zum Klimaschutz kaum realisiert. Zwar sei der Anteil an Ärzten, die Klimaschutzmaßnahmen im Job umsetzen, teils gestiegen, dennoch stoßen Mediziner an die Grenzen von Hygienevorschriften, Einkaufs- und Vergütungssystemen. Das Gros fordert daher bessere Rahmenbedingungen und wünscht sich dabei Unterstützung von ihren Standesorganisationen und Fachgesellschaften. So halten acht von zehn Ärzten Leitlinien und Empfehlungen zu nachhaltigen Arbeitsweisen und zum klimabewussten Umgang mit Medizinprodukten für sinnvoll. Bestehende Angebote sind zudem vielen Ärzten gar nicht bekannt.
Auch beim Hitzeschutz gibt es in den Praxen offenbar kaum Fortschritte, obwohl die Mehrheit der Ärzte gesundheitliche Folgen von Hitze bei ihren Patienten beobachtet. Hier berichtet fast die Hälfte der Befragten, dass auf ihrer Arbeit keine Maßnahmen vorgenommen werden, wie gezieltes Lüften, Verschattung oder die Verschiebung von Sprechzeiten in die Morgen- oder Abendstunden.
Das von der Deutschen Allianz Klimawandel und Gesundheit (KLUG) gegründete „Centre for Planetary Health Policy“ (CPHP) befragte im Auftrag der Stiftung Gesundheit vom 9. bis zum 23. März 433 Ärztinnen und Ärzte. Davon waren zwei Drittel männlich, das Durchschnittsalter betrug 61 Jahre. 61 Prozent waren niedergelassen, 35 Prozent in der Klinik und 4 Prozent in einem MVZ angestellt.
Besonders bei Scope 3 liegen im Gesundheitsbereich jedoch zu wenige Daten vor, sagt Prof. Dr. Andy Maun, Direktor des Instituts für Allgemeinmedizin des Uniklinikums Freiburg und Leiter des sogenannten CAFOGES-Projekts (Carbon Footprint im Gesundheitswesen), das das Excel-Tool entwickelt hat. Und das sei ein gravierendes Problem: Denn der in Scope 3 anfallende Ausstoß klimaschädlicher Treibhausgase mache häufig den Großteil der Emissionen eines Unternehmens aus, und spiele dann in der CO₂-Kalkulation keine oder eine nur geringe Rolle. Hier sei es noch ein weiter Weg zu einer lückenlosen Klimabilanz.
Genau diese Lücke wollten die Forscher mit ihrem Excel-Tool schließen – am Beispiel des Uniklinikums Freiburg wurde eine erste Datengrundlage erstellt. „Wir haben exemplarisch die CO₂-Bilanz von Produkten und Prozessen im Universitätsklinikum hochgerechnet. Damit stellt unser Ansatz eine wissenschaftliche und frei verfügbare Ergänzung zu den üblichen Top-Down-Methoden dar, deren Berechnungen meist nur auf Finanzdaten beruhen“, so Maun. Der Rechner werde zudem kontinuierlich weiterentwickelt, um ihn präziser und nutzerfreundlicher zu gestalten.
Im Gesundheitswesen mehr Emissionen als in der Luftfahrt
Für Freiburg liegen die Zahlen nun Schwarz auf Weiß vor: Die Emissionen des Universitätsklinikums beliefen sich demnach im Untersuchungsjahr 2019 auf 104.000 Tonnen CO₂-Äquivalente. Das entsprach bei 1.616 Betten einem CO₂-Ausstoß von 64,36 Tonnen CO₂ pro Krankenhausbett. Mit rund 53.000 Tonnen CO₂-Äquivalenten entsteht der größte Anteil bei Herstellung, Transport und Nutzung von Gütern und Dienstleistungen, die das Universitätsklinikum einkauft. Bei der Eigenproduktion von Wärme, Kälte und Strom, die im Klinikum genutzt werden, entstehen etwa 33.000 Tonnen CO₂-Äquivalente. Etwa 5.000 Tonnen der Emissionen entfallen auf Transporte von Patienten. Zusätzlich entstehen bei der Produktion von Fernwärme für weitere Landeseinrichtungen wie die Universität Freiburg im Heizkraftwerk des Klinikums rund 41.000 Tonnen Treibhausgase.
Das Universitätsklinikum Freiburg treibt laut eigenen Aussagen den Umbau zum nachhaltigen Krankenhaus bereits seit vielen Jahren voran: Nach eigener Aussage werden durch die Nutzung von Motor- und Abgaswärme im Heizkraftwerk jährlich rund 5.000 Tonnen CO₂ eingespart. Besonders klimaschädliche Narkosegase sind komplett ersetzt worden, und das Tumorzentrum wird mit Schwarzwaldgrundwasser gekühlt. Der Einsatz von regionalem Holz als Baustoff und der Ausbau großer Photovoltaik-Anlagen tragen ebenfalls zur Ressourcenschonung bei.
„Wir sind auf einem guten Weg zum nachhaltigen Klinikum, aber wir haben auch noch viel vor uns“, sagt Prof. Dr. Frederik Wenz, Leitender Ärztlicher Direktor des Universitätsklinikums Freiburg. „Mit dem CO₂-Rechner und der Veröffentlichung unserer CO₂-Bilanz gehen wir wichtige Schritte, um den Gesundheitssektor insgesamt nachhaltiger zu machen. Nur wenn die Krankenhäuser die zentralen Stellschrauben kennen, können sie konkret etwas verändern. Damit schaffen wir Transparenz und ermöglichen den Vergleich zwischen Kliniken“, so Wenz weiter.
Alexander Bonde, Generalsekretär der Deutschen Bundesstiftung Umwelt, die das CAFOGES-Projekt mit 125.000 Euro förderte, nennt die Leistung der Freiburger Forscher „echte Pionierarbeit“: „Denn die Daten und das Tool liefern die Option, den Ausstoß von Treibhausgasen größtmöglich zu bilanzieren. Erst dann weiß man, mit welchen Stellschrauben klimaschädliche Emissionen vermieden werden können.“