Studie zur Nutzung der ePA

Manche Diagnosen werden verschwiegen

Susanne Theisen
Stigmatisierte Krankheiten, zum Beispiel sexuellen oder psychischen Ursprungs, werden seltener in die elektronische Patientenakte (ePA) hochgeladen. Das hat eine Studie des Fachbereichs Arbeitswissenschaft an der Technischen Universität (TU) Berlin ergeben. Was die Forschenden empfehlen, um die Verschwiegenheit der Versicherten bis zum Start der ePA im Januar 2025 abzubauen.

Die Idee für die Online-Studie entstand im vergangenen Jahr, berichtet Niklas von Kalckreuth. Der Human-Factors-Ingenieur an der TU ist spezialisiert auf Datenschutzverhalten und hat die Untersuchung mit Prof. Dr. Markus Feufel entwickelt. „Auslöser war eine Umfrage, über die in den Medien berichtet wurde. Darin gaben drei von vier Deutschen an, dass sie bereit wären, die ePA zu nutzen“, sagt der wissenschaftliche Mitarbeiter. „Wir wissen aber aus anderen und unseren eigenen Studien am Fachgebiet, dass die Absichtsbekundung allein keine zuverlässige Aussage über die tatsächliche Nutzung einer Technologie ist.“ Oft bestehe hier eine Lücke.

Um zu überprüfen, wie die ePA tatsächlich genutzt wird, entwarfen die TU-Forschenden einen Click-Dummy der ePA – eng angelehnt an bestehende Patientenakten der gesetzlichen Krankenversicherungen – und legten den 241 Teilnehmenden einen von vier medizinischen Befunden vor. Dazu gehörten neben einem gebrochenen Handgelenk die Diagnosen Diabetes Typ 1, Depression und Gonorrhoe. Im nächsten Schritt wurden die Versuchspersonen gebeten zu entscheiden, ob sie ihre Diagnose in den ePA-Click-Dummy hochladen würden. Das Ergebnis (Tab. 1):

  • Von den 74 Teilnehmenden mit dem Befund Gonorrhoe luden 50 ihre Diagnose hoch.

  • Von den 62 mit der Diagnose Handgelenksfraktur waren es 53.

  • Von den 56 mit dem Befund Depression waren es 31.

  • Von den 49 Teilnehmenden mit der Diagnose Diabetes Typ 1 speicherten 46 den Befund.


Die Forschenden errechneten daraus, dass das Hochladen einer Diagnose mit hohem Stigma sechsmal häufiger abgelehnt wurde als das Hochladen einer Diagnose mit niedrigem Stigma. „Ob eine Krankheit akut ist oder chronisch, beeinflusst laut unserer Studie die Entscheidung, die Diagnose in der ePA zu speichern, demnach nicht“, bilanziert von Kalckreuth und merkt an, dass die Tendenz, bestimmte Diagnosen zu verschweigen, in der realen Versorgungssituation noch höher sein könnte.

Viele glauben, dass ihre Daten nicht sicher sind

Die Nutzung der ePA ist demnach nicht nur eine Frage der generellen Akzeptanz einer Technologie, schlussfolgert das Team der TU, sondern hängt auch von der Art der Erkrankung ab. Die Studienergebnisse legten nahe, dass sich Menschen beim Hochladen sensibler Gesundheitsdaten um deren Sicherheit Sorgen machen und dies im Zweifelsfall verweigern.

Eine Technologie, die wie die ePA in der Breite angewendet werden muss, um ihren vollen positiven Effekt zu entfalten, braucht eine niedrigschwellige Kommunikation der Sicherheitsstandards.

Niklas von Kalckreuth, Technische Universität Berlin

Was die Versicherten zögern lässt, haben die TU-Forschenden in einer Folgestudie untersucht. Darin interagierten die 117 Teilnehmenden ebenfalls mit einem Click-Dummy. Dieser enthielt unterschiedlich detaillierte Informationsblätter (Factsheets), die immer dann in einem Pop-up-Fenster eingeblendet wurden, wenn die Nutzerinnen und Nutzer sensible Gesundheitsdaten hochladen sollten. Die Factsheets informierten etwa darüber, wer Zugriff auf den Datensatz hat und wie lange dieser gespeichert wird. „Die Auswertung zeigte, dass sich das Vorhandensein der Factsheets positiv auf das Upload-Verhalten in die ePA auswirkte“, berichtet der TU-Mitarbeiter.

Konkret war es so, dass das Anzeigen der Datenschutzinformation während des Hochladens einer stigmatisierten Diagnose die Wahrscheinlichkeit, dass diese tatsächlich hochgeladen wurde, um das 3,5-Fache erhöhte. Wenn das längere Factsheet angezeigt wurde, war die Wahrscheinlichkeit sogar sechsmal höher. „Die Anzeige der Datenschutzinfo ging für die Studienteilnehmenden offenbar mit einer höheren wahrgenommenen Kontrolle und einem größeren Vertrauen in die Anwendung, geringeren Bedenken hinsichtlich der Privatsphäre und folglich mit einer höheren Gesamtabsicht, die ePA zu nutzen, einher“, schlussfolgert von Kalckreuth.

Eine gute Kommunikation erhöht die Upload-Quote

Ein entscheidender Faktor, um Versicherte zur Nutzung der ePA zu bewegen, ist aus Sicht der TU-Forschenden daher eine gute Kommunikationsstrategie über die vorhandenen Datenschutz- und Sicherheitsstandards. „Kaum jemand weiß, dass die ePA eine der sichersten digitalen Anwendungen in Deutschland ist, noch deutlich sicherer als Onlinebanking“, merkt von Kalckreuth an. „Die Versicherten brauchen vor allem griffige Informationen zum Datenschutz, die ihnen zum richtigen Zeitpunkt automatisch angezeigt werden. Aktuell ist die Situation leider oft so, dass die Infos nicht niedrigschwellig zu ihnen gelangen. Sie müssen vielmehr aktiv auf die Suche danach gehen.“

Alle ePA-Apps im Überblick

Die gematik stellt auf ihrer Website eine Liste mit Links zu den jeweiligen elektronischen Patientenakten (ePA) sowie zu den ePA-Apps der gesetzlichen Krankenkassen zur Verfügung. Um die ePA zu nutzen, müssen Versicherte sich die Anwendung ihrer Krankenkasse herunterladen. Aktuell ist noch eine vorherige Registrierung zur Nutzung der elektronischen Patien­tenakte notwendig, ab 2025 wird dann von der Krankenkasse automatisch eine ePA angelegt und die aktive Registrierung entfällt. Versicherte, die die ePA nicht nutzen wollen, müssen dem widersprechen (Opt-out). Hier geht's zum ePA-Überblick.

Die Zeit bis zur Einführung der ePA in der GKV am 1. Januar 2025 sollte genutzt werden, um über die hohen Sicherheitsstandards der Akte aufzuklären. Insbesondere die Möglichkeiten, die sich durch die Integration von Factsheets ergeben, sollten berücksichtigt werden. Denn, so von Kalckreuth: „Eine Technologie, die in der Breite angewendet werden muss, um ihren vollen positiven Effekt zu entfalten – bei der ePA wäre das beispiels­weise Kostensenkung oder Erkenntnisse über seltene Erkrankungen – sollte alle abholen und braucht entsprechend eine niedrigschwellige Kommunikation der Sicherheitsstandards.“

von Kalckreuth N, Feufel MA: Influence of Disease-Related Stigma on Patients’ Decisions to Upload Medical Reports to the German Electronic Health Record: Randomized Controlled Trial; JMIR Hum Factors 2024;11:e52625; doi: 10.2196/52625

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