Wiedergänger

Christoph Benz

Es gibt zwei Themen in der Zahnmedizin, die in der öffentlichen Wahrnehmung immer wieder zwischen einem wissenschaftlich nachgewiesenen großen Nutzen und diffusen, unbelegten Ängsten changieren. Beide Themen beschäftigen die akademische Zahnmedizin, seit es sie gibt, und beide haben mit einem chemischen Element zu tun. Im einen Fall ist es Quecksilber, im anderen Fluor, die beide gleichermaßen der scheinbare Widerspruch begleitet, zwar als reine Elemente toxisch zu sein, als Legierung (Amalgam) und als Salz (Fluorid) aber eben nicht.

Wie Wiedergänger entsteigen diese Untoten immer wieder ihrem Sarg und verbreiten Angst, kosten Beratungszeit und fördern falsche therapeutische Entscheidungen. Schön zu beobachten ist das gerade wieder beim Amalgam. Obwohl Quecksilber nun endgültig kein Bestandteil von Füllungsmaterialien mehr sein wird und dies eindeutig keine medizinischen Gründe hat, kriechen zum Abschied noch einmal alle Ängste und Befürchtungen aus ihren Löchern. Wer immer sich beteiligt, wird mit prominenten Zeitungsartikeln, TV-Beiträgen oder Online-Berichten belohnt. Nicht unwahrscheinlich, dass es vielen Propagandisten einzig und allein um diese Aufmerksamkeit geht.

Und als ob Amalgam nicht genug wäre, geistert gerade auch wieder der andere Untote herum. Eine prominent im JAMA-Open-Network (Journal of the American Medical Association) veröffentlichte Arbeit meint einen Zusammenhang zwischen der Fluoridkonzentration im mütterlichen Urin und dem neurologischen Verhalten dreijähriger Kinder beschreiben zu müssen*. Wer sich da an eine ähnliche Studie mit einer mexikanischen Testgruppe aus dem Jahr 2017 erinnert fühlt, liegt völlig richtig und darf gleichzeitig feststellen, dass sich Themen noch pseudowissenschaftlicher bearbeiten lassen.

Beide Studien simulieren das höherwertige „prospektive“ Design, indem sie bestehendes Material recyceln. In dem einen Fall war es die „Early Life Exposures in Mexico to Environmental Toxicants“-Studie, jetzt ist es die „Maternal and Developmental Risks from Environmental and Social Stressors“-Studie aus Los Angeles. Beide Studien nutzen die einmalige Urinprobe schwangerer Frauen, wie sie in der jeweiligen Primärstudie abgegeben worden war, die aber völlig ungeeignet ist, die durchschnittliche Fluorid-Exposition der Mutter darzustellen. Als Ergebnis-Variable verwendete die Mexiko-Studie noch eine persönliche Befragung anhand eines IQ-Test-Fragebogens, während man in Los Angeles einen Verhaltensfragebogen zur Selbstbeurteilung durch die Mütter versandte. Die Einflüsse, die das häusliche Umfeld auf die Intelligenz- und Verhaltensentwicklung eines Kindes nimmt, wurden in der Mexiko-Studie wenigstens noch bei einer Untergruppe mittels eines Fragebogens bestimmt – wenngleich nicht in der altersgerechten Version. In Los Angeles verzichtete man gänzlich auf diesen zentralen Parameter. Dies ist gerade deshalb so problematisch, weil die primäre Los-Angeles-Studie auf unterprivilegierte Mütter hispanischer Herkunft zielte, deren verfügbares Einkommen deutlich unter dem US-amerikanischen Durchschnitt lag.

Man wird Prof. Luc Do von der University of Queensland gerne folgen, wenn er bemerkt, dass die Los-Angeles-Studie „aufgrund der großen Mängel bei den Expositions- und Ergebnismessungen sowie der geringen Stichprobengröße nicht zum Wissensstand beiträgt“. Besonders ärgerlich ist jedoch, dass diese Publikation im JAMA den Eindruck vermittelt, die Gesellschaft könne sich die Arbeit sparen, auf den verschiedensten Ebenen den Lebensweg von Kindern aus prekären Verhältnissen zu verbessern.

Damit Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, ihre Zeit nicht mit Pseudowissenschaft vergeuden müssen, empfehle ich die Darstellung vom Kollegen Ulrich Schiffner in diesem Heft (S. 20) genau zum richtigen Thema: die Sicherheit der Anwendung fluoridhaltiger Kinderzahnpasten.

Prof. Dr. Christoph Benz
Präsident der Bundeszahnärztekammer

*Malin AJ, Eckel SP, Hu H, et al. Maternal Urinary Fluoride and Child Neurobehavior at Age 36 Months. JAMA Netw Open. 2024;7(5):e2411987. doi:10.1001/jamanetworkopen.2024.11987

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Prof. Dr. Christoph Benz

Präsident der BZÄK
Bundeszahnärztekammer

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