Deutscher Zahnärztetag in Hamburg

Die Medizin in der Zahnmedizin

Der Deutsche Zahnärztetag stand unter dem Motto „DGMKG meets DGZMK – Wie viel Medizin steckt in der Zahn­medizin“ und fand vom 14. bis zum 17. Juni statt. Rund 1.600 MKG-ChirurgInnen, Zahnärztinnen und Zahnärzte hatten sich auf den Weg nach Hamburg gemacht, um mehr über die Verbindung der Fachdisziplinen unter dem Begriff der „oralen Medizin“ zu erfahren.

Nach drei Jahren Corona-Abstinenz fand der Deutsche Zahnärztetag wieder in Präsenz statt. In dieser Zeit hat sich einiges getan – die gesellschaftliche und auch die zahnmedizinische Welt präsentieren sich heute sichtlich verändert im Vergleich zu 2019. Sichtbar war das bereits bei der Begrüßung durch Prof. Dr. Dr. Jörg Wiltfang (Kiel), Präsident der Deutschen Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde (DGZMK). Zahlreich erschienen wie selten zuvor waren die Vertreter der Wehrmedizin. Im November 2019 noch undenkbar tobt heute ein Krieg in Europa, der täglich hunderte Tote und Verletzte fordert. MKG- und Oralchirurgie – einst aus der Kriegsmedizin entstanden – rücken heute mit der Behandlung von Kriegsverletzungen wieder in den gesellschaftlichen und in den medizinischen Fokus.

In der Pressekonferenz im Vorfeld des Kongresses hatte Prof. Dr. Dr. Alexander Schramm (Bundeswehrkrankenhaus Ulm) über die Versorgung verletzter ukrainischer Soldaten berichtet. Viele haben Schuss- oder Explosionsverletzungen im Kopf-, Hals- und Gesichtsbereich. Erstversorgt in der Ukraine liegt der Fokus der Weiterbehandlung hierzulande vor allem auf der funktionellen Wiederherstellung. Aber auch ästhetische Belange werden dabei adressiert. In der Therapie geht es dann sowohl darum, dass die Zähne mit Implantaten wieder funktionsfähig hergestellt werden als auch um die möglichst substanzerhaltende Behandlung des verletzten Gewebes. Dabei kann das gesamte Spektrum moderner Behandlungsmethoden in interdisziplinären Teams zum Einsatz gebracht werden. „Unsere bisherigen Erfahrungen zeigen, dass wir in Deutschland auch auf die Behandlung komplexer Kriegsverletzungen gut vorbereitet sind. Dennoch müssen das wehrmedizinische Wissen und die Versorgungen im Katastrophenfall nun mehr in die Breite gebracht werden – etwa durch entsprechende Fortbildungen“, sagte Schramm.

Bleibt gute Versorgung noch finanzierbar?

Grundlegend verändert seit 2019 hat sich auch die wirtschaftliche Lage der Krankenversicherungen und der Praxen. Bei allen Akteuren im Gesundheitswesen gilt es inzwischen als ausgemacht, dass schwierige Zeiten vor uns liegen. Die Überschüsse der gesetzlichen Kassen sind abgeschmolzen und werden durch Defizite und Sparbemühungen ersetzt. Das wird sich über das Finanzstabilisierungsgesetz hinaus auf die Zahnmedizin auswirken. „Die wissenschaftlichen Fachgesellschaften DGZMK und DGMKG stehen für eine qualitätsorientierte Zahnmedizin – wir haben entsprechende Leitlinien auf höchstem Niveau“, sagte Wiltfang in seiner Begrüßungsrede, stellte aber mit Blick auf das neue Finanzstabilisierungsgesetz zugleich die Frage, ob diese Qualität in der Versorgung tatsächlich umsetzbar sein wird.

