Auf dem Land wird es eng
Im Interview mit der Ärzte Zeitung packte Brandenburgs Grünen-Gesundheitsministerin Ursula Nonnemacher kürzlich die große Keule gegenüber der Selbstverwaltung im Gesundheitswesen aus: „Extrem komplex“, werde „von niemandem mehr verstanden“ und sei „auch für unsere Demokratie ein Problem“. Diese Provokation entbehrt natürlich jeder Grundlage, dennoch versteht man Nonnemachers Anliegen: „Ich komme ja viel im Land herum – und egal, wo ich bin, heißt es immer wieder: Können Sie uns mal einen Augenarzt schicken? Wir brauchen einen Hausarzt! Und dann muss ich den Leuten erklären, dass ich dafür nicht zuständig bin.“
Die Landflucht mag in der Zahnmedizin noch etwas geringer sein als in der allgemeinen Medizin, doch wissen gerade wir als Experten der Prävention, dass Vorbeugen nicht mit Abwarten gelingt. „Wo liegen die Gründe für die Landflucht und was lässt sich tun?“ war deshalb Thema der diesjährigen Klausurtagung der Bundeszahnärztekammer in Warnemünde.
Die Landflucht ist nur das Symptom einer größeren „Grunderkrankung“. Diese besteht darin, dass das Image einer eigenen Praxis bei jüngeren Kolleginnen und Kollegen gelitten hat. Drei Gründe stehen im Vordergrund:
Die Gesundheitspolitik in Deutschland hat viel zu lange Geld und Ressourcen in den stationären Bereich mit angestellten Ärztinnen und Ärzten gesteckt. Die eigenverantwortliche ambulante Versorgung, zu der auch die Zahnmedizin zählt, wurde mehr und mehr vernachlässigt.
Übertriebene und widerlegte Äußerungen aus dem eigenen Berufsstand haben ebenfalls zu dem schlechten Image beigetragen: Die „kleine“ Praxis würde den Anforderungen an moderne Zahnmedizin nicht mehr gerecht, eine Landpraxis hätte weniger Gewinn zu erwarten und nur die Anstellung mache Verwaltung und Bürokratie erträglich.
Dieses negative Image trifft auf junge Menschen, die nach der aktuellen Sichtweise ihren Schwerpunkt vielleicht weniger auf die Arbeit legen und die sich mit Verantwortung und ortsfester Lebensplanung möglicherweise schwerer tun.
Diese Gemengelage aus Psychologie und Fehlern der Vergangenheit braucht einen Reset. Zwei Punkte stehen im Vordergrund:
1. Relevanz der „kleinen“ Praxis erkennen und sie entlasten
Auch wenn Karl Lauterbach gerade Cannabis-Schwaden, Hitzewellen und neue Virusvarianten aufbietet, um von der weitgehend ungelösten Misere der stationären Versorgung abzulenken, sollte inzwischen jedem klar sein, dass eine wohnortnahe, zuverlässige und wirtschaftliche Gesundheitsversorgung nur mit eigenverantwortlichen, kleinen Praxiseinheiten gelingen kann. Gerade die Erfolge der Mundgesundheit in Deutschland zeigen, wie erfolgreich die kleine Praxis hier agiert hat. Aber „klein“ bedeutet eben auch zu klein, um Zeit mit sinnleerer Bürokratie zu verschwenden. Hygiene-„Bedrohungen“, die sich niemals gezeigt haben, müssen nicht weg-validiert werden und digitale Konzepte sollen in erster Linie die tägliche Arbeit erleichtern, aber nicht primär Datensammlungen für wolkige Wissenschaftsfantasien generieren. Entscheidungen über unsere Köpfe hinweg füttern nur die Bürokratie, lassen aber weder Motivation noch Engagement entstehen.
2. Nachwuchs besser auswählen und konstruktiv unterstützen
Es ist jede Anstrengung wert, die Auswahl der Studentinnen und Studenten der Zahnmedizin besser an den Bedürfnissen der zahnärztlichen Praxis zu orientieren. Anfang der 90er-Jahre hat die individuelle Auswahl nach eigener Anschauung wunderbar funktioniert: Begeisterte Studierende wurden zu engagierten Zahnärztinnen und Zahnärzten. Der Vorstand der Bundeszahnärztekammer hat sich dafür ausgesprochen, dieses Auswahl-Konzept neu zu beleben.
Aber wir dürfen unseren beruflichen Nachwuchs auch nicht vergraulen. Eine junge Hochschullehrerin brachte es kürzlich auf diesen Punkt: Bitte schickt uns nicht mehr die alten Männer in die Berufskundevorlesung, die nur von Praxis und Zahnmedizin abraten.
Die Ziele der BZÄK zu Praxis und Land werden demnächst als Warnemünder-Erklärung erscheinen.
Prof. Dr. Christoph Benz
Präsident der Bundeszahnärztekammer