„Trägervielfalt sichert den Wettbewerb und die bestmögliche Versorgungsqualität“
Prof. Ullmann, welche Stellschrauben müssten aus Ihrer Sicht bewegt werden, um eine bedarfsgerechte und qualitativ hochwertige Gesundheitsversorgung in Deutschland zu gewährleisten, auch mit Blick auf die zahnärztliche Versorgung?
Prof. Andrew Ullmann: Wir müssen die Digitalisierung und eine verstärkte Patientenorientierung vorantreiben, um eine moderne Gesundheitsversorgung zu gewährleisten. Dazu kommt die dringend erforderliche Ambulantisierung und damit verbunden die Strukturreform im Krankenhausbereich. Im ganzen Gesundheitsbereich muss Qualität vor Quantität gehen. Das System ist viel zu sehr darauf getrimmt, Einnahmen über Quantität zu generieren. Das ist weder im Sinne der Zahnärztinnen und Zahnärzte noch im Sinne der Patientinnen und Patienten. Im Bereich der zahnärztlichen Versorgung halte ich es für wichtig, innovative Behandlungsmethoden zu fördern und die freiberufliche Niederlassung zu unterstützen, um eine flächendeckende, qualitativ hochwertige Versorgung sicherzustellen.
Die sachsen-anhaltische Gesundheitsministerin Petra Grimm-Benne hat das von der KZBV mit Nachdruck abgelehnte Instrument der Bedarfszulassung in die Diskussion gebracht. Wie stehen Sie dazu?
Petra Grimm-Benne und ich waren gemeinsam im gleichen Jahrgang unserer Schule, aber wir haben politisch ein paar unterschiedliche Meinungen. Ich lehne die Bedarfszulassung klar ab, da sie die freie Niederlassung und den Wettbewerb einschränken könnte. Das wäre auch ein Rückschritt für die zahnärztliche Versorgung. Eine flexiblere Handhabung, die sowohl die Versorgungsqualität als auch die unternehmerische Freiheit der Zahnärzte berücksichtigt, wäre aus meiner Sicht vorzuziehen. Ich halte es einfach für falsch, dass bei Mangelsituationen immer gleich mit dem Ruf nach noch mehr staatlicher Regulierung reagiert wird. Wir brauchen Anreize, sonst werden wir nie nachhaltige Strukturen schaffen.
Politikerinnen und Politiker – auch der Ampelkoalition – heben immer wieder die Erfolge der Zahnärzteschaft in der Prävention hervor. Welche sind für Sie hier die wichtigsten Errungenschaften?
Hier würde ich die signifikante Reduktion von Karies durch Aufklärungskampagnen, die Fluoridierung und regelmäßige Vorsorgeuntersuchungen nennen. Die Parodontitisprophylaxe ist ein weiterer Meilenstein in der zahnärztlichen Vorsorge. Dabei möchte ich hervorheben, dass diese Maßnahmen eine gesamtgesellschaftliche Bedeutung haben. Sie sollten weiterhin unterstützt und ausgebaut werden.
Wie beurteilen Sie unter diesen Gesichtspunkten die Wiedereinführung der strikten Budgetierung durch das GKV-FinStG? Ist für Sie Kostendämpfung eine Lösung, um die Probleme der GKV in den Griff zu bekommen?
Ich betrachte die Wiedereinführung strikter Budgetierungen kritisch, da diese die Innovations- und Behandlungsqualität einschränken werden. Aus meiner Sicht kann Kostendämpfung allein nicht die Lösung für die Probleme der GKV sein; der Fokus sollte vielmehr auf Effizienzsteigerung und Qualitätsoptimierung liegen. Das GKV-FinStG ist ein Notfallgesetz – es hat kurzfristig die Finanzen mehr oder weniger stabilisiert. Aber langfristig werden wir nicht durch weitere Einsparungen die Probleme der GKV in den Griff bekommen. Vielmehr gilt es hier, richtig zu investieren. Dazu zählt auch und vor allem die Prävention.
Wie sehen Sie die Folgen der Budgetierung der neuen präventionsorientierten Parodontitisversorgung für die Patientinnen und Patienten? Wird sich die FDP dafür einsetzen, die Parodontitisversorgung mit dem Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz (GVSG) aus der Budgetierung herauszunehmen?
Die Budgetierung der Parodontitisversorgung könnte negative Folgen für Patienten haben, indem sie Zugang und Qualität der Behandlungen beschränkt. Ich setze mich intern dafür ein, diese aus der Budgetierung herauszunehmen, um die Qualität der Versorgung zu sichern. Doch dazu benötigen wir Flankenschutz unserer Koalitionspartner und das ist aufgrund der angespannten Lage der GKV, die aufgrund von Ineffizienzen im Gesundheitssystem am Rande ihrer finanziellen Stabilität ist, schwierig.
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach hat zugesagt, den Investoren-MVZ im zahnärztlichen Bereich einen Riegel vorzuschieben. Im Entwurf des GVSG ist der Punkt bisher nicht aufgegriffen. Was müsste aus Ihrer Sicht geschehen, um grassierenden Auswüchsen im zahnärztlichen Versorgungsbereich entgegenzuwirken?
Grundsätzlich müssen wir uns in diesem Bereich an den Fakten orientieren. Wir wollen aber auch keine Auswüchse zulassen, die nicht im Interesse der Patientinnen und Patienten sind, oder die den Zahnärztinnen und Zahnärzten die Arbeit unattraktiver gestalten. Medizinische Versorgungszentren (MVZ) sind für uns im Rahmen der Reform und Modernisierung des Gesundheitswesens eine mögliche Form der Organisation der Berufsausübung von Ärzten und Zahnärzten. MVZ können derzeit von zugelassenen (Zahn-)Ärzten, Psychotherapeuten, Krankenhausträgern, Erbringern nichtärztlicher Dialyseleistungen, gemeinnützigen Trägern, die aufgrund von Zulassung beziehungsweise Ermächtigung an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmen, oder von Kommunen gegründet werden. Diese breite Trägervielfalt sichert den Wettbewerb, die flächendeckende Versorgung und eine bestmögliche Versorgungsqualität. Um kooperative interdisziplinäre und zukunftsfähige Strukturen unter einem Dach aufzubauen, sind Investitionen notwendig.
Heißt das für Sie, dass Private-Equity-Unternehmen in den Kreis der Träger gehören?
Wir müssen das vom Wohl des Patienten aus denken und von denjenigen, die die Patienten behandeln. Ich wüsste jetzt nicht, warum aus Prinzip bestimmte Träger ausgeschlossen werden sollten. Wer die medizinischen Qualitätsbedingungen erfüllt, der sollte Träger sein dürfen. Die ärztliche Leitung ist bereits gesetzlich geregelt, deshalb kann die Leitung eines MVZ nur ärztlich beziehungsweise zahnärztlich sein.
Erfahrungen aus anderen Ländern zeigen, dass sich Investoren kurzfristig zurückziehen können und iMVZ-Ketten pleitegehen. Wie schätzen Sie dieses Risiko ein?
Genau so etwas zeigt, dass es auf die Rahmenbedingungen ankommt. Als Gesetzgeber müssen wir darauf achten, dass so etwas nicht passieren kann, weil die Versorgung dadurch gefährdet wäre. Hier könnten wir beispielsweise durch Haftungsvereinbarungen oder Verpflichtungen Grenzen ziehen, die kurzfristig profitorientierten Investoren vermutlich zu hoch wären und diese abschrecken. Die Daten zeigen aber, dass in Deutschland Investoren eher an langfristigen Investitionen interessiert sind.
Wie stehen Sie zu der Forderung der KZBV, mit dem GVSG eine räumlich-fachliche Gründungsbeschränkung einzuführen?
Statt einem pauschalen Ausschluss von Investoren als Träger ist sicherzustellen, dass MVZ jeder Trägerart transparent und qualitätsorientiert einen Beitrag zur ambulanten Patientenversorgung leisten.
Welche Möglichkeiten sehen Sie, um im zahnärztlichen Bereich die Bürokratielast zu verringern und welche Rolle spielt hier die Digitalisierung?
Ich sehe die Reduktion der Bürokratie als essenziell an und die Digitalisierung spielt eine zusätzliche Schlüsselrolle dabei. Digitale Patientenakten und vereinfachte administrative Prozesse können Zeit und Ressourcen sparen und die Effizienz steigern. Wir haben intern eine lange Liste an Maßnahmen zur Bürokratieentlastung erarbeitet – ein großer Teil davon betrifft auch die Zahnärztinnen und Zahnärzte – und werden diese in die Verhandlungen einbringen.
Welche Verhandlungen meinen Sie genau?
Das von Bundesminister Lauterbach auf unser Drängen hin versprochene Bürokratieentlastungsgesetz.
Was müsste aus Ihrer Sicht geschehen, um die freiberufliche Niederlassung von Zahnärztinnen und Zahnärzten wieder attraktiver zu machen – vor allem auf dem Land?
