„Es drohen dramatische Versorgungslücken“
In der Bundespressekonferenz stellten die Spitzen von Kassenärztlicher Bundesvereinigung (KBV), Kassenzahnärztlicher Bundesvereinigung (KZBV), Deutscher Krankenhausgesellschaft (DKG) und Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA) am 11. April ihre Kritikpunkte an der Gesundheitspolitik von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach dar.
Ohne unmittelbare politische Weichenstellungen seien dramatische Versorgungslücken zu erwarten, warnten die Organisationen: „Uns alle eint die Sorge darum, ob die Menschen in Deutschland auch in Zukunft noch flächendeckend und wohnortnah Ärzte, Zahnärzte, Krankenhäuser und Apotheken finden werden“, betonten sie vor der Hauptstadtpresse.
„Zahlreiche Dokumentationsvorschriften sind überflüssig“
Heftige Kritik ruft etwa die immense Bürokratielast hervor, die unter der Ampel-Regierung „nochmals zugelegt“ habe. Die Organisationen forderten die Politik auf, die Versorgung spürbar zu entbürokratisieren. Zahlreiche Dokumentationsvorschriften seien überflüssig. „Letztendlich führt die überbordende Bürokratie dazu, dass immer weniger Zeit für die Patientenversorgung bleibt“, rügen die Organisationen. Auch die Freiberuflichkeit sehen sie stark gefährdet. Anstatt die bestehenden Strukturen zu stärken und zu stabilisieren, wolle der Minister in überflüssige neue Strukturen investieren – wie etwa in Gesundheitskioske. Dadurch fehlten aber notwendige Mittel für die Versorgung.
Auf Ablehnung stößt auch die Art und Weise, wie Karl Lauterbach Politik betreibt – und diese kommuniziert. Alle vier Organisationen kritisierten neben inhaltlichen Schwachpunkten bei den Gesetzentwürfen „den mangelnden Respekt, den der Minister der Selbstverwaltung und damit letztendlich auch den Patienten, für die sie sich Tag für Tag einsetzt, entgegenbringt“. Immer wieder bezeichne er die Organisationen mit ihren gesetzlich festgelegten Aufgaben als „Lobbygruppen“ und verweigere Gespräche mit ihnen.
„Wir können die gewohnte Versorgung nicht länger leisten“
Zudem sei der Minister bislang vor allem durch größtenteils vage, öffentliche Ankündigungen aufgefallen. Konkrete politische Umsetzungen folgten entweder gar nicht, nur halbherzig oder extrem verspätet. So habe Lauterbach zu Beginn seiner Amtszeit mit Nachdruck angekündigt, dass es mit ihm keine Leistungskürzungen geben werde. De facto hätten seine politischen Entscheidungen aber dazu geführt, dass die Patienten immer weniger Leistungen an weniger Standorten erhalten werden oder bereits erhalten.
Niederlassungsfeindlich, nicht zu Ende gedacht, desaströs
KZBV-Chef Martin Hendges
Der Vorstandsvorsitzende der KZBV, Martin Hendges, warnte, dass die zahnärztliche Versorgung, „wie wir sie alle kennen“, in Gefahr sei: „Dazu gehört auch eine nicht am Praxisalltag ausgerichtete Digitalisierungsstrategieund eine überbordende Bürokratie, die uns Leistungserbringer von der Patientenversorgung abhalten“, erklärte er. Durch diese niederlassungsfeindlichen Rahmenbedingungendrohten vorzeitige Praxisschließungen. Zudem hielten sie die junge Zahnärzteschaft zunehmend davon ab, sich in eigener Praxis niederzulassen. Vor allem in ländlichen und strukturschwachen Regionen komme es bereits heute zu Versorgungsengpässen. (Mehr dazu im Leitartikel auf S. 6)
KBV-Chef Dr. Andreas Gassen
„Viel zu kompliziert, nicht zu Ende gedacht und mit kaum absehbaren gewaltigen Folgen. So lassen sich aktuell fast alle Gesetzentwürfe aus dem Hause Lauterbach beschreiben“, erklärte der Vorstandsvorsitzende der KBV, Dr. Andreas Gassen. „Gemeinsam ist den Entwürfen, dass sie eine standardisierte und zentrierte Versorgung favorisieren – und zwar mit Standards, deren Sinnhaftigkeit sich aus Versorgungssicht nicht erschließt.“ Die ärztlichen und psychotherapeutischen Praxen würden von selbstständigen Freiberuflern geführt, die im Rahmen ihrer Möglichkeiten an ihrem Standort und mit ihrem Personal individuell passend das Bestmögliche machen, so Gassen weiter. „Das passt in keine bundesweite Schablone – das wird entweder nicht verstanden oder nicht gewollt.“ Stattdessen würden völlig praxisferne Vorgaben formuliert, die den Praxen immer mehr Leistungen abverlangten.
