Bundesrechnungshof keilt gegen Entbudgetierung und TSVG-Vergütung
In dem Prüfbericht zur „Extrabudgetären Vergütung von vertragsärztlichen Leistungen in der ambulanten Versorgung“ rät der Bundesrechnungshof (BRH), den Ausgabenanteil extrabudgetärer Leistungen an der gesamten ärztlichen Vergütung wieder deutlich zu reduzieren. Ärztliche Leistungen sollten nur außerhalb festgelegter Obergrenzen vergütet werden, soweit es nachweislich für die Wirtschaftlichkeit und die hohe Qualität der Versorgung notwendig ist.
Dies müsse regelmäßig anhand belastbarer und einheitlicher Kriterien in angemessenen Evaluierungen kritisch untersucht werden. Dabei sollten auch regionale Besonderheiten berücksichtigt werden, etwa ländliche Räume mit schlechtem Versorgungsgrad.
Extrabudgetäre Vergütungen sollten die Ausnahme sein
Ärztliche Leistungen sollten auskömmlich vergütet werden, die Ausgaben für die ambulante Versorgung sollten aber möglichst nicht unkontrolliert ansteigen können, heißt es im Bericht. Extrabudgetäre Vergütungen sollten deshalb die Ausnahme bleiben. Die zunehmende Abschaffung von Ausgabenobergrenzen widerspreche einer wirksamen Ausgabenkontrolle, so der BRH. Auch würden konkrete Versorgungsprobleme dadurch nicht zielgerichtet gelöst.
Ärztliche Leistungen unterteilen sich in die morbiditätsbedingte Gesamtvergütung (MGV) und die extrabudgetierte Vergütung. „Die MGV sollte der Regelfall der vertragsärztlichen Vergütung sein“, heißt es in dem Schreiben an den Ausschuss-Vorsitzenden Prof. Helge Braun (CDU). Der BRH gibt an, dass die jährlichen Ausgaben für MGV und extrabudgetäre Vergütung von 2009 bis 2022 von 30,8 auf 44,2 Milliarden Euro gestiegen seien. Die MGV sei mit rund 25 Milliarden Euro weitgehend gleichgeblieben. Der Anteil der extrabudgetären Vergütung sei allerdings deutlich von 22 auf fast 43 Prozent gestiegen.
Der BRH kritisiert diese Entwicklung. Nur die MGV unterliege einer Mengen- und Ausgabensteuerung, da sie auf die notwendigen Ausgaben für den zuvor vereinbarten notwendigen Behandlungsbedarf beschränkt sei, führt er weiter an. Die extrabudgetäre Vergütung kenne keine solche Begrenzung und erhöhe damit die Gefahr unwirtschaftlicher, insbesondere medizinisch nicht erforderlicher Leistungserbringung („angebotsinduzierte Nachfrage“). Dies könne Fehlversorgungen und Ausgabenanstiege nach sich ziehen. Der extrabudgetäre Anteil an der gesamten Vergütung sollte sich deutlich verringern, fordern die Prüfer. Die extrabudgetäre Vergütung von Leistungen sollte im Wesentlichen daran ausgerichtet werden, dass sie die Qualität und Wirtschaftlichkeit der Versorgung nachweislich signifikant erhöhe.
Neben gesetzlich vorgegebenen extrabudgetären Leistungen könnten die Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) und Krankenkassen auf regionaler Ebene weitere extrabudgetäre Leistungen vereinbaren, wenn eine ärztliche Leistung besonders gefördert werden solle oder dies medizinisch erforderlich sei. Zu solchen Leistungen gebe der Bewertungsausschuss (BA) Empfehlungen ab.
Das sind die Reaktionen
Die Reaktionen auf den Bericht des Bundesrechnungshofs fallen unterschiedlich aus. So stimmte etwa der GKV-Spitzenverband den Empfehlungen weitgehend zu. Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) monierte, dass der BRH zu einseitig die Vergütungssystematik betrachtet und dabei die Versorgungssituation an sich nicht ausreichend berücksichtigt habe. Das Bundesgesundheitsministerium betonte, dass es weder Belege für noch gegen eine Versorgungsverbesserung durch die extrabudgetäre Vergütung gebe.
Das Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung (Zi) spricht von einer rückwärtsgewandten und undifferenzierten Beurteilung des BRH bei der Dynamik der extrabudgetären Gesamtvergütung. Bei neu eingeführten Leistungen, die perspektivisch einer bisher so nicht versorgten Patientenzahl zugutekommen sollten, dürfe die Mengenentwicklung nicht durch ein Budget zu einem Risiko für die Ärzteschaft werden. Problematisch sei die Behauptung, dass durch den Wegfall von mengenbegrenzender Regulierung konkrete Versorgungsprobleme per se nicht zielgerichtet gelöst werden. „Die Frage ist doch, mit welchen Methoden die vor uns liegende Aufgabe gelöst wird, die Praxen als das Rückgrat der medizinischen Versorgung in Deutschland zu erhalten“, so das Zi.
Ferner unterstreicht der BRH, dass der Vergütungsrahmen hausärztlicher Leistungen nicht grundsätzlich entfallen sollte. Um eine unterversorgte Region durch eine Entbudgetierung besser aufzustellen, sollte diese jedoch auf das jeweilige Gebiet beschränkt werden. Eine regelmäßige kritische Überprüfung sei dazu erforderlich. In Anbetracht der schwierigen finanziellen Lage der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) sowie der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung rät der BRH von einer Entbudgetierung ab.
Der Bundesgesundheitsminister habe zwar zugesagt, die Budgetierung hausärztlicher Leistungen aufzuheben. Die Prüfer sehen jedoch „keine konkreten Anhaltspunkte dafür, dass damit insgesamt die Wirtschaftlichkeit und Qualität der Versorgung von Versicherten maßgeblich verbessert würde“. Denn dadurch würde der „medizinisch notwendige Behandlungsbedarf“ als ausgabensteuerndes Kriterium „vollständig abgeschafft“, heißt es im Bericht.
Die TSVG-Leistungen? Nicht notwendig!
Die durch das Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) kürzlich eingeführten und durch das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz teilweise modifizierten extrabudgetären Leistungen sollten entfallen. Man habe keine belastbaren Nachweise dafür gefunden, dass die extrabudgetäre Vergütung für offene Sprechstunden die Versorgung durch geringere Terminwartezeiten verbessert. Insgesamt seien weder die Notwendigkeit der TSVG-Vergütungsregelungen noch die damit angestrebte Verbesserung der Versorgungsqualität belegt, betont der Bericht.
Das TSVG hatte laut BRH 2019 fünf Fallgruppen eingeführt: die Terminservicestelle-Terminfälle (TSS-Terminfall), Terminservicestelle-Akutfälle (TSS-Akutfall), Hausarzt-zu-Facharzt-Vermittlung, offene Sprechstunde und Neupatientenregelung. Letztere war zum Jahresende 2022 wieder abgeschafft worden. Die TSVG-Leistungen betrugen 2022 rund 660 Millionen Euro. Größter Posten war dabei die offene Sprechstunde mit einem Vergütungsvolumen von rund 547 Millionen Euro. 2022 zahlten die Krankenkassen für Behandlungen in TSVG-Konstellationen 4,4 Milliarden Euro, das sind 11 Prozent des Gesamthonorars.
Der Bericht des Bundesrechnungshofs soll nach Abschluss der parlamentarischen Beratungen offiziell veröffentlicht werden.