Bei der Informationsvermittlung haben viele Ärztinnen und Ärzte Probleme
Die Hertie School in Berlin und die Universität Bielefeld haben in Zusammenarbeit mit der Stiftung Gesundheitswissen erstmals die professionelle Gesundheitskompetenz beleuchtet und dazu Ärztinnen und Ärzte sowie Pflegefachkräfte befragt. In der Onlinebefragung unter rund 300 Allgemeinmedizinern und hausärztlich tätigen Internisten sowie 600 Pflegefachpersonen wurden Fragen zu vier verschiedenen Aufgabenbereichen gestellt: Informations- und Wissensmanagement, Informations- und Wissensvermittlung, patientenzentrierte Kommunikation und professionelle digitale Gesundheitskompetenz.
„Etwas vereinfacht gesagt, sind mit professioneller Gesundheitskompetenz die Fähigkeiten gemeint, die nötig sind, um die Gesundheitskompetenz der Bevölkerung zu fördern. Bislang war wenig darüber bekannt, wie leicht oder schwer es Gesundheitsprofessionen fällt, sich auf dem aktuellen Wissensstand zu halten, Patientinnen und Patienten Informationen und Wissen verständlich zu vermitteln und dabei so zu kommunizieren, dass dies an deren Vorwissen und den Fähigkeiten anknüpft“, sagt Studienleiterin Prof. Dr. Doris Schaeffer von der Universität Bielefeld.
Kommunikationsprobleme werden kaum wahrgenommen
Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass die befragten Ärztinnen und Ärzte und Pflegefachpersonen ihre Fähigkeiten und den Umgang mit Aufgaben, die mit der Förderung der Gesundheitskompetenz von Patienten verbunden sind, recht positiv bewerten. Die Mehrzahl der Aufgaben wurde als „gut zu bewältigen“ eingeschätzt. Allerdings gibt es auch Herausforderungen. So haben 24 Prozent der Ärzte und 17 Prozent der Pflegenden Probleme, statistische Ergebnisse korrekt einzuordnen. Auch die Beurteilung der Evidenz und Vertrauenswürdigkeit von Fachinformationen sind für sie eine Herausforderung.
Zur Studie
Die Studie wurde unter der Leitung von Prof. Dr. Doris Schaeffer von der Universität Bielefeld mit Prof. Dr. Mujaheed Shaikh von der Hertie School, Berlin, in Kooperation mit der Stiftung Gesundheitswissen durchgeführt.
Für die Untersuchung wurde zunächst ein Konzept professioneller Gesundheitskompetenz erarbeitet und dann mit Wissenschaftlern aus Österreich und der Schweiz ein neuer Fragebogen entwickelt, der in den drei beteiligten Ländern im Sommer 2022 eingesetzt wurde.
An der Befragung in Deutschland nahmen rund 300 Allgemeinärztinnen und Allgemeinärzte und hausärztlich tätige Internistinnen und Internisten sowie über 600 Pflegefachpersonen teil. Die Fragebogenentwicklung wurde für Deutschland von der Robert Bosch Stiftung unterstützt.
Nicht leicht fällt den Gesundheitsprofessionen auch die systematische Vermittlung von Gesundheitsinformationen. Besonders schwer beurteilen beide Berufsgruppen hier, mit Herausforderungen bei der Informationsvermittlung umzugehen, etwa sich mit fehl- oder falschinformierten Patienten auseinanderzusetzen: 45 Prozent der Ärzte und 37 Prozent der Pflegenden stellt das vor Schwierigkeiten. Auch den „Umgang mit überdurchschnittlich gut informierten Patienten“ finden 19 beziehungsweise 17 Prozent schwierig. „Gerade im Internet stehen zuverlässige Informationen neben Fehl- und Falschinformationen und diese stoßen auf größere Resonanz als wünschenswert ist“, berichtet Schaeffer. „Fehl- und Falschinformationen verunsichern nicht nur, sondern führen auch zu unrichtigen Wissensannahmen. Durch diese Entwicklung sind die Gesundheitsprofessionen vermehrt gefordert, Wissen zu korrigieren und Umlernprozesse einzuleiten – eine schwierige und zeitaufwendige Aufgabe.“
Auch einzuschätzen, inwieweit „kulturelle Unterschiede das Verständnis erschweren“ fällt 40 Prozent der Ärzte und 30 Prozent der Pflegefachpersonen schwer. Schwierigkeiten bereitet es den beiden Berufsgruppen auch, das „Vorwissen von Patienten einzuschätzen“ oder „zu überprüfen, ob Patienten vermittelte Informationen verstanden haben“ (20 und 28 Prozent).