ABDA-Präsidentin Gabriele Regina Overwiening
Die Apothekenzahl befinde sich seit Jahren im Sinkflug, erklärte die ABDA-Präsidentin Gabriele Regina Overwiening. Dadurch müssten immer mehr Patientinnen und Patienten weitere Wege zu ihrer Apotheke zurücklegen. Allein im vergangenen Jahr seien rund 500 Apotheken weggefallen – das entspreche der Apothekenzahl in Thüringen. „Auch in diesem Jahr führen die politisch verursachten Probleme zu massiven Belastungen“, so Overwiening. „Die Apothekenteams lösen die unzähligen Lieferengpässe, sie helfen den Menschen beim holprigen Start des E-Rezepts. Das alles übernehmen die Apotheken trotz zehrenden Fachkräftemangels.“ Statt die wohnortnahe Versorgung zu stabilisieren, kündige der Minister nur Scheinreformen an. „Seine aktuellen Ideen bedeuten für die Bevölkerung weitgehende Leistungskürzungen. [...] Sich ernsthaft für eine solide Versorgung einzusetzen, sieht anders aus.“
DKG-Vorstandsvorsitzender Dr. Gerald Gaß
Die große Krankenhausstrukturreform sei vonseiten des Ministeriums so schlecht gemanagt worden, dass man praktisch von einem Scheitern sprechen müsse, erklärte der Vorstandsvorsitzende der DKG, Gerald Gaß: „Stand heute liegt noch nicht einmal ein abgestimmter Referentenentwurf [...] vor. Der bekannt gewordene 'Nichtentwurf' beschreibt über 15 Seiten den Aufwuchs an Bürokratie, ohne dass die zentralen Ziele des Gesetzes auch nur ansatzweise erreicht werden. Eine Vorhaltefinanzierung, die nachweislich ihre Wirkung verfehlt, eine Krankenhausplanung nach Leistungsgruppen, die sich weit vom NRW-Modell entfernt hat und mehr Fragen aufwirft als Antworten gibt, und ein Transformationsfonds, den im Wesentlichen die Beitragszahler der gesetzlichen Krankenkassen finanzieren. Insgesamt eine desaströse Bilanz nach zweieinhalb Jahren Regierungszeit.“
KBV, KZBV, DKG und ABDA forderten Lauterbach und die Ampel daher auf, die Versorgung der Patienten wieder in den Fokus zu nehmen. „Die Stimmung der Leistungserbringer ist auf einem absoluten Tiefpunkt; Sie stoßen an ihre Grenzen und können die Versorgung, wie die Patienten sie bisher gewohnt waren, nicht mehr länger leisten“, stellten sie fest. Bevor die kommenden Gesetzentwürfe ins parlamentarische Verfahren gehen, müsse Lauterbach daher „endlich in den Dialog mit denjenigen treten, die die Versorgung täglich gestalten“. Die Lösungsvorschläge lägen ja längst auf dem Tisch, die Reformbereitschaft sei gegeben.
Falls der Kurswechsel ausbleibe, kündigten die vier Organisationen an, in den kommenden Wochen verstärkt über die verheerenden Folgen dieser Politik für die Versorgung von rund 84 Millionen Patientinnen und Patienten in Deutschland aufzuklären.