Ewald Fabian (1885–1944) – (Exil-)Publizist im Widerstand gegen die NS-Gesundheitspolitik
Ewald Fabian (Abb. 1) [Leibfried/Tennstedt, 1980] wurde am 4. November 1885 in Berlin geboren. Seine Eltern waren der Kaufmann Emil Fabian (1843–1931) und dessen Ehefrau Emma Eva Fabian (1856–1938). Er hatte sechs Geschwister. Nach dem Schulabschluss in Greifswald nahm Fabian das Studium der Zahnheilkunde an der dortigen Universität auf. 1907 erhielt er die Approbation als Zahnarzt und ließ sich in Berlin in eigener Praxis nieder [AZD, 1912; AZD, 1914].
Während des Ersten Weltkriegs wurde Fabian im Zuge einer Mittelmeerreise verhaftet und war bis 1918 Zivilgefangener in Carcassonne und Ajaccio in Frankreich, bis er krankheitsbedingt in der Schweiz untergebracht wurde. Nach Kriegsende kehrte er 1919 nach Berlin zurück, um erneut zahnärztlich tätig zu werden – zunächst am Hohenzollerndamm, später in der Uhlandstraße. 1920 folgte die Promotion zum Dr. med. dent. an der Universität Greifswald mit der Arbeit „Beitrag zur Craniotrigonometrie auf Grund von Untersuchungen an Menschen- und Anthropoidenschädeln“ [Fabian, 1920; AZD, 1920; AZD, 1925/26; AZD, 1929; Depmer, 1993; Köhn, 1994; Leibfried/Tennstedt, 1980; Leibfried/Tennstedt, 1982; Krischel/Halling, 2020].
In den USA zog ihn das Militär zum Kriegsdienst ein
Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 entschloss sich Fabian zur Emigration. Zunächst ging er nach Prag, bis ihn die Eingliederung der Tschechoslowakei in den nationalsozialistischen Machtbereich 1938 weiter nach Frankreich führte. Sowohl in Prag als auch in Paris konnte Fabian seine zahnärztliche Tätigkeit illegal in den Praxen wohlgesonnener Kollegen fortsetzen.
Mit Beginn des Zweiten Weltkriegs wurde Fabian in Paris verhaftet, konnte aber kurze Zeit später in die USA emigrieren. Dort war er in New York ansässig und arbeitete als Kassenbote und Packer für einen Verlag; eine Arbeitserlaubnis als Zahnarzt erhielt er – wie so viele andere Zahnärzte – nicht. Diese war in weiten Teilen der USA an ein Nachstudium und den Erwerb eines US-amerikanischen zahnärztlichen Diploms gebunden. 1942 zog ihn das US-Militär zum Kriegsdienst ein. Fabian verstarb bereits am 17. Februar 1944 im Alter von nur 58 Jahren in Manhattan (New York City) [NARA T715; Depmer, 1993; Köhn, 1994; Leibfried/Tennstedt, 1980; Leibfried/Tennstedt, 1982; Krischel/Groß, 2020; Krischel/Halling, 2020]. Fabian war mit der Psychiaterin Michalina Roth, geb. Endelmann (1900–1969), verheiratet. Das Paar hatte den gemeinsamen Sohn Thomas Fabian (1931–1988) [MyHeritage Stammbäume Ewald Fabian].
Schon zur Zeit des „Deutschen Kaiserreichs“ (1871–1918) vertrat Fabian antimonarchistische und sozialistische Positionen: Seit 1908 war er Mitglied der „Demokratischen Vereinigung“, 1912 trat er in die SPD ein. Als man ihn während des Ersten Weltkriegs in französischer Gefangenschaft 1918 krankheitshalber in die Schweiz überstellte, wurde er Teil der dortigen Antikriegsbewegung [Depmer, 1993; Köhn, 1994; Leibfried/Tennstedt, 1980; Leibfried/Tennstedt, 1982; Krischel/Halling, 2020].
Er war Gründungsmitglied der Sozialistischen Arbeiterpartei
Nach seiner Rückkehr nach Berlin schloss sich Fabian verschiedenen Parteien und Gruppierungen an, die in der Weimarer Republik (1918–1933) dem linken politischen Spektrum zuzurechnen waren: So war er zunächst Mitglied der „Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei Deutschlands“ (USPD) und des Spartakusbundes. Später trat er der „Kommunistischen Partei Deutschlands“ (KPD) bei und blieb dort bis zur Abspaltung der „Kommunistischen Partei Opposition“ (KPD-O), der er anschließend angehörte. 1931 zählte er schließlich zu den Gründungsmitgliedern der „Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands“ (SAP), die wiederum aus der KPD-O und anderen linken Gruppierungen hervorging [Depmer, 1993; Köhn, 1994; Leibfried/Tennstedt, 1980; Leibfried/Tennstedt, 1982; Krischel/Halling, 2020]].