Aufgaben, bei denen es um die Fähigkeit der beiden Berufsgruppen geht, Informationen zu erklären, werden dagegen als leicht eingeschätzt (3 und 9 Prozent). Den Bereich patientenzentrierte Kommunikation bewerten beide Berufsgruppen mit Abstand als am leichtesten. Die größten Herausforderungen sehen rund 11 Prozent Ärzte und 13 Prozent der Pflegenden darin, zu gemeinsamen Entscheidungen mit Patienten zu gelangen, etwa Ziele festzulegen und das weitere Vorgehen zu entscheiden. Dagegen finden es fast 90 Prozent der Ärzte einfach, eine vertrauens- und respektvolle Gesprächsatmosphäre herzustellen. Auch bei den Pflegefachkräften halten acht von zehn Befragten diese Aufgabe für unproblematisch.
Die Ergebnisse stehen allerdings nicht im Einklang mit den Studienergebnissen: „Aus Befragungen wissen wir, dass Patientinnen und Patienten sich oft nicht ausreichend abgeholt, mitgenommen und in die Ziel- und Entscheidungsfindung einbezogen fühlen. Auch werden Ausführungen und Erklärungen nicht immer verstanden“, gibt Schaeffer zu bedenken. Eine Erklärung dafür könnte den Forschern zufolge sein, dass sich bei der Vielzahl an Konsultationen eine gewisse Routine bei der Kommunikation einstellt, die nicht notwendigerweise etwas über den Erfolg der Kommunikation aussagt.
Digitale Informationen bergen die größte Herausforderung
Den größten Handlungsbedarf sieht die Studie bei der professionellen digitalen Gesundheitskompetenz, das heißt, Patienten im Umgang mit digitalen Informationen zu unterstützen. Etwa ein Drittel der Befragten (33 bis 39 Prozent) hält es beispielsweise für schwierig, Patienten dabei behilflich zu sein, die Vertrauenswürdigkeit gefundener digitaler Informationen zu beurteilen oder ihnen dabei zu helfen, die richtigen digitalen Informationen ausfindig zu machen.
Sowohl für Mediziner als auch für Pflegefachpersonen zeigt sich ein Zusammenhang zwischen der Berufsdauer und der professionellen digitalen Gesundheitskompetenz: Befragte mit einer Berufsdauer von über 20 Jahren haben signifikant größere Probleme, Patienten im Umgang mit digitaler Information zu unterstützen, heißt es in der Studie.
Auch nach der Vorbereitung im Rahmen der Ausbildung wurde in dem Zusammenhang gefragt. Am schlechtesten fällt die Beurteilung für den Bereich Kommunikation aus. Hier geben 37 Prozent der Ärzte, aber nur 14 Prozent der Pflegefachkräfte an, dass die eigene Ausbildung sie auf die Kommunikation mit Patienten vorbereitet hat. Ähnlich ist die Beurteilung für den Bereich Informations- und Wissensvermittlung: 33,9 Prozent der Ärzte und 16 Prozent der Pflegefachpersonen fühlen sich durch die Ausbildung schlecht vorbereitet. Insgesamt bewerten Mediziner die Vorbereitung durch ihre Ausbildung schlechter als die Pflegefachpersonen.
Auf einen Blick
Informations- und Wissensmanagement: Am schwersten fällt es Ärzten und Pflegekräften, statistische Ergebnisse richtig einzuordnen. Aber auch die Vertrauenswürdigkeit von Fachinformationen einzuschätzen beziehungsweise zu beurteilen und ihre wissenschaftliche Basis zu bewerten, macht ihnen Probleme.
Informations- und Wissensvermittlung: Mit fehl- oder falschinformierten Patienten umzugehen, ist sowohl für Ärzte als auch für Pflegefachkräfte die größte Herausforderung. An zweiter Stelle folgt die Einschätzung, inwieweit kulturelle Unterschiede das Verständnis erschweren. An dritter Stelle steht für Ärzte die Schwierigkeit, das Vorwissen von Patienten einzuschätzen, und für Pflegende, abzuwägen, inwieweit Patienten mit Informationen umgehen können.
Patientenzentrierte Kommunikation: Ärzte und Pflegekräfte halten die patientenzentrierte Kommunikation für ihren einfachsten Aufgabenbereich. Am schwersten fallt es Ärztinnen und Ärzten hier, gemeinsam mit Patienten Ziele festzulegen und das weitere Vorgehen festzulegen. Bei den Pflegenden wird die Aufgabe, Patienten Raum für Fragen zu geben, als am schwierigsten bewertet.
Professionelle digitale Gesundheitskompetenz: Ärzte als auch Pflegekräfte halten diesen Aufgabenbereich für den schwierigsten. Das größte Problem haben beide Gruppen damit, Patienten dabei zu unterstützen, die Vertrauenswürdigkeit gefundener digitaler Gesundheitsinformationen zu beurteilen, gefolgt davon, Patienten dabei zu helfen, die für sie relevanten digitalen Gesundheitsinformationen zu finden.
Eigene Kompetenzen stärken!
Wenn Mediziner und Pflegefachkräfte ihre Rolle bei der Förderung der Gesundheitskompetenz der Bevölkerung kompetent ausfüllen sollen, müsse auch deren eigene professionelle Gesundheitskompetenz gestärkt werden, bilanzieren die Forschenden. Diese Aufgabe müsse künftig fest im Gesundheitssystem verankern werden, empfehlen sie. Unerlässlich dazu sei mehr Informations- und Aufklärungsarbeit, um die Berufsgruppen für den Bereich zu sensibilisieren. Gleichzeitig gehe die Forderung an die Politik, den Berufsgruppen dazu das nötige Know-how an die Hand zu geben.
„Es ist gut zu sehen, dass die Ergebnisse insgesamt recht positiv ausfallen. Andererseits ist zu berücksichtigen, dass in den einzelnen Bereichen Aufgaben bestehen, deren Bewältigung offenbar nicht als selbstverständlich vorausgesetzt werden kann. Dies verdeutlicht den akuten Handlungsbedarf bei der Verbesserung professioneller Gesundheitskompetenz“, urteilt Schaeffer. Aus ihrer Sicht geben die identifizierten Schwierigkeiten dabei wichtige Hinweise, wo man ansetzen kann: Besonders wichtig sei dabei die Ausgestaltung der organisatorischen Rahmen- und Ausbildungsbedingungen, da die Studie für fast alle Aufgabenbereiche zu dem Schluss kommt, dass dem Gesundheitspersonal die Aufgaben professioneller Gesundheitskompetenz umso leichter fällt, je besser diese Bedingungen gestaltet sind.
Die Studie:
Schaeffer, D., Haarmann, A., Griese, L. (2023): Professionelle Gesundheitskompetenz ausgewählter Gesundheitsprofessionen in Deutschland. Ergebnisse des HLS-PROF-GER. Berlin/ Bielefeld: Hertie School, Universität Bielefeld, Stiftung Gesundheitswissen