Das Auseinanderklaffen zwischen Ressourcen und Versorgungsmöglichkeiten fördert die Suche nach gangbaren therapeutischen Alternativen. Wie können Patienten abseits der Hightech-Zahnmedizin suffizient versorgt werden? Das Thema beschäftigt inzwischen nicht nur Kliniker, sondern auch die Wissenschaft. Eine große, multizentrisch in Deutschland durchgeführte und über 15 Jahre gelaufene Studie (RaSDA) konnte zeigen, dass das Konzept der verkürzten Zahnreihe mit entsprechendem Monitoring durchaus ein gangbarer therapeutischer Weg ist. Die Studie wurde im Rahmen eines Symposiums von den Professoren Dörfer (Kiel), Hugger (Düsseldorf), Walter (Dresden), Reißmann (Freiburg) und Luthardt (Ulm) als Vertreter des RaSDA-Studienteams vorgestellt.

Keine parodontalen Probleme durch eine verkürzte Zahnreihe

In der RaSDA-Studie waren die Patienten randomisiert entweder nach dem Konzept der verkürzten Zahnreihe oder mit einer Geschiebeprothese zum Molarenersatz behandelt worden. Bei einzelnen Patienten erfolgte keine prothetische Therapie, während andere auf stärker reduzierten Restzahnbeständen bis hin zu nur vier Restzähnen (beide Eckzähne und je ein Prämolar rechts und links) umfassend mit festsitzendem oder kombiniertem Zahnersatz versorgt wurden. Im Ergebnis empfehlen die Studienautoren, dass der Präferenz der Patienten zugunsten einer der beiden Therapiealternativen „Verkürzte Zahnreihe“ beziehungsweise „Molarenersatz“ wenn immer möglich entsprochen werden sollte. Patienten mit bereits erfolgtem Zahnverlust haben ein erhöhtes Risiko für weiteren Zahnverlust. Ungeachtet dessen konnte die Mehrzahl über mehr als zehn Jahre erfolgreich mit dem jeweiligen Konzept behandelt werden. Bei Patienten, die zu Therapiebeginn keine Zeichen einer Craniomandibulären Dysfunktion aufweisen, besteht kein Risiko des Entstehens, wenn Molaren nicht ersetzt werden. Und auch aus parodontologischer Sicht funktioniert das Prinzip der verkürzte Zahnreihe – diese klinische Erfahrung werde nun mit der RaSDA-Studie gestützt, erläuterte Prof. Dr. Christoph Dörfer (Kiel).

Infolge der demografischen Entwicklung rückt die Seniorenzahnmedizin immer stärker in den Blick. Das zeigte sich auch auf dem Deutschen Zahnärztetag: Neben einem gut gefüllten Halbtagesprogramm der Deutschen Gesellschaft für Alterszahnmedizin (DGAZ) – unter anderem mit Vorträgen zur verkürzten PA-Strecke im Pflegeheim und zum Thema „Wie baue ich eine aufsuchende Betreuung auf? Klein anfangen und dann wachsen.“ – war die Versorgung der Senioren auch im wissenschaftlichen Hauptprogramm sehr präsent. Prof. Dr. Christoph Benz (München) und Prof. Dr. Ina Nitschke (Leipzig) gaben ein Update zur Seniorenzahnmedizin und gingen besonders auf die Situation der Pflegebedürftigen ein. Aktuell gibt es fünf Millionen pflegebedürftige Menschen in Deutschland – mit stark steigender Tendenz. Der Großteil wird ambulant betreut, stationär nur 16 Prozent. Ein großes Problem besteht darin, dass mit der Pflegebedürftigkeit oft der regelmäßige Kontakt in die Zahnarztpraxis verlorengeht – die Patienten, Pflegekräfte und Angehörigen suchen nur noch beschwerdeorientiert den Kontakt zum Zahnarzt. Nitschke empfahl daher, in der Praxis ein System zu etablieren, mit dem Senioren, die länger als ein Jahr nicht vorstellig geworden sind, wieder zu einer Kontrolluntersuchung eingeladen werden können.