Neben den besagten Mitgliedschaften war Fabian publizistisch aktiv: 1925 fungierte er als Redakteur und Mitherausgeber der Zeitschrift „Der sozialistische Arzt“ und äußerte sich nachfolgend vielfach zu gesundheitspolitischen und sozialhygienischen Themen. 1927 forderte er beispielsweise eine kostenlose zahnärztliche Behandlung in öffentlichen Krankenhäusern und verwies dabei auf die hohe Bedeutung der Mundhygiene für die Gesundheit der Bevölkerung.
Zugleich wandte er sich gegen den „Klinikzwang“, der dazu führte, dass Krankenkassen teils nur noch Behandlungen in den von ihnen selbst betriebenen Zahnkliniken finanzierten. Nicht zuletzt kritisierte er die Zulassung der nichtakademischen Dentisten zur Behandlung von (Kassen-)Patienten [Fabian, 1927] – womit er zweifellos die Mehrheitsmeinung der zeitgenössischen Zahnärzte vertrat [Groß, 1998; Groß, 2006; Schwanke/Groß, 2016]. Neben seinem publizistischen Engagement war Fabian auch als Schriftführer des „Vereins sozialistischer Ärzte“ tätig [Depmer, 1993; Köhn, 1994; Leibfried/Tennstedt, 1980; Leibfried/Tennstedt, 1982; Krischel/Halling, 2020].
Schon 1931 kritisierte er die Gesundheitspolitik der NSDAP
Fabian ist der wohl bekannteste Gegner des Nationalsozialismus unter den Zahnärzten. Er trat schon vor 1933 als Gegner der NS-Ideologie hervor. Bereits 1931 übte er scharfe Kritik an den rassistischen und antisemitischen gesundheitspolitischen Zielen der immer populärer werdenden NSDAP: „Diese reinrassigen Fanatiker sind natürlich unbelehrbar. Sonst wüßten sie, daß alle ernsthaften Anthropologen und Wissenschaftler, als einer der ersten der große, vorurteilslose Forscher Felix von Luschan, sich längst gegen die unwissenschaftlichen Rassentheorien ausgesprochen haben“ (Abb. 2) [Fabian, 1931].
Diese Position prädestinierte Fabian dazu, als Staatsfeind eingestuft zu werden, was unmittelbar nach der Machtübernahme Hitlers (1933) auch geschah [Verzeichnis der nichtarischen und staatsfeindlichen Ärzte, Zahnärzte und Dentisten, Signatur 55/82/2600]. Es folgte der Entzug seiner Kassenzulassung. Fabian legte zwar eine Beschwerde ein, diese blieb jedoch erfolglos. Noch 1933 wurde Fabian im Universum Landes-Ausstellungs-Park (ULAP) in Berlin-Plötzensee verhaftet, konnte aber von seiner Schwester „freigekauft“ werden.
Anschließend floh er nach Prag. Dort wurde er – neben der illegalen Weiterführung seiner zahnärztlichen Tätigkeit – Mitbegründer, Sekretär, Redakteur und Autor der antifaschistischen und sozialmedizinischen Zeitschrift „Internationales ärztliches Bulletin“ [Köhn, 1994; Krischel/Halling, 2020]. Hier trat er weiter gegen die nationalsozialistische (Gesundheits-)Politik ein. Zentrale Themen waren weiterhin weltanschauliche Aspekte und Kritik an der NS-„Rassenhygiene“ [Fabian, 1936; Fabian, 1937a; Fabian, 1937b], die „Gleichschaltung“ der deutschen Ärzteschaft [Fabian, 1934; Fabian, 1935a; Fabian, 1935b; Fabian, 1938], die Leugnung missliebiger Erkenntnisse aus der medizinischen Wissenschaft durch die NS-Propaganda [Fabian, 1935c] sowie sozialpolitische Aspekte der NS-Gesundheitspolitik [Fabian, 1934b].
