Formen illegaler Berufsausübung in Frankreich

Der Denturist geht um

Die Geschichte begann im Frühjahr 2023: In einem Interview auf dem Wirtschaftsradiosender BFM-Business kündigte der gelernte Zahntechniker Thierry Supplie an, in der Pariser Region eine Schule für „Denturisten“ aufzumachen – obwohl der Beruf in Frankreich gar nicht anerkannt ist.

Supplie ließ seinen Worten alsbald Taten folgen: In der Nähe von Paris gründete er ein Weiterbildungszentrum. Aus seiner Intention machte er keinen Hehl. „Das Ziel des Studiengangs Denturologie besteht darin, erfahrene Zahntechniker, die auf ihrem Gebiet kompetent und sachkundig sind, selbstständig und ohne Aufsicht in Teams für die Mundgesundheitspflege auszubilden und so zu Fachkräften im Gesundheitswesen zu machen.“

Daraufhin schaltete die Gewerkschaft Union dentaire die Französische Zahnärztekammer (Ordre National des Chirurgiens-Dentistes, ONCD) ein, die Supplie gemeinsam mit der Zahnärztekammer des Departements Seine-et-Marne (CDO 77) aufforderte, seine Machenschaften einzustellen. Vergeblich. Die Schule in Pontault-Combault unterrichtete weiter und im August/September vergangenen Jahres fanden die Prüfungen für den ersten Jahrgang statt. Ende Februar gab der Nationale Rat der Kammer schließlich bekannt, dass er eine Klage gegen den Leiter von „France Denturistes“ und auch gegen einen Bürgermeister im Departement Seine-et-Marne, der das Vorhaben unterstützt hatte, eingereicht habe.

Manche Politiker halten den „Denturisten" für die Lösung

Ungeachtet dessen wird in der französischen Presse die Einführung des Berufs des Denturisten beziehungsweise Denturologen weiterhin regelrecht angepriesen. Für die Union dentaire ist der Fall klar: „Diese Medienkampagne wird von Herrn Supplie inszeniert. der den Beruf des Zahnarztes auf inakzeptable Weise verunglimpft.“ So habe Supplie behauptet, dass „Zahnärzte dazu tendieren, im Ausland das Billigste zu kaufen, um ihre Gewinnspanne zu erhöhen“ und dass „Zahnärzte normalerweise eine Preisbindung für Zahnersatz haben, aber oft bis zu 1.000 Euro mehr verlangen, indem sie Kleinigkeiten hinzufügen und die Behandlungen nicht im Einzelnen beschreiben“.

In dem Interview hatte Supplie damals auch angekündigt, dass die Zahnmedizin in Frankreich mit der Einführung der Denturisten günstiger und umweltfreundlicher werde. Er wolle mit der Weiterbildung einen einfacheren Zugang zu herausnehmbaren Prothesen und eine umfassende Betreuung von Patienten nach der Behandlung ermöglichen, schreibt er auf seiner Website. Einige Kommunalpolitiker sprangen darauf an – im Glauben, der „Denturist" sei ein Hebel im Kampf gegen den auch in Frankreich eklatant steigenden Zahnärztemangel.

Vom Dentisten zum Denturisten

Als in den 1950er-Jahren in Europa ihr Beruf sukzessive abgeschafft wurde, wanderten viele Dentisten nach Kanada aus, wo ein – zunächst illegaler – Denturisten-Berufsstand entstand. Sie beschränkten sich größtenteils auf die Anfertigung von Teil- und Totalprothesen, die sie auch eingliederten. British Columbia genehmigte den Denturisten 1958 die Berufsausübung, 1961 wurde der Beruf landesweit anerkannt, 1971 gründete sich die Denturist Association of Canada, die bis heute diesen Berufsstand repräsentiert.

Ähnlich verlief die Entwicklung in den USA: Ende der 1970er verabschiedeten Maine, Arizona und Oregon und 1982 Idaho, 1984 Montana und 1994 Washington entsprechende Gesetze. Im gleichen Jahr wurde als Berufsvertretung die American Academy of Medical Denturitry in Montana gegründet. Denturists gibt es auch in Australien, im Vereinigten Königreich, in Belgien und in der Schweiz.

Wikipedia

Dabei gilt jeder Eingriff im Mund- und Gesichtsbereich, der von Nicht-Zahnärzten durchgeführt wird, in Frankreich als illegale Berufsausübung und ist somit strafbar. Wer den Beruf des Zahnarztes ausüben will, muss neben standesrechtlichen Auflagen über ein entsprechendes Diplom verfügen und bei der Zahnärztekammer eingetragen sein. „Unsere Mitbürger verdienen den Zugang zu einer hochwertigen und sicheren Versorgung, und die demografischen Probleme des Berufsstands rechtfertigen keine Kompromisse bei unseren Standards im Bereich der öffentlichen Gesundheit“, stellte die Vizepräsidentin der Union Dentaire, Muriel Wagner, klar.

Die demografischen Probleme des Berufsstands rechtfertigen keine Kompromisse bei unseren Standards.

Muriel Wagner, Vizepräsidentin der Union Dentaire

Einige Krankenkassen haben bereits Fragen zur Abrechnung

„Aus Sicht der Union dentaire besteht im Hinblick auf die Sicherheit der Patienten dringender Handlungsbedarf“, betonte die Gewerkschaft und legte ihre Sorge darüber im November 2023 auch in einem Brief an das Gesundheitsministerium dar: „Neben den irreführenden Informationen, die Thierry Supplie in der Öffentlichkeit über eine vorgebliche gemeindenahe Versorgung und vermeintliche erhebliche Einsparungen für Patienten und Krankenversicherungen verbreitet, besteht die Gefahr, dass unsere Mitbürger von Personen behandelt werden, die nicht über die erforderliche Befähigung zur Ausübung eines medizinischen Berufs verfügen.“

Denturist versus Zahntechniker

Ein Denturist oder Denturologe gilt als Spezialist für herausnehmbaren Zahnersatz. In den Ländern, in denen er zugelassen ist, arbeitet er völlig selbstständig, das heißt, er stellt nicht nur Zahnprothesen her, sondern setzt sie auch ein. In Frankreich werden Prothesen jedoch wie in Deutschland von einem Zahntechniker im Auftrag eines Zahnarztes angefertigt.

Jetzt muss die Justiz entscheiden. In der Zwischenzeit haben bereits einige örtliche Krankenkassen die Kammer um praktische Informationen über den Status und die Kostenübernahme von Behandlungen gebeten, die von dieser „neuen Berufsgruppe“ durchgeführt werden.

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