Ein Leben zwischen Noten und Kronen
Im Ruhestand ist Tai-Lee Park noch beschäftigter als vorher. Gerade hat er seinen 70. Geburtstag gefeiert und dafür einen Flashmob mit Musikeinlage im städtischen Einkaufszentrum organisiert. Sein Chor „Soli Deo Gloria“ sang „Heilig ist er“ von David T. Clydesdale und „Halleluja“ aus Händels Oratorium Messiah. Den Chor hat er vor 30 Jahren gegründet und leitet ihn seitdem. Mehr als 500 Musikstücke hat er mit Sängerinnen und Sängern aus ganz Ostfriesland eingeübt, die in über 200 Konzerten mehr als 80.000 Menschen zu Gehör kamen. Eine Besonderheit seiner Konzerte ist, dass die Gäste die von Park selbst vertonten biblischen Jahreslosungen mitsingen. Woher nimmt er diese Energie? „Die Musik hält mich lebendig. Das war schon immer so!“
Schon als Kind in seiner Heimat im Städtchen Sokcho im Nordosten Südkoreas. Die Familie hatte, wie viele andere auch, wenig und kämpfte gegen den Hunger. Der kleine Tai-Lee spielte in der Natur und bastelte viel. Denn ein kleines Radio oder gar eine Musikanlage gab es zu Hause nicht. Nur wenn Wandermusiker in die Stadt kamen, tönte ab und an ein Lied herüber. „Das war mein erster Kontakt mit Musik, die habe ich direkt versucht nachzusingen“, erklärt er.
Einige Jahre später komponierte er bereits selbst Lieder. „Als jüngstes Mitglied der Schulband übte ich Trompete bis meine Lippen aufplatzten. Dann ging ich nach draußen, kühlte meine Lippen mit einer Kugel Schnee und spielte weiter.“ Park wurde so gut, dass er in der Oberstufe die Leitung der Band übernahm. Tatsächlich gewann die Truppe sogar Wettbewerbe. Nach seinem Schulabschluss baute Park das Schulorchester an einer Mädchenschule in Sokcho auf. Sein Traum: Musik zu studieren.
Komposition in Korea
Sein Vater beobachtete seine Entwicklung mit Freude, aber auch mit Sorge. „'Studiere lieber Medizin, das ist sicherer. Was willst du denn als Musiklehrer machen?“, fragte er mich", erzählt Park. Ein Jahr lang stellte sich sein Vater gegen den Studienwunsch. Aber als er bei einem Konzert des Mädchenorchesters dabei war, war er total begeistert und gab seinen Widerstand auf. Die Aufnahmeprüfung für den Studiengang „Komposition“ (Musikpädagogik) bestand Park als einziger Kandidat mit 100 Prozent in der Theorie. Für diese Leistung erhielt er ein Stipendium.
Nach dem Studium ging es erst einmal zum Militär. Park kam dafür 1977 nach Seoul. Zum Glück durfte er dort das Militärorchester leiten, das für die Eliten des Landes spielte, sogar für den Staatspräsidenten. In dieser Zeit schrieb er über 50 Kinderlieder, die bis heute in Gesangbüchern veröffentlicht sind, berichtet er.
Danach war er Musiklehrer am Gymnasium und Musikvikar in der Kirche – und von 6 Uhr in der Früh bis spät in den Abend beschäftigt. Der Unterricht fand in Klassen mit bis zu 60 Schülern auch samstags statt. „Das war sehr anstrengend und ich bekam Magenbeschwerden vom Stress“, berichtet Park. „1981 beschloss ich deshalb, ins Ausland zu gehen. Nach Berlin, ich wollte Musikwissenschaften studieren.“
Musikwissenschaften in West-Berlin
An der Freien Universität lernte er seine Frau kennen. Auch sie war zum Studieren in West-Berlin gelandet. Mit 17 Jahren hatte sie neben der Arbeit auf der Intensivstation an der Abendschule ihr Abitur nachgeholt und dann Medizin studiert. Berlin zeigte ihnen erstmal die kalte Schulter: „Kaum Sonne und eine permanente Wolkendecke“, so erinnert er sich an seine erste Zeit dort in einer kleinen Wohnung im Hinterhof einer Mietskaserne in Moabit. „Es gab keine Zentralheizung, kein warmes Wasser. Und weil es zu Hause so kalt war, sind wir so lange wie möglich in der Uni geblieben.“ Schon damals leitete er einen koreanischen Chor und einen Kirchenchor. Das Pastorenpaar sammelte Geld für ihn und seine Frau: „Ohne diese Unterstützung wären wir nicht weitergekommen“, erinnert sich Park.