Um die Niederlassung, besonders auf dem Land, attraktiver zu machen, könnten Anreize wie Steuervergünstigungen, Unterstützung bei der Praxisgründung und verbesserte Infrastrukturangebote hilfreich sein. Zwang und Quotierungen werden hier nicht helfen. Darin sehe ich auch keine Wertschätzung für die praktizierenden Zahnärztinnen und Zahnärzte.
Wie könnte man aus Ihrer Sicht den Fachkräftemangel beim Praxispersonal abbauen?
Maßnahmen zur Behebung des Fachkräftemangels liegen in der Aus- und Weiterbildung, in verbesserten Arbeitsbedingungen und in der Anerkennung ausländischer Qualifikationen. Aber wir dürfen uns im gesamten Gesundheitssystem nicht der Illusion hingeben, dass wir in Zukunft einfach überall mehr Arbeitskräfte werden einstellen können. Das hat nicht zuletzt die aktuelle Ausarbeitung des Sachverständigenrats deutlich gezeigt. Wir werden mit dem arbeiten müssen, was wir haben. Deswegen ist es umso wichtiger, dass wir bei den Strukturen ansetzen und alle sinnvollen Möglichkeiten nutzen.
Zum Beispiel?
Die innovativen Ideen müssen aus der Praxis kommen und die Aufgabe der Politik ist, diese Ideen zu fördern, um eine qualitativ gute und professionelle Versorgung zu gewährleisten. Deshalb braucht die Politik diese Partnerschaft. Zu den Ideen könnten unter anderem Präventionsprogramme gehören, statt nur Krankheiten zu behandeln. Man muss sich auch Gedanken zu Delegation und Substitution machen. Dazu kommen die Möglichkeiten von Digitalisierung und KI, die es sinnvoll zu nutzen beziehungsweise einzusetzen gilt. Das wären Möglichkeiten.
Am 9. Juni findet die Europawahl statt: Welche Bedeutung hat aus Ihrer Sicht die Europäische Union für den zahnärztlichen Berufsstand?
Die EU spielt eine wichtige Rolle bei der Harmonisierung von Standards und der Förderung der Mobilität von Zahnärzten innerhalb der Mitgliedstaaten. Dies begünstigt den Austausch von Fachwissen und Praktiken. Gerade im Hinblick auf wechselnde Arbeitsplätze muss uns daran gelegen sein, dass jeder in jedem Land der EU eine gute zahnärztliche Versorgung, auch an den innereuropäischen Grenzen, bekommen kann.
Die FDP hat sich in der letzten Legislaturperiode dafür eingesetzt, gewerbliche Aligner-Behandlungen ohne vollumfängliche zahnheilkundliche Begleitung zu unterbinden. Wird die Koalition dieses für den Patientenschutz wichtige Thema noch in dieser Wahlperiode umsetzen?
Um den Patientenschutz zu gewährleisten, sollten gewerbliche Aligner-Behandlungen ohne zahnärztliche Begleitung strikt reguliert werden. Wir werden uns dafür einsetzen, dass Vorschläge in dieser Wahlperiode eingebracht werden, um diese Praxis einzuschränken.
Wie bewerten Sie die Aussagen der Sachverständigen im Zuge der Anhörung zur Novellierung von GOÄ/GOZ? Setzt sich die FDP beim Bundesgesundheitsminister für die benötigte Novelle ein?
Die Aussagen der Sachverständigen waren sehr eindrücklich und zeigen dringenden Handlungsbedarf. Die Gebührenordnungen müssen aktualisiert werden, um sie an moderne medizinische Standards und ökonomische Rahmenbedingungen anzupassen. Leider werden GOÄ und GOZ per Rechtsverordnung des Gesundheitsministers erlassen und nicht durch das Parlament. Wir setzen uns trotzdem schon lange beim Bundesminister für Gesundheit dafür ein, dass eine umfassende und zeitgemäße Novelle der GOÄ und GOZ erfolgt, die den aktuellen und zukünftigen Anforderungen an die zahnärztliche und ärztliche Versorgung gerecht wird. Dies ist entscheidend, um die Qualität der Versorgung zu sichern und die berufliche Fairness für die Ärzte und Zahnärzte zu gewährleisten. Ich mache mir aber zumindest beim GOÄ Hoffnung, dass nach der Einigung zwischen BÄK und PKV voraussichtlich ab Ende Mai mehr Bewegung in diese Angelegenheit kommen wird, dann aber auch für die Zahnärztinnen und Zahnärzte.
Das Gespräch führten Gabriele Prchala und Susanne Theisen.