Interview mit Dr. Guido Elsäẞer zu seinem Praxisalltag mit Inklusion

„Es geht mehr, als man zunächst denkt!“

Dr. Guido Elsäßer und sein Praxisteam wurden mit dem Bundesteilhabepreis 2023 ausgezeichnet. Seit 1995 engagiert sich der Zahnarzt für die bestmögliche Versorgung von Patienten mit Behinderung. Hier erklärt er, wie er die Versorgung organisiert und woran es noch hapert.

Herr Dr. Elsäẞer, was motiviert Sie, sich in der inklusiven zahnmedizinischen Versorgung zu engagieren?

Dr. Guido Elsäßer: Aus zahnärztlicher Sicht motiviert mich und mein ganzes Praxisteam das Phänomen „Behinderung“. Welche zahnmedizinisch relevante Behinderung liegt letztlich vor? Und damit verbunden, welche individuellen Bedarfe ergeben sich daraus? Besteht zum Beispiel „nur“ ein Verständnis- oder ein Lagerungsproblem? Sollten unterstützende Personen in die Behandlung eingebunden werden? Für jeden Einzelnen müssen sehr individuelle und manchmal auch pragmatische Behandlungsstrategien entwickelt werden.

Das macht die Arbeit mit behinderten Patientinnen und Patienten spannend, nicht immer einfach, aber stets sinnstiftend. Menschen mit Behinderung sind eine sehr heterogene Patientengruppe, die als Gruppe in keine Schublade oder in Leitlinien oder Richtlinien passen.

Wie haben Sie das Praxiskonzept dafür entwickelt?

Leider habe ich im Studium nichts über die adäquate Versorgung von Menschen mit Behinderung gelernt, obwohl fast 10 Prozent der deutschen Bevölkerung einen Schwerbehindertenpass besitzen. Selbst die neue Approbationsordnung erwähnt Menschen mit Behinderung nur in einem Halbsatz. Das heißt, es blieb nichts anderes übrig, als zu schauen, was geht und was eben nicht – und wenn nicht, zu überlegen, warum nicht. Um dann zu probieren, ob es anders doch geht. Über die Jahre hat sich dadurch ein sehr komplexes Praxiskonzept entwickelt: Menschen ohne Behinderung auf hohem Niveau zu behandeln und gleichzeitig Menschen mit Behinderung adäquat in verschiedenen Settings zu versorgen.

Bei der zahnärztlichen Betