Tag der Zahngesundheit 2023

„Prävention hilft immer – egal, welchen Hintergrund man hat“

Am 25. September ist der Tag der Zahngesundheit. In diesem Jahr liegt der Fokus des bundesweiten Aktionstages auf Menschen, die sich kaum oder gar nicht um ihre Zahngesundheit kümmern können. Wie sich Zahnärztinnen und Zahnärzte für diese Menschen engagieren können und wie sich der Tag in der Praxis feiern lässt, schildert Prof. Dr. Christoph Benz, Präsident der Bundeszahnärztekammer.

Prof. Benz, die Bundeszahnärztekammer (BZÄK) ist Teil des Aktionskreises zum „Tag der Zahngesundheit“. In diesem Jahr dreht sich der Aktionstag um die Zahngesundheit vulnerabler Gruppen. Wer ist damit gemeint?

Prof. Christoph Benz: Es geht um eine sehr große und heterogene Gruppe von Menschen, die aber eins verbindet: Sie alle leben mit eingeschränkten Möglichkeiten der Selbstfürsorge. Im Fokus stehen unter anderem Pflegebedürftige und Hochbetagte, Menschen mit psychischen Erkrankungen oder einer geistigen Behinderung, aber auch Wohnungslose, Geflüchtete, nicht krankenversicherte Bürgerinnen und Bürger und alle, die von Armut betroffen sind.

Warum ist der diesjährige Schwerpunkt aus Sicht der BZÄK wichtig?

Gar nicht so sehr, weil wir diese Gruppen erstmalig für uns entdeckt haben. Zahnmedizinische Konzepte für Menschen mit Behinderungen kenne ich zum Beispiel seit den 1980er-Jahren. Das Thema Mundgesundheit und Pflegebedarf bearbeitet die Zahnärzteschaft seit der Jahrtausendwende intensiv. Unterstützung für Wohnungslose gibt es in Berlin seit 1994 und auch in vielen anderen Städten schon seit Langem. Wichtig ist uns, mit dem Tag der Zahngesundheit zu betonen, dass Prävention immer wirkt. Das Motto in diesem Jahr lautet in diesem Sinne: „Gesund beginnt im Mund – für alle!“ Wir als BZÄK möchten auch die Zahnärztinnen und Zahnärzte motivieren, sich dafür einzusetzen. Viele Kolleginnen und Kollegen tun das ja auch schon jetzt sehr engagiert.

Haben Sie Tipps, wie die Praxen vor Ort den diesjährigen Schwerpunkt am Tag der Zahngesundheit aufgreifen könnten?

Rund um den 25. September könnten Praxen beispielsweise präsentieren, in welchen Bereichen sie sich engagieren. Das kann der Einsatz für ein Hilfswerk sein oder eine Patenschaft für Pflegeheime oder andere Wohneinrichtungen. Es kann aber auch um eine Spezialität der Praxis gehen, also eine Leistung, die man besonders gut beherrscht, zum Beispiel die Behandlung von Angstpatienten oder Kindern. Man kann auch auf Kolleginnen und Kollegen hinweisen, die einen anderen Schwerpunkt haben. Dazu könnte das Team einen Aushang, einen Patientenbrief oder ein Plakat anfertigen.

Es geht um die Chance, an diesem Tag zu zeigen: Unsere Praxis ist ein Ort, wo jedem geholfen wird, wo Menschen, die in einer schwierigen Lebenssituation sind, Unterstützung finden. Das ist ein Vorteil des in diesem Jahr breit gefassten Schwerpunkts des Tags der Zahngesundheit: Man findet im eigenen Umfeld auf jeden Fall Berührungspunkte zum adressierten Personenkreis.

Wie Sie sagen, gehören dazu auch Menschen, die von Armut betroffen sind. Wie können Zahnärztinnen und Zahnärzte dazu beitragen, deren Mundgesundheit zu stärken?

Das ist eine große Herausforderung, denn häufig sind das genau die Menschen, die nicht in die Zahnarztpraxis kommen. Bei Kindern spielen hier die Gruppenprophylaxe und die Arbeit der LAGen eine wichtige Rolle. Sie erreichen die Kinder in ihrer Lebenswelt und können Impulse für die Mundgesundheit setzen. Ansonsten, denke ich, müssen wir an die Brennpunkte gehen und die Kolleginnen und Kollegen, die sich dort niederlassen, stärken. Eine Möglichkeit ist es, in den Austausch mit den Gesundheits- und Sozialpolitikern vor Ort zu gehen und sich auf dieser Ebene mit anderen Leistungserbringern zu vernetzen. Auf Basis der Deutschen Mundgesundheitsstudie können wir diesen Dialog mit vielen wertvollen Informationen über die Gesundheit der Bevölkerung in unterschiedlichen Altersgruppen und Lebenssituationen bereichern.

