Welche Anforderungen stellt ein Implantat an das umliegende Gewebe?
Kann eine periimplantäre Augmentation von Weichgewebe den Erfolg einer Implantattherapie hinsichtlich Knochenerhalt und Ästhetik beeinflussen? Die Beantwortung dieser Frage war für die Experten der 17 Fachgesellschaften und Organisationen unter Federführung der Deutschen Gesellschaft für Implantologie im Zahn-, Mund- und Kieferbereich (DGI) und der Deutschen Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde (DGZMK) eine große Herausforderung.
Der Grund dafür ist die sehr widersprüchliche wissenschaftliche Datenbasis. Gleichwohl haben die Expertinnen und Experten in der neuen S3-Leitlinie einen Konsens und zwei Empfehlungen formuliert, in welchen Fällen das Weichgewebe im Rahmen einer Therapie aufgebaut werden sollte.
Die Empfehlungen
Das ästhetische Ergebnis verbessern: Die periimplantäre Weichgewebe-Augmentation mittels autologem Bindegewebe hat hinsichtlich Knochenabbau auch bei einer Sofortimplantation keinen negativen Effekt und sollte bei objektivierbaren Weichgewebsdefiziten und/oder Patientenwunsch zur Verbesserung des ästhetischen Erscheinungsbildes angeboten werden.
Die Hygienefähigkeit optimieren: Die Augmentation von periimplantärer keratinisierter Mukosa mittels autologem Schleimhauttransplantat führt zu keiner Erhöhung des Knochenabbaus und sollte aufgrund der besseren Hygienefähigkeit, insbesondere bei vorbestehender verschmälerter oder fehlender keratinisierter Mukosa therapeutisch angeboten werden.
Infektionen sind die häufigsten Ursachen für Entzündungen und Erkrankungen periimplantärer Gewebe bis hin zum Verlust von Implantaten. Nach groben Schätzungen finden sich hierzulande in den Mündern von Patienten etwa 25 Millionen Implantate. Da periimplantäre Erkrankungen nicht sofort nach einer Insertion auftreten, schätzen Fachleute, dass aktuell etwa 860.000 Implantate von einer Mukositis und 440.000 Implantate von einer Periimplantitis betroffen sind. Dies macht deutlich, wie wichtig die Prävention von Infektionen und Entzündungen der periimplantären Gewebe ist.
Weichgewebsmanagement – ein Schlüsselfaktor?
„Die zahnärztliche Fachwelt ist sich uneins, ob eine bestimmte Menge an keratinisierter Mukosa, eine bestimmte Dicke oder der Grad an Mobilität der periimplantären Weichgewebe hilfreich für den Erhalt eines Implantates sind”, schreiben die Autoren der Leitlinie. Die bisherigen Leitlinien zu dem Thema waren veraltet oder machten keine Angaben zu der Fragestellung der deutschen Leitliniengruppe.
Ursache dieser fehlenden Einigkeit in der Fachwelt sind widersprüchliche Ergebnisse wissenschaftlicher Studien – und die daraus resultierenden unterschiedlichen Aussagen über die Beziehung zwischen Implantat und umgebendem Gewebe. Unterscheidet sich diese Beziehung im Detail von der eines Zahns zu seiner Umgebung oder nicht? Klar ist: Periimplantäre Gewebe unterscheiden sich anatomisch von parodontalem Gewebe. Unklar ist, ob periimplantäres Gewebe dieselben Anforderungen erfüllen muss wie das Parodont. „Es ist nicht klar, ob ein Implantat andere Anforderungen an das umliegende Gewebe stellt als ein Zahn”, stellen die Fachleute klar.
Kontroverse Daten und limitierte Evidenz
Zwei vergleichsweise aktuelle systematische Reviews aus den Jahren 2012 und 2013 liefern kontroverse Daten, ob und in welchem Ausmaß die Beschaffenheit periimplantärer Weichgewebe periimplantäre Erkrankungen beeinflussen kann. Das neueste Review mit einer Metaanalyse aus dem Jahr 2018 zeigte demgegenüber einen positiven Einfluss der Verbreiterung keratinisierter Mukosa auf die periimplantäre Gesundheit. Eine Weichgewebeverdickung reduzierte den periimplantären Knochenabbau. Die Autoren der Studien betonen jedoch die limitierte Evidenz ihrer Ergebnisse.
Darum bleiben auch wichtige klinische Fragen offen, beispielsweise wie dick das periimplantäre Weichgewebe sein muss oder sein sollte. Unklar ist auch, ob eine Methode zur Gewebeverdickung den anderen überlegen ist. Darum geben der federführende Autor PD Dr. Dr. Markus Schlee (Forchheim) und seine Kollegen, koordiniert von Prof. Dr. Dr. Robert Sader (Frankfurt), zwei Empfehlungen mit einem Empfehlungsgrad B (sollte/sollte nicht) mit starkem Konsens.
Der ersten Empfehlung zufolge sollte bei objektivierbaren Weichgewebedefiziten – oder einem entsprechenden Patientenwunsch – eine periimplantäre Weichgewebe-Augmentation mittels autologem Bindegewebe angeboten werden, um das ästhetische Ergebnis zu verbessern, da von dieser Maßnahme kein negativer Effekt auf den Knochenabbau zu erwarten ist.
In der Empfehlung Nummer zwei raten die Fachleute vor allem bei vorbestehender verschmälerter oder fehlender keratinisierter Mukosa zu einer Augmentation von periimplantärer keratinisierter Mukosa mittels autologem Schleimhauttransplantat, um die Hygienefähigkeit zu verbessern. Auch hier betonen die Autoren, dass diese Therapie den Knochenabbau nicht verstärkt.
Keine Aussagen zu einzelnen Therapieverfahren
Bei der Erstellung der Leitlinie konnten die Autoren die Kosten-Nutzen-Relation der einzelnen Therapieverfahren nicht berücksichtigen, da diese nicht mit belastbarer Evidenz untersucht wurde. Deshalb treffen sie auch keine Aussagen zu:
Art und Zeitpunkt der Augmentationstechnik
wechselseitigen Interaktionen mit einer knöchernen Augmentation oder GBR-Techniken
zur Abhängigkeit von Art und Indikation der Implantatinsertion, der Implantateinheilung und von individuellen biologischen Faktoren (gingivaler Biotyp, systemische Erkrankungen).