Bürokratie verursacht Stress
Eine Analyse unter deutschen Zahnärzten aus dem Jahr 2010 zeigte eine Burn-out-Quote von 13,6 Prozent. Weitere 31,9 Prozent waren zudem Burn-out-gefährdet [Wissel et al., 2010]. Im Jahr 2022 wurde nun im Rahmen einer Follow-Up-Studie in Zusammenarbeit der Universität Witten-Herdecke und dem Arbeitskreis für Psychologie und Psychosomatik der DGZMK unter der Leitung von Prof. Dr. Hans-Peter Jöhren die aktuelle Situation bei Zahnmedizinern erneut analysiert. An der Gesamtstudie beteiligten sich nach einem Aufruf in den zm insgesamt 827 Zahnärztinnen und Zahnärzte, die einen Fragebogen in Analogie zu 2010 beantworteten.
Das Burn-out-Syndrom
Wird chronischer Stress am Arbeitsplatz nicht erfolgreich verarbeitet, häufen sich stressbedingte physische und psychische Symptome. Die Folgen sind ein schleichender Prozess der Erschöpfung, der geistigen Distanz zur eigenen beruflichen Tätigkeit, sowie der reduzierten professionellen Leistungsfähigkeit – das Burn-out-Syndrom [WHO: ICD-11; 2019].
Basierend auf dem Screeningtool des Maslach-Burnout-Inventory zeigt die aktuelle Untersuchung unter deutschen Zahnärztinnen und Zahnärzten, dass ein Anteil von 13,1 Prozent bereits von Burn-out betroffen und 30,8 Prozent von Burn-out gefährdet sind. Im nationalen Zehnjahresvergleich lässt sich sowohl für die Kernskala „emotionale Erschöpfung“ als auch für die Skalen „Depersonalisierung“ und „reduziertes persönliches Leistungsempfinden“ kaum eine Veränderung der Mittelwerte feststellen (Abbildung 1).
Im Gegensatz zu den nahezu konstanten Burn-out-Quoten unter deutschen Zahnmedizinern zeigt eine aktuelle Metaanalyse der Arbeitsgruppe von Huiqing Long [2023] weltweit insgesamt eine geringere Gesamtprävalenz, im Vergleich zur Situation vor einem Jahrzehnt. Es zeigte sich tendenziell, dass die Anzahl der Burn-out-Fälle in Europa höher ist als in den USA. Eine US-amerikanische Untersuchung von Calvo [2021] zeigte jedoch ebenfalls eine Burn-out-Prävalenz von 13,2 Prozent. Eine weitere Metaanalyse von da Silva Moro [2022] ergab eine aktuelle Burn-out-Prävalenz von 13 Prozent, basierend auf Studien, die den Maslach-Burn-out-Inventarfragebogen mit Subskalen verwendeten. Eine australische Autorengruppe berichtete sogar über eine Häufigkeit von 24,8 Prozent bei australischen praktizierenden Zahnärztinnen und Zahnärzten [Hopcraft, 2023].
Während der COVID-19-Pandemie wurden zusätzliche Studien zum Thema Burn-out durchgeführt. In einer schottischen Umfrage gaben 55 Prozent der befragten Zahnärzte an, emotional erschöpft zu sein. Zusätzlich berichteten etwa 27 Prozent von erheblichen depressiven Symptomen während dieser herausfordernden Zeit [Humprhis, 2021]. In der Türkei wurde eine Burn-out-Rate von 20 Prozent während der Pandemie gemessen [Özsarslan, 2021].
Stressbedingte Symptomatik
Eine lange Zeit der Dauerbelastung und nicht ausreichende Bewältigungsstrategien führen im ersten Schritt zu stressbedingten Symptomen. Entsprechend den gerade erst veröffentlichten Untersuchungen des Studierendenparlaments (StuPa) des Freien Verbandes Deutscher Zahnärzte (FVDZ) leiden mehr als die Hälfte der Studierenden bereits an Schlafstörungen und Antriebsmangel.
Diese und weitere Erscheinungsbilder der hohen Stressbelastung begleiten eine Vielzahl von Zahnärzten ihr Berufsleben lang. Nach der aktuellen Befragung leiden die Zahnärztinnen und Zahnärzte nach eigenen Angaben vor allem an stressbedingten Symptomen wie Müdigkeit (71 Prozent), Gereiztheit (59,6 Prozent), Antriebsmangel (44,1 Prozent), Ängsten (43 Prozent), Kopfschmerzen (34,3 Prozent), Magenbeschwerden (29,3 Prozent) und Bluthochdruck (18,6 Prozent). Mehr als die Hälfte gaben Schlafstörungen (54,5 Prozent) und Rückenschmerzen (60,7 Prozent) an. Die Angabe der psychischen Erkrankungsbilder unter deutschen Zahnmedizinern ist ebenfalls konstant, so leiden nach eigenen Angaben 23,9 Prozent an Depressionen und sechs Prozent hatten bereits Suizidgedanken. Vor allem Rückenschmerzen und Schlafstörungen sind signifikante Faktoren, die im direkten Zusammenhang mit der Arbeitsqualität und -quantität stehen [Marklund, 2019]. Tendenziell lässt sich auf hohem Niveau dennoch eine leichte Verbesserung der Stresssymptomatik im vergangenen Jahrzehnt feststellen.