Um seine Identität geheim zu halten und damit weiteren Repressalien zu entgehen, publizierte Fabian unter dem bereits seit 1927 punktuell verwendeten Pseudonym „Dr. E. Silva“. Mit der Besetzung der Tschechoslowakei durch die Wehrmacht 1938 war Fabian gezwungen, seine Tätigkeit als Publizist im Widerstand zu beenden und nach Paris zu flüchten, das er nach einer kurzzeitigen Inhaftierung 1939 wiederum in Richtung USA verlassen musste. Auch die Veröffentlichung des „Internationalen Ärztlichen Bulletins“ musste 1939 mit Beginn des Zweiten Weltkriegs eingestellt werden [Depmer, 1993; Köhn, 1994; Leibfried/Tennstedt, 1980; Leibfried/Tennstedt, 1982; Krischel/Halling, 2020].
Die Repressalien hielten ihn nicht vom Widerstand ab
Fabian war zweifellos einer der aktivsten Widerstandskämpfer gegen die NS-Gesundheitspolitik. Als kritischer Publizist wirkte er für die von ihm mitherausgegebene Zeitschrift „Der sozialistische Arzt“ während der gesamten Zeit ihres Bestehens (1925–1933) – zuletzt mit verstärktem Fokus auf die gesundheitspolitische Programmatik der aufstrebenden NSDAP. Die Einstufung als „Staatsfeind“, eine kurze Internierung und das Verbot der Zeitschrift zwangen ihn in die Emigration, hielten ihn aber nicht vom Widerstand ab. Seine neue Plattform war fortan das „Internationale Ärztliche Bulletin“ – auch hier veröffentlichte Fabian von der Gründung bis zur Einstellung der Zeitschrift (1934–1939) diverse Beiträge, nun fast ausschließlich zur NS-Gesundheitspolitik.
Im Vergleich mit den zuvor in dieser Reihe vorgestellten Ulrich Boelsen (1900–1990) und Hermann Ley (1911–1990) lassen sich für Fabian sowohl Parallelen als auch Unterschiede feststellen [Groß/Wellens, 2023a; Groß/Wellens, 2023b]: Fabian und Ley waren schon früh Mitglieder linker Parteien und Gruppierungen und engagierten sich öffentlichkeitswirksam (auch schon vor 1933) gegen den Nationalsozialismus. Beide wurden zu „Staatsfeinden“ und waren mehrfach interniert – mit dem Unterschied, dass Fabian den Widerstand im Exil fortsetzte, während Ley in Deutschland verblieb und diesen (vordergründig) aufgab. Boelsens Widerstand hingegen fand im Untergrund statt, wo Netzwerke aufgebaut und politisch Verfolgte versteckt wurden. Da dies nicht ans Licht kam, konnte Boelsen den Repressalien der Nationalsozialisten entgehen. Darüber hinaus konnten sowohl Boelsen als auch Ley ihr Engagement im Nachkriegsdeutschland fortsetzen und kooperierten mit den jeweiligen Besatzungsmächten.
Fabian dagegen starb 1944 und erlebte das Ende des Zweiten Weltkriegs und der NS-Diktatur nicht mehr. Zudem lag der Fokus seines Engagements in größerem Maße auf explizit gesundheitspolitischen Aspekten – was ihn zum wohl bedeutendsten zahnärztlichen Widerstandskämpfer auf diesem Gebiet macht [Kirchhoff/Heidel, 2016].
Literaturliste
AZD (Adreßkalender der Zahnärzte im Deutschen Reiche) (1912), Teil A, 21; (1914), Teil B, 8; 1920, Teil C, 13; 1925/26, Teil C, 14; 1929, Teil A, 17
Depmer (1993): Ulrich-Wilhelm Depmer, Weg und Schicksal verfolgter Zahnmediziner während der Zeit des Nationalsozialismus, Diss. Kiel 1993, 113
Fabian (1920): Ewald Fabian, Beitrag zur Craniotrigonometrie auf Grund von Untersuchungen an Menschen- und Anthropoidenschädeln, Diss. Greifswald 1920
Fabian (1927): Ewald Fabian, Zahnärztliche Behandlung in öffentlichen Krankenhäusern, Sozialist. Arzt 3/4 (1927), 40f.
Fabian (1931): Ewald Fabian, Das Rezept der Nazi-Ärzte, Sozialist. Arzt 7/1 (1931), 22
Fabian (1934a): Ewald Fabian, Von deutschen Ärzten, Int. Ärztl. Bull. 1/9 (1934), 129f.