Park erzählt: „Als ich meine Frau geheiratet habe, fragte ich mich: 'Wie kann ich meine zukünftige Familie ernähren? Mit Musik kann ich das definitiv nicht schaffen, weil nur wenige Menschen von der Musik leben können.' Eigentlich wollte ich nach dem Studium nach Korea zurückkehren, um dort als Musik-Professor zu arbeiten. Aber meine Frau war damals gerade mit ihrem Medizinstudium fertig“, erzählt er. „Sie sagte irgendwann zu mir: 'Du besitzt eine gute Fingerfertigkeit, Du könntest auch Zahnmedizin studieren!'“
Und mit 34 das dritte Studium
„Wenn wir damals nach Korea zurückgegangen wären, hätte meine Frau Probleme in der Gesellschaft bekommen, weil dort in dieser Zeit eine Männerdomäne herrschte“, schildert er die damalige Lage: „Als wir heiraten wollten, war sie schon eine approbierte Ärztin. Es wäre eine Zumutung gewesen, dass meine Frau als Ärztin in Korea brav zu Hause bleibt und sich um die Kinder kümmert.“
Also alles wieder auf Start? Ja. Und so begann er 1988 mit 34 Jahren sein drittes Studium. „Ich hatte auch die Idee, dass ich, falls ich doch später nach Korea zurückkehren würde, mit meinen zahnmedizinischen Kenntnissen armen Menschen helfen könnte. Korea war zu dieser Zeit noch ein Entwicklungsland. Da gab es kein Krankenkassensystem oder dergleichen.“
Vita von Tai-Lee Park
1960–1972: Grundschule, Mittel- und Oberschule in Sok-Cho
1972–1973: Dirigent am Sok-Cho Mittelschul-Orchestra
1973–1977: Studium der Musikpädagogik (Komposition) in Dae-Jeun
1977: Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Mok-Won–Universität
1977–1979: Übungsleiter einer Militärkapelle in Seoul
1980–1981: Musikvikar und Musiklehrer in Seoul
1981–1983: Sprachkurs an der FU-Berlin
1983–1988: Studium der Musikwissenschaft an der FU-Berlin
Juli 1985: Heirat mit Han-Kyoung Kim
1988–1993: Studium der Zahnmedizin an der FU-Berlin
1994: Staatsexamen in der Zahnmedizin
1994: Gründung und Leitung des überkonfessionellen Chors „Soli Deo Gloria“
ab 1996: Zahnarzt in eigener Praxis in Norden
2020: Ehrenamtspreis der Norder Bürgerstiftung
seit Oktober 2022: Ruhestand
Park hatte auch Angst, er fragte sich, wie er mit den anderen Studenten mithalten sollte. „Die kamen frisch vom Gymnasium, aus dem Biologie- und Chemieunterricht.“ Als er nach dem 10. Semester schließlich zur Examensprüfung zugelassen wurde, empfand Park das als besonders mühsam: Für ausländische Studenten sei der Gang sehr schwer gewesen. „Ich habe Voreingenommenheit gespürt, wurde deutlich länger befragt in der mündlichen Prüfung. Aber: Ich habe bestanden!“
Während des Studiums erkannte er für sich, dass auch Zahnmedizin eine Kunst sei. „Wir beschäftigen uns mit dem Zahnschema und trotzdem behandeln wir jeden Patienten individuell. Wir Zahnärzte dürfen uns auch so fühlen wie ein Musiker sich fühlt, wenn er ein Lied interpretiert.“ Je länger er blieb, desto mehr verspürte er den Wunsch in Deutschland eine Praxis zu eröffnen und der Gesellschaft etwas zurückzugeben.
Und jetzt der wohlverdiente Ruhestand
Ein neues Leben begann. Seine Frau arbeitete in Norden schon als Assistenzärztin und übernahm später eine Gynäkologie-Praxis in Aurich. 1994 kam er nach, 1996 ließ er sich in Norden in eigener Praxis nieder. Seit 2022 ist er im Ruhestand. Die Praxis hat er einem jüngeren Kollegen übergeben. „Der hält den guten Ruf. Und heute habe ich mehr zu tun, als vorher noch in der Arbeit. Deutschland ist meine zweite Heimat.“
Für sein langjähriges ehrenamtliches Engagement als Kirchenvorsteher der Ludgerigemeinde und Chorleiter erhielt er 2020 den Ehrenamtspreis der Bürgerstiftung Norden. „Ich bin sehr froh, dass ich mit meiner Musik etwas weitergeben kann. Das hat immer meine Arbeit als Zahnarzt ergänzt“, so Park.