Stressoren der zahnärztlichen Praxis
Der zahnärztliche Berufsalltag erfordert neben Fachwissen, manueller Geschicklichkeit und körperlicher Leistungsfähigkeit auch Unternehmerqualitäten. Die Ergebnisse der aktuellen Studie zeigen, dass nach wie vor Misserfolge und Behandlungsfehler als stärkste Stressfaktoren empfunden werden, gefolgt vom eigenen Perfektionismus und staatlichen Reglementierungen. Viele Zahnärztinnen und Zahnärzte leiden unter den zahlreichen Verwaltungsaufgaben und der stetigen Personalrekrutierung. Das Arbeiten unter Zeitdruck, mangelnde Pausen und vor allem lange Arbeitszeiten werden von der Mehrheit der teilnehmenden deutschen Zahnärzte als stark stressauslösend angegeben. Vor allem die Arbeitszeit muss als zentraler Stressor wahrgenommen werden, da sich in der Folge Konflikte zwischen Arbeits- und Privatleben ergeben [Shanafelt, 2009]. Darunter fallen beispielsweise verpasste Familienmahlzeiten, fehlende Zeit mit dem Partner oder Kinderbetreuungsprobleme.
Die praktische Arbeit und der Umgang mit den Patienten werden vielen Umfrageteilnehmern zufolge nicht als Stressbelastung, sondern als Berufung empfunden. Die immer mehr ausufernden Verwaltungsaufgaben in Form von Protokollen, Qualitätsmanagementmaßnahmen und einer nicht gut funktionierenden Telematikinfrastruktur stellen die eigentliche Belastung dar.
Zusätzliche Stressoren durch COVID
Anfang Januar 2020 erreichte uns die COVID-Pandemie. Durch die schnelle Krankheitsübertragung und steigende Zahlen von Infizierten bis hin zu Todesfällen entstand Angst und Panik in der Allgemeinbevölkerung. Der Praxisalltag wurde in vielen Praxen entsprechend der empfohlenen Leitlinien auf die Behandlung von Notfällen umgestellt. Über die lange Phase der COVID-Pandemie konnte unter intensiver Umstrukturierung der Arbeitsabläufe eine zahnärztliche Grundversorgung der Patienten weiter garantiert werden. Daraus resultierten für die behandelnden Zahnärzte zusätzliche Stressoren. Die persönliche Schutzausrüstung erschwerte Zahnmedizinern nicht nur die Berufsausübung, indem sie zu Kopf-, Nacken-, und Rückenschmerzen führte, sondern stellte aufgrund der Kosten auch eine finanzielle Belastung dar [Owen, 2021].
Die Pandemie äußerte sich durch zusätzliche Stressoren wie Erkrankungen im Team oder auch die begleitende Angst, den Virus auf Freunde oder Familie zu übertragen. Des Weiteren fühlten sich die Zahnmediziner durch den reduzierten Praxisumsatz (circa 54 Prozent) teilweise sogar Existenzängsten ausgesetzt. Die psychische Belastung der Gesamtsituation bestätigte auch die Untersuchung COVID-GAMS [2021].
Diese und weitere Faktoren erhöhten das Stresslevel zusätzlich. Zudem blieb in vielen Fällen die Erholung aus, da geplante Urlaube nicht stattfinden konnten. Die Auswertung der freien Kommentare der Studienteilnehmer zeigte jedoch auch, dass sich aus der besonderen Pandemiesituation trotz aller zusätzlichen Stressoren auch positive Ansätze im Hinblick auf die Stressbewältigung des Berufsalltags entwickeln ließen.
Strategien zur Stressbewältigung
Zahlreiche Zahnmediziner berichteten von einer guten Arbeitsatmosphäre und einem guten Zusammenhalt des Praxisteams. Auch seitens der Patienten wurde dem Praxispersonal eine hohe Wertschätzung und Dankbarkeit entgegengebracht.
Die COVID-Pandemie erforderte zeitweise die Reduktion der Arbeitszeit und ermöglichte nur während des ersten Lockdowns, mehr Zeit mit der Familie zu verbringen. Generell basiert die erfolgreiche Stressbewältigung insbesondere auf sozialer und emotionaler Unterstützung, körperlicher Aktivität und Selbstfürsorge, sowie emotionaler und physischer Distanzierung zur Arbeit [Maresca et al., 2022].
Prophylaxe als Zukunftsvision
Im Zehnjahresvergleich zeigt sich keine positive Veränderung. Die persönliche Work-Life-Balance scheint immer noch nicht ausreichend in den Fokus der Zahnmediziner gerückt zu sein. Grundsätzlich sollten praktizierende Zahnärztinnen und Zahnärzte bereits bei den ersten Anzeichen von Erschöpfung, fehlendem Antrieb und Schlaflosigkeit die nötigen Schritte zur Stressbewältigung einleiten. Bei Bedarf sollte auch rechtzeitig professionelle Hilfe in Anspruch genommen werden.