Fabian (1934b): Ewald Fabian, Soziale Lage und Ärzteschaft im neuen Deutschland, Int. Ärztl. Bull. 1/6 (1934), 93-99
Fabian (1935a): Ewald Fabian, Von der neudeutschen Gesundheitspolitik, Int. Ärztl. Bull. (1935), 1-3
Fabian (1935b): Ewald Fabian, Ärzte im Freiheitskampf, Int. Ärztl. Bull. 2/7 (1935), 85-87
Fabian (1935c): Ewald Fabian, Der Kampf gegen die medizinische Wissenschaft in Deutschland, Int. Ärztl. Bull. 2/4-5 (1935), 65-67
Fabian (1937a): Ewald Fabian, Ihre Rassenhygiene, Int. Ärztl. Bull. 3/9-10 (1936), 117f.
Fabian (1937b): Ewald Fabian, Zum nationalsozialistischen Umbruch in der Medizin, Int. Ärztl. Bull. 4/2-3 (1937), 25-27
Fabian (1937c): Ewald Fabian, Von der Gesundheit des deutschen Volkes, Int. Ärztl. Bull. 4/9-10 (1937), 109-112
Fabian (1938): Ewald Fabian, Der Kampf der Nazis gegen die ärztliche Wissenschaft und die Ärzteschaft, Int. Ärztl. Bull. 5/5-6 (1938), 44-47
Groß (1998): Dominik Groß, Vom Handwerker zum Bildungsbürger: Die Auseinandersetzung um die Akademisierung des Zahnarztberufs in Deutschland, ZWR 107/10 (1998), 631-634
Groß (2006): Dominik Groß, Vom „Gebißarbeiter“ zum staatlich geprüften Dentisten: Der Berufsbildungsprozess der nichtapprobierten Zahnbehandler (1869–1952), in: Dominik Groß (Hrsg.), Beiträge zur Geschichte und Ethik der Zahnheilkunde, Würzburg 2006, 99-125
Groß/Wellens (2023a): Dominik Groß, Sarah Wellens, Ulrich Boelsen (1900-1990) – zahnärztlicher Widerstandskämpfer und Mitglied des „Leuschner-Netzes“, ZM 113/17 (2023), 56-59
Groß/Wellens (2023a): Dominik Groß, Sarah Wellens, Hermann Ley – Zahnarzt und „Volksfeind“ im NS-Staat, ZM 113/19 (2023), im Druck
Köhn (1994): Michael Köhn, Zahnärzte 1933-1945. Berufsverbot, Emigration, Verfolgung, Berlin 1994 (= Reihe Deutsche Vergangenheit, 113), 113f.
Kirchhoff/Heidel (2016): Wolfgang Kirchhoff, Caris Petra Heidel, „... total fertig mit dem Nationalsozialismus“? Die unendliche Geschichte der Zahnmedizin im Nationalsozialismus, Frankfurt 2016
Krischel/Groß (2020): Matthis Krischel, Dominik Groß, Zahnärzte als Täter und Verfolgte im „Dritten Reich“, ZM 110/1-2 (2020), 24-27
Krischel/Halling (2020): Matthis Krischel, Thorsten Halling, Ewald Fabian – Zahnarzt, kritischer Publizist, Widerstandskämpfer, ZM 110/7 (2020), 76-78
Leibfried/Tennstedt (1980) Stephan Leibfried, Florian Tennstedt, Berufsverbote und Sozialpolitik 1933, Bremen 1980, 121
Leibfried/Tennstedt (1982): Stephan Leibfried, Stationen der Abwehr. Berufsverbote für Ärzte im Deutschen Reich 1933-1938, Bulletin des Leo-Baeck-Instituts 62 (1982), 3-39
MyHeritage Stammbäume Ewald Fabian: Ewald Fabian in MyHeritage Stammbäume, www.myheritage.de/research/collection-1/myheritage-stammbaume [16.08.2023]
NARA T715: The National Archives and Records Administration; Washington, D.C.; Passenger and Crew Lists of Vessels Arriving at and Departing from Ogdensburg, New York, 5/27/1948 - 11/28/1972; Mikrofilm-Seriennummer oder NAID: T715, 1897-1957
Schwanke/Groß (2016): Enno Schwanke, Dominik Groß, Der Reichsverband Deutscher Dentisten: „Gleichschaltung“ – Ausschaltung – Standeskonsolidierung, in: Matthis Krischel, Mathias Schmidt, Dominik Groß (Hrsg.), Medizinische Fachgesellschaften im Nationalsozialismus. Bestandsaufnahme und Perspektiven (= Medizin und Nationalsozialismus, 4), Berlin, Münster 2016, 173-196