Aktivistengruppe übergibt Prüfbericht an britische Politiker

Manipuliert die Süßwarenindustrie Kinder?

Schrille Verpackungen und Geschmacksrichtungen, kostenloses Spielzeug: Wie oft kommen manipulative Techniken bei Süßigkeiten zum Einsatz, die die Attraktivität für Kinder steigern sollen? Die von Starkoch Jamie Oliver mitgegründete Aktivistengruppe Bite Back 2030 ließ Hunderte Produkte überprüfen und kommt zu einem klaren Urteil.

Die Studie wurde von Lebensmittelexperten der Queen Mary University of London durchgeführt. Untersucht wurden 262 Produkte der Lebensmittelunternehmen Nestlé, Mondelez, Mars, Unilever, Coca-Cola, Kraft Heinz, Danone, Ferrero, Kellogg's und Pepsico, die Kinder als Zielgruppe haben. Die Vorderseiten der Verpackungen wurden auf 18 bekannte manipulative Marketingtechniken hin geprüft. Dies sind in Gruppen zusammengefasst nach Mulligan et al. [2021]:

  • kindgerechtes Design

  • unkonventionelle(r) Form, Farbe oder Geschmack

  • Spiele, Aktivitäten oder Gutscheine auf der Verpackung

  • enthaltene Spielzeuge oder Boni

  • Nutzung von Markenzeichen, lizenzierten Charakteren, Prominenten oder Cartoons als Werbung

  • kindgerechte Ansprache oder Bilder von Kindern, Eltern oder Familien

  • Hinweise auf weitere Produktlinien oder Rezepte für Kinder

  • Appell an Spaß/Coolness

  • Werbung für Websites, Social Media oder Prämienprogramme

Außerdem wurde überprüft, ob die Produkte aufgrund ihres hohen Fett-, Salz- oder Zuckergehalts als ungesund eingestuft werden müssen. Ergebnis: Bei 78 Prozent der Produkte ist dies der Fall. Besonders schlecht schneiden Produkte von Mondelez und Ferrero ab, hier sind es 100 Prozent. Nur wenig besser: Mars (97 Prozent), Pepsico (86 Prozent) und Kellogg's (76 Prozent).

„Großbritannien schlafwandelt in eine Gesundheitskrise“

Trauriger Spitzenreiter ist das Produkt „Tic Tacs Fruit Adventure“, es enthält 91 Prozent Zucker. Gleichzeitig werben 78 Prozent der Produkte mit einer ungewöhnlichen Form oder Farbe, 75 Prozent mit einem kindgerechten Design, 67 Prozent nutzen bekannte Marken oder Charaktere als Werbung und 64 Prozent versprechen Nutzern ganz konkret „Spaß“.

Diese Ergebnisse präsentierte Bite Back Anfang Mai vor einer Untersuchung des britischen Oberhauses zu hochverarbeiteten Lebensmitteln, Ernährung und Adipositas. Geschäftsführer James Toop forderte die Politik auf, „neue Vorschriften einzuführen, um diese finsteren Taktiken der Junk-Food-Giganten einzuschränken“, andernfalls werde Großbritannien absehbar in eine vermeidbare Gesundheitskrise schlafwandeln. Jamie Oliver sprach von Tricks, mit denen „Unternehmen Kinder mit ungesundem Junk Food bombardieren“.

Industrie und Verbände wiegeln ab

Die Lebensmittelindustrie verteidigt sich gegen die Vorwürfe. Ein Sprecher von Mondelēz (Cadbury, Oreo, Tuc) erklärte etwa, man sei im Gegenteil ein „verantwortungsvoller Lebensmittelhersteller“. Außerdem würden die Produkte nur an Erwachsene und Eltern vermarktet und seien „als gelegentlicher Genuss gedacht“. Der britische Verband der Lebensmittel- und Getränkehersteller betonte, seine Mitglieder hielten sich strikt an die bestehenden Werberegelungen.

Doch vielleicht bleibt die Kritik nicht unerhört: Der britische Schatten-­Gesundheitsminister Wes Streeting äußerte sich besorgt angesichts der starken Manipulation durch Lebensmittelmarketing und sprach sich für neue Beschränkungen aus.

Literaturliste

  • Mulligan C. et al., Quantifying Child-Appeal: The Development and Mixed-Methods Validation of a Methodology for Evaluating Child-Appealing Marketing on Product Packaging. Int J Environ Res Public Health. 2021 Apr 29;18(9):4769. doi: 10.3390/ijerph18094769.

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