Auch Geflüchtete und Wohnungslose stehen im Fokus. Auf welche Herausforderungen stößt die zahnmedizinische Versorgung bei ihnen?

Diese Menschen erreicht man eigentlich nur, indem man sich entsprechenden Initiativen anschließt. Davon profitieren im Übrigen auch nicht versicherte Menschen. Es gibt die Möglichkeit, stundenweise in der ehrenamtlichen Versorgung zu helfen zum Beispiel bei einem Zahnmobil oder über Träger wie die Bahnhofsmissionen. Es besteht auch immer die Möglichkeit, etwas Neues zu organisieren, auch mit Kollegen aus dem humanmedizinischen Bereich.

Zur Vulnerabilität gehört auch, dass man seine Gesundheit nicht proaktiv in die Hand nimmt. Diese Menschen müssen vielmehr abgeholt werden. Wie kann das im Arbeitsalltag niedergelassener Zahnärztinnen und Zahnärzte gelingen?

Das ist eine Herausforderung. Aber ich denke hier spontan an Patientinnen und Patienten, die plötzlich nicht mehr in die Praxis kommen. Zum Beispiel, weil sie es aus Altersgründen oder wegen einer Erkrankung nicht mehr schaffen. Vielleicht verändert sich bei einem Patienten mit einer Behinderung, der regelmäßig zur Kontrolle gekommen ist, auch die betreuende Person und die Prophylaxe gerät in Vergessenheit. In diesen Fällen können sich niedergelassene Kolleginnen und Kollegen ganz einfach engagieren, indem sie sich kurz Zeit nehmen, ihren Patientenstamm gedanklich durchzugehen oder in die Praxissoftware zu schauen. Wenn ihnen dabei jemand einfällt, den sie schon lange nicht mehr gesehen haben, könnte man zum Beispiel telefonisch nachhaken.

In anderen Fällen können Niedergelassene allerdings wenig ausrichten. Vor allen Dingen, wenn es um Menschen geht, die nie den Zahnarzt aufsuchen. Deren Versorgung erfordert Gespräche mit den Sozialverbänden oder der Politik. Mit ihnen ist die BZÄK in Kontakt, um auf zahnmedizinische Angebote hinzuweisen und diese zu integrieren.

Bei der zahnmedizinischen Versorgung von Pflegebedürftigen und Menschen mit geistigen Einschränkungen wurden schon viele Erfolge erzielt. Was würden Sie herausstellen?

Neudeutsch formuliert: Es ist gelungen, „Awareness“ für diese Bevölkerungsgruppen zu schaffen. Eine besonders wichtige Rolle spielt in diesem Zusammenhang die mobile, aufsuchende Zahnmedizin.

Gesund beginnt im Mund

Seit 1991 findet der Tag der Zahngesundheit statt. Ziel des Aktionstages ist, möglichst viele Menschen über das Thema Mundgesundheit zu informieren und so Zahn-, Mund- und Kiefererkrankungen zu verhindern. Unter dem Motto „Gesund beginnt im Mund“ geht es jedes Jahr um einen anderen Schwerpunkt. Praxen, die den Tag der Zahngesundheit feiern möchten, können ihn jedoch ganz frei gestalten und andere zahnmedizinische Themen in den Mittelpunkt stellen. Weitere Infos: tagderzahngesundheit.de oder instagram.com/tdz2509

Und was muss sich noch verbessern?

Statistisch gesehen kommen aktuell auf eine Praxis 130 Menschen mit einem Pflegegrad. Bisher kümmern sich circa 10 bis 20 Prozent der Zahnärztinnen und Zahnärzte um deren Behandlung. Hier wäre ein noch flächendeckenderes Engagement wünschenswert. Ein weiteres wichtiges Thema, das zurzeit ziemlich unter Beschuss steht, ist die Narkosebehandlung. Fest steht: Pro Jahr haben etwa 110.000 Menschen in Deutschland einen dringenden Behandlungsbedarf, der nur unter Narkose stattfinden kann. Der Grund kann eine geistige Einschränkung oder eine psychische Erkrankung sein. Die Behandlung unter Narkose bereitzustellen, wird aber zunehmend schwieriger. Der Grund sind fehlende finanzielle Anreize unter anderem für Anästhesistinnen und Anästhesisten. Das muss politisch angegangen werden, wenn man nicht will, dass die Lebensqualität einer großen Gruppe von Menschen dauerhaft eingeschränkt ist.

Welche Botschaft wird die BZÄK am 25. September in den Mittelpunkt stellen?

Sie lautet: Prävention hilft immer – egal, welchen Hintergrund ein Mensch hat!

Das Gespräch führte Susanne Theisen.

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