Wissenschaftliche Untersuchungen aus dem letzten Jahrzehnt fokussieren sich vermehrt auf die Gesundheit der Zahnmediziner [Wissel et al, 2012; Gomez-Polo et al., 2023]. Die Einführung von Screening- und Interventionsprogrammen sollte bereits im Studium erfolgen, um Burn-out frühzeitig zu erkennen und zu verhindern [Singh et al., 2015].
Eine Studie an der Universitätsklinik in Rom zeigte, dass zweimal 15-minütiges Yoga in der Woche zu einer signifikanten mentalen Stressreduktion führen kann [Guerra et al, 2022]. Eine weitere Studie bestätigt, dass Achtsamkeitsübungen ebenfalls zum besseren Umgang mit Stress beitragen [La Torre, 2022].
Der Arbeitskreis Psychologie und Psychosomatik in der DGZMK beschäftigt sich ebenfalls mit Burn-out-Prophylaxe am Arbeitsplatz und thematisiert nun auch Yoga und Meditation während der Arbeitszeit als Gesundheitsvorsorge. Unter der Überschrift „Wir kümmern uns um uns“ findet nach 2019 zum zweiten Mal vom 20. bis zum 22. Oktober 2023 ein Fortbildungswochenende in Maria Lach statt, das den Stress und Stressabbau in der Zahnmedizin in den Fokus rücken wird. Es sollten weitere Forschungsprojekte zu Präventionskonzepten entwickelt werden, um langfristig das eigene Wohlergehen und die Versorgungsqualität, Sicherheit und Zufriedenheit der Patienten zu erhalten.
Literaturliste
Arbeitskreis Psychologie und Psychosomatik in der DGZMK (2023), Newsletter 4/2023.
Calvo JM, Kwatra J, Yansane A, Tokede O, Gorter RC, (2021), Kalenderian E. Burnout and Work Engagement Among US Dentists. J Patient Saf. 2021 Aug 1;17(5):398-404. doi: 10.1097/PTS.0000000000000355. PMID: 28671911.
COVID GAMS (2021), DIE COVID-19-KRISE UND IHR EINFLUSS AUF DEN AMBULANTEN SEKTOR IN DEUTSCHLAND, Die Sicht der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte, Zahnmedizin: 1. Befragung, Laufzeit: 6/2020-11/2021 Projektleitung: Dr. Nadine Scholten.
da Silva Moro, J., J. P. Soares, C. Massignan, L. B. Oliveira, D. M. Ribeiro, M. Cardoso, G. L. Canto and M. Bolan (2022). „Burnout syndrome among dentists: a systematic review and meta-analysis.“ J Evid Based Dent Pract 22(3): 101724.
Der Freie Zahnarzt 66(9): 56-59. (2023), „Diamanten entstehen unter Druck …“.
Guerra F, Corridore D, Peruzzo M, Dorelli B, Raimondi L, Ndokaj A, Mazur M, Ottolenghi L, Torre GL, Polimeni A. (2022): Quality of Life and Stress Management in Healthcare Professionals of a Dental Care Setting at a Teaching Hospital in Rome: Results of a Randomized Controlled Clinical Trial. International Journal of Environmental Research and Public Health. 2022; 19(21):13788. doi.org/10.3390/ijerph192113788.
Gómez-Polo C, Casado AMM, Montero J. (2022): Burnout syndrome in dentists: Work-related factors. J Dent. 2022 Jun;121:104143. doi: 10.1016/j.jdent.2022.104143. Epub 2022 Apr 25. PMID: 35472454.
Hopcraft MS, McGrath R, Stormon N, Parker G. (2023): Mental health, psychological distress and burnout in Australian dental practitioners. Aust Dent J. 2023 Sep;68(3):160-170. doi: 10.1111/adj.12961. Epub 2023 May 18. PMID: 37199455.
Huiqing Long, Qingshu Li, Xiaogang Zhong, Lu Yang, Yiyun Liu, Juncai Pu, Li Yan, Ping Ji & Xin Jin (2023): The prevalence of professional burnout among dentists: a systematic review and meta-analysis,Psychology, Health & Medicine, doi: 10.1080/13548506.2023.2208364.
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Maresca G, Corallo F, Catanese G, Formica C, Lo Buono V. (2022): Coping Strategies of Healthcare Professionals with Burnout Syndrome: A Systematic Review. Medicina (Kaunas). 2022 Feb 21;58(2):327. doi: 10.3390/medicina58020327. PMID: 35208650; PMCID: PMC8877512.
Marklund, S., Mienna, C.S., Wahlström, J. et al. (2020): Work ability and productivity among dentists: associations with musculoskeletal pain, stress, and sleep. Int Arch Occup Environ Health 93, 271–278 (2020). doi.org/10.1007/s00420-019-01478-5.
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