Mundgesundheit ist jedoch bis ins hohe Lebensalter möglich. Das zeigt die Forschungsarbeit „Mundgesundheit von Hochbetagten und Hundertjährigen“ von PD Dr. Caroline Sekundo und Prof. Dr. Cornelia Frese (Heidelberg), die auf dem Deutschen Zahnärztetag mit dem Millerpreis 2023 ausgezeichnet wurde. Die Forscherinnen wollten wissen, welche Faktoren für eine gute Mundgesundheit im hohen Alter verantwortlich sind. Eine Wunderformel dafür scheint es aber nicht zu geben. Die untersuchten 100-Jährigen zeigten im Wesentlichen seniorentypische mundgesundheitliche Alterungserscheinungen – mit dem Unterschied allerdings, dass die Entwicklung bei ihnen 20 bis 30 Jahre später abläuft im Vergleich zu jüngeren Senioren.

Die wissenschaftliche Forschung fördert immer mehr und immer komplexere Zusammenhänge zwischen den oralen Verhältnissen und dem systemischen Gesundheitszustand zutage. Dass die Zahnmedizin mit vielen, teils schweren Allgemeinerkrankungen verknüpft ist, ist mittlerweile unbestritten. Dieses neue Wissen erfordert auch eine Weiterentwicklung der professionsethischen Betrachtungen – hierzu gab der Vortrag von Prof. Dr. mult. Dominik Groß (Aachen) Impulse.

Ethisch geboten: der Zahnarzt als Lotse

Wenn die Wissenschaft zeige, dass der Zahnarztbesuch ein enormes Potenzial bezüglich der Früherkennung nicht-oraler Krankheiten hat, dann müsse dieses Potenzial aus ethischer Sicht auch ausgeschöpft werden. Groß nannte Diabetes mellitus (Parodontitis, Schleimhauttrockenheit, Wundheilungsstörungen, erhöhte Kariesanfälligkeit, Durstgefühl, erhöhte Urinausscheidung) und akute Leukämien (Gingivahyperplasien, Blutungsneigung, blaue Flecken) als Beispiele und betonte die mögliche Lotsenfunktion der Zahnmedizin bei der Früherkennung dieser Erkrankungen. Sowohl individualethisch (Benefizienzgebot) als auch sozialethisch (Public-Health-Ethik) sei ein engeres Zusammenrücken von Medizin und Zahnmedizin geboten, so Groß. Dazu gehöre auch eine Verbesserung der Schnittstellen zwischen Medizin und Zahnmedizin in der Ausbildung.

Digitale Workflows und Techniken fanden sich dieses Mal nicht im Hauptprogramm, sondern in einer kleinen, aber sehr beachtenswerten Session der Deutschen Gesellschaft für computergestützte Zahnheilkunde (DGCZ). Die Grundidee des sogenannten Dynamischen Digitalen Modells (DDM) besteht darin, bei jeder zahnärztlichen Kontrolluntersuchung das Gebiss des Patienten mit dem Intraoralscanner zu scannen, so dass Veränderungen zum vorherigen Termin identifiziert werden können. So entsteht im Laufe der Zeit eine digitale Gebissbiografie, die bislang unbekannte diagnostische Einblicke erlaubt und auch Überraschungen bereithält, wie Dr. Bernd Reiss (Malsch), Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Dynamisches Digitales Modell, anhand eines Patientenfalls zeigte – bei dem Patienten waren nach der Versorgung mit einer neuen Restauration die Rezessionen signifikant zurückgegangen. Das digitale Monitoring decke „Sachverhalte auf, die man sich nicht erklären kann, die sich aber einfach aus der Realität entwickeln […] Die Digitalisierung der Verlaufskontrollen ist etwas, was uns auch in die Diagnose- und Therapiebereiche hineinbringt“, sagte Reiss zusammenfassend.

Diagnosegewinne durch digitale Gebissbiografien

Einen gänzlich anderen Blick auf die Digitalisierung bot die Session des Arbeitskreises „Artificial Intelligence in Dental Medicine“ (AIDM). Hier ging es unter anderem um die Nutzung von Gesundheitsdaten für die Forschung. Mit den Fortschritten bei der Künstlichen Intelligenz stehen heute Algorithmen als mächtige Werkzeuge zur Verfügung, um große Datenbestände nach Mustern zu durchsuchen. Viele Daten liegen jedoch unstrukturiert und in voneinander isolierten Datenbanken vor. Eine Herausforderung für die Nutzung dieser Daten sei die Standardisierung von Datenformaten und die Zusammenführung der Daten in Forschungsdatenplattformen, erläuterte Prof. Dr. Sylvia Thun, Universitätsprofessorin für Digitale Medien und Interoperabilität an der Charité Universitätsmedizin Berlin. Das werde im Übrigen auch die Forschung umkrempeln: „Üblicherweise ist es ja so, dass ich erst die Forschungsfrage stelle und dann Daten sammele. Das wird sich jetzt verändern“, sagte Thun.

Rund jedes vierte Kind leidet unter Bruxismus

Prof. Dr. Christian Hirsch, M.Sc. (Leipzig) eröffnete das wissenschaftliche Programm mit seinem Vortrag „Bruxismus im Kindes- und Jugendalter – nur ein temporäres Problem?“. Die Antwort gab er gleich vorweg: Es handele sich nicht um ein temporäres Problem. Das Thema habe in der Forschung in den vergangenen Jahren stark zugenommen, da die Ursachen für Bruxismus in vielen Fällen im Kindes- und Jugendalter liegen, erklärte Hirsch. Es bestehe also eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass Bruxismus in der Kindheit über die gesamte Lebensspanne persistiert. Grundsätzlich könne man verschiedene Formen unterscheiden: den Wachbruxismus und den nächtlichen Bruxismus. Beide könnten sowohl dynamisch oder statisch als auch chronisch oder akut sein. Die Prävalenzangaben für Bruxismus im Kindes- und Jugendalter variieren laut Hirsch mit Zahlen von 3,5 bis 49,6 Prozent stark. Er geht davon aus, dass schätzungsweise jedes vierte Kind unter Bruxismus leidet.

Attrition als Symptom für die dynamische Form des Bruxismus sei mithilfe von Indizes anhand des Zahnhartsubstanzverlusts gut messbar, während die statische Bruxismus-Komponente schwerer zu diagnostizieren sei. Hirsch erklärte, dass die multiplen Ursachen für Zahnhartsubstanzverlust (Erosion, Abrasion, Attrition, MIH) im klinischen Alltag oft vermischt vorliegen. Die Attrition als klinisches Erscheinungsbild des dynamischen Bruxismus lasse sich dadurch abgrenzen, dass sie glatte, flache Schlifffacetten mit dem jeweiligen Antagonisten erzeuge. Manchmal seien auch Mikrofrakturen im Bereich der Inzisalkanten zu beobachten.

Die Folgen des Bruxismus können laut Hirsch in primäre und sekundäre unterteilt werden. Zu den primären Folgen zählt er die Attrition, eine höhere Empfindlichkeit der Zähne, den Verlust von Restaurationen sowie die Beschleunigung erosiver Prozesse; zu den sekundären unter anderem Schmerzen in der Kaumuskulatur, Schlafstörungen sowie Einschränkungen der Lebensqualität. Hirsch erläuterte, dass bei einer Dentin-Freilegung bereits im Kindes- und Jugendalter von einer schweren Form des Bruxismus gesprochen werden könne – häufig einhergehend mit Schmerzen im Kausystem mit psychosozialer Beeinträchtigung sowie Schlafstörungen.

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Hirsch zeigte das Bild eines stark attritierten Milchgebisses. 

Woher kommt Bruxismus bei Kindern?

Was aber verursacht Bruxismus bei Kindern? Die Qualität des Großteils der Studien zu diesem Thema sei unzureichend, bemerkte Hirsch. Dennoch weise vieles darauf hin, dass die Ursachen meist „zentral und nicht peripher“ lägen. Das bedeute, dass man sie vielmehr im Umfeld des Kindes suchen müsse als im Gebiss selbst. Zu den Auslösern könnten unter anderem psychische Störungen, Probleme beim Einschlafen oder Schlafstörungen, psychoaktive Medikamente, Depressionen, Passivrauchen, Atemwegserkrankungen, Ernährungsstörungen (Reflux), Medienkonsum, Stress und erhöhte Anspannung, familiäre Faktoren / Probleme im sozialen Umfeld und Habits gehören. Bruxismus im Kindesalter habe durch Corona noch einmal deutlich zugenommen – dies zeige sich am vermehrten Aufkommen von Google-Suchanfragen zu diesem Thema.

Grundsätzlich seien Jungen häufiger als Mädchen von kindlichem Bruxismus betroffen. Dafür sei ein erhöhter Testosteronspiegel verantwortlich – somit erkläre sich auch, warum in der Pubertät die Zahl bei den Jungen noch einmal deutlich ansteigt. Mädchen mit erhöhten Testosteronwerten seien ebenfalls häufiger von Bruxismus betroffen. Eine kieferorthopädische Behandlung stelle im Übrigen kein erhöhtes Risiko für Bruxismus im Kindesalter dar – ganz im Gegenteil. Hirsch führte hier Studienergebnisse an, die zeigen, dass während der kieferorthopädischen Behandlung bestimmte Bruxismus-Aktivitäten sogar verringert werden.

Und was kann man dagegen tun? Auch hier bemängelte Hirsch die kleine Menge an verwertbarer Literatur zu diesem Thema. Grundsätzlich habe sich die „Knirscherschiene“ als rein symptomatische Therapie etabliert. Pharmakologische Interventionen seien zwar ebenfalls wirksam, wurden von Hirsch allerdings nicht empfohlen. Darüber hinaus zeige sich auch eine Verbesserung durch Tonsillektomie. Da die meisten Ursachen aber außerhalb des Kausystems lägen, müssten diese „auch dort angegangen werden“, so sei eine kausale Beeinflussung des Bruxismus möglich. Ergänzend nannte Hirsch beispielsweise Maßnahmen zur Verbesserung des Schlafes (Licht aus, keine Medien mehr vorm Zu-Bett-gehen). Auch Beruhigungstinkturen könnten wirksam sein. Bei zahnärztlichen Behandlung gelte es, den Bruxismus im Blick zu behalten, denn Fissurenversiegelungen seien etwa im Attritionsgebiss kontraindiziert. Auch der Verlust von anderen Restaurationen sei nicht selten.

Es kommt auf das richtige Timing an

Prof. Dr. Heike Korbmacher-Steiner referierte über die frühe, präventionsorientierte Kieferorthopädie. „You see it, you treat it“, laute bekanntermaßen die Hauptideologie einer kieferorthopädischen Frühbehandlung. Doch stimmt das wirklich immer? Aus der Sicht von Korbmacher-Steiner gilt diese Faustregel nicht uneingeschränkt, entscheidend sei vielmehr das richtige Timing – denn für verschiedene kieferorthopädische Anomalien gebe es unterschiedliche ideale Behandlungszeitpunkte.

Korbmacher-Steiner zitierte die S3-Leitlinie „Ideale Behandlungszeitpunkte kieferorthopädischer Anomalien“: „Die Therapie einer skelettalen bzw. dentalen Klasse-III-Anomalie sollte frühzeitig, zum Beispiel in der frühen Wechselgebissphase, begonnen werden. Zudem gibt es Hinweise, dass bei einer Klasse-III-Anomalie eine frühe Behandlung die Notwendigkeit eines operativen Eingriffs zur Korrektur der Anomalie reduziert“ [DGKFO, DGZMK]. Entscheidend sei dabei die Frage, ob die Ergebnisse der Frühbehandlung auch langfristig stabil seien. Zur Erläuterung zeigte Korbmacher-Steiner den Fallbericht einer Patientin mit einer deutlichen Anomalie des progenen Formenkreises und zirkulärem Kreuzbiss (Abbildung), die sich im Alter von sechs Jahren bei ihr vorgestellt hatte und ausschließlich eine Frühbehandlung wünschte.

Begonnen wurde mit einer GNE mit Aufbiss und Delaire zur aktiven transversalen Erweiterung und ventralen Entwicklung des Oberkiefers. Der Kreuzbiss wurde überstellt und durch den Platzgewinn kam es zu einem akzelerierten Zahnwechsel. Nach einem Jahr wurde die Situation über ein funktionskieferorthopädisches Gerät (Fränkel III) stabilisiert und optimiert. Die frühe Intervention (sieben Quartale kieferorthopädische Frühbehandlung) hatte zu einer deutlichen Harmonisierung des Wachstums von Ober- und Unterkiefer geführt und sich mit dem weiteren Wachstum manifestiert. Korbmacher-Steiner ergänzte, dass danach nie wieder apparativ interveniert werden musste.

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Korbmacher-Steiner präsentierte den Fall einer sechsjährigen Patientin mit einer deutlichen Anomalie des progenen Formenkreises. Intraoral imponierten ein zirkulärer Kreuzbiss, ein 4-mm-Overjet, eine maxilläre Konstriktion in allen Ebenen und eine dentale Kompensation der Unterkieferfront in Form einer retrusiven Frontzahnstellung.

Auch bei ausgeprägten transversalen Anomalien (skelettal beziehungsweise dental) im Oberkiefer sollte mit der Therapie frühzeitig begonnen werden, um die Adaptivität der maxillären Strukturen auszunutzen, lautet die Empfehlung der S3-Leitlinie. Bei einer maxillären Konstriktion, also einer skelettal schmalen apicalen Basis des Oberkiefers, habe die frühe Intervention viele Vorteile gegenüber einer späteren Intervention, erklärte Korbmacher-Steiner. Die Frühbehandlung könne muskulären Fehlfunktionen entgegenwirken und ein koordiniertes harmonisches Wachstum in der Transversalen und in der Sagittalen ermöglichen. Durch eine frühe Intervention würden die paarig angelegten Großmaxillae eher parallel geöffnet, in der späteren Gruppe dagegen eher v-förmig. Eine parallele Öffnung führe zu einem harmonischen Gaumen, zu einer besseren Zungenadaptation und somit zu einer funktionellen Untermauerung und schließlich einer geringeren Rezidivrate. Ebenso könnten aus einer parallelen Öffnung eine Reduktion des anterionasalen Atemwiderstands und eine Verbesserung der Atmung resultieren.

Klasse-II-Anomalien könnten unter Berücksichtigung patientenindividueller Faktoren ebenfalls frühzeitig behandelt werden. Korbmacher-Steiner fasste die Hauptgründe für eine frühe kieferorthopädische Intervention zusammen (die gleichzeitig eine Schnittmenge mit der Medizin bilden): die mundgesundheitsbezogene Lebensqualität könne verbessert werden, denn Malokklusionen würden diese maßgeblich reduzieren. Daneben würden die Atmung, die Kaufunktion, der Schlaf, das Schlucken und das Sprechen profitieren. Bei einer Klasse II bestehe bei vergrößertem Overjet und fehlender Lippenkompetenz zudem ein erhöhtes Risiko für ein Frontzahntrauma.

Zusammenfassend betonte Korbmacher-Steiner, dass das Hauptziel einer frühen kieferorthopädischen Behandlung ein harmonisches Wachstum sei (Physiologie der Formgebung). Um diese Wachstumsprozesse effizient nutzen zu können, müsse man die entsprechenden Zeitfenster kennen. So „sollten wir den Zeitraum von sechs bis neun Jahren ausnutzen“, um das skelettale Wachstum des Oberkiefers zu beeinflussen (unlock the mandible), während das Unterkieferwachstum insbesondere um den puberalen Wachstumsschub gegeben sei. Während einer Normalbehandlung arbeite man im Unterkiefer nur noch mit einem Drittel der Ressourcen, bedingt durch das ablaufende Wachstum, erklärte Korbmacher-Steiner. Im Oberkiefer sei es noch weniger. nl

Wo die glücklichen Zahnärztinnen und Zahnärzte arbeiten

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Von Laffert referierte auf dem Zukunftskongress der Bundeszahnärztekammer über Berufszufriedenheit in der Zahnmedizin.

Konstantin von Laffert, Vizepräsident der Bundeszahnärztekammer und Präsident der Zahnärztekammer Hamburg, eröffnete den Zukunftskongress der Bundeszahnärztekammer mit seinem Vortrag „Wo die glücklichen ZahnärztInnen arbeiten“. Er trug zunächst Faktoren zusammen, die allgemein für die Berufszufriedenheit beziehungsweise -unzufriedenheit entscheidend seien. Dazu zählten zunächst die Umgebung des Arbeitsplatzes, die hierarchische Position, die objektive und die subjektiv wahrgenommene Entscheidungsfreiheit sowie Stress durch Pendeln. In der Summe könne man aus verschiedenen Studien dabei das Fazit herauslesen: mehr Selbstbestimmung mache zufriedener.

Im Berufsleben stünden grundsätzlich die Pole der Verausgabung (Anforderungen und Verpflichtungen) und der Belohnung einander gegenüber. Idealerweise überwiege dabei die Belohnung (Arbeitsplatzsicherheit, Gehalt, Anerkennung). Befragungsergebnisse des IDZ zeigten allerdings, dass die Zufriedenheit im Zahnmedizinstudium verhältnismäßig gering ist und dort die Belastung überwiegt, wohingegen in der Assistenzzeit die Zufriedenheit deutlich ansteigt. Viele Zahnärztinnen und Zahnärzte seien nach wie vor bereit, auf hohem Niveau für eine eigene Praxis zu investieren – insbesondere im Hinblick auf den Wunsch nach Selbstständigkeit/Freiberuflichkeit, den Kontakt mit Menschen und die Möglichkeit, einen Heilberuf auszuüben. Demgegenüber stünden die negativen Faktoren der staatlichen Reglementierung sowie der Umfang der Verwaltungsarbeiten. Von Laffert zitierte hier den großen Berufe-Check der FAZ: „Der Beruf des Zahnarztes macht einfach glücklich.“

Was ist es aber konkret, das Zahnärztinnen und Zahnärzte so zufrieden macht? Von herausragender Bedeutung scheine die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben zu sein. Interessanterweise nennen die befragten ZahnärztInnen dies als häufigstes Kriterium sowohl für eine Anstellung (feste Arbeitszeiten) als auch für die eigene Niederlassung (Flexibilität als eigener Chef als Möglichkeit für eine ausgewogene Work-Life-Balance). Und: Die Berufszufriedenheit der Zahnärztinnen steige nicht nur mit dem Einkommen, sondern auch mit der Kinderzahl. Ausschlaggebend für Unzufriedenheit im Beruf seien unter anderem ein schlechtes Arbeitsklima, die mangelnde Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Überlastung oder ständiges Pendeln.

Zahlen der apoBank zeigen, dass das Alter von ZahnärztInnen, die sich niederlassen, tendenziell steigt: Bei Männern liegt es bei 35,7, bei Frauen bei 37,7 Jahren. Die Kosten einer Neugründung lägen bei durchschnittlich 567.000 Euro. Frauen würden scheinbar eher zur Gründung einer Einzelpraxis neigen, während Männer eher zu einer Gemeinschaftspraxis tendierten.

Von Laffert fasste zusammen: Glückliche ZahnärztInnen arbeiten selbstständig. Sie seien frei in der Zeiteinteilung, würden sich mit Abrechnung auskennen, ließen sich ihre Leistung adäquat bezahlen und bauten sich ihr eigenes Team. Selbstständigkeit hieße selbst gestalten, selbst entscheiden und besser verdienen als im Angestelltenverhältnis. nl

Dass die KI auch einen greifbaren klinischen Sofortnutzen verspricht, zeigte Prof. Dr. Tabea Flügge von der Klinik für MKG-Chirurgie an der Charité. Sie stellte verschiedene KI-basierte Anwendungen wie eine Implantatplanungssoftware, verschiedene Kariesdetektionsprogramme und eine Software zur automatischen cephalometrischen Analyse vor. An der Charité wird aktuell an „MucoAid“ gearbeitet – die App soll mithilfe von KI-Algorithmen Mundhöhlenkarzinome und Mundschleimhautveränderungen auf intraoralen Fotos detektieren und klassifizieren. Nach den bisherigen Planungen soll die Software im Frühjahr 2024 vorgestellt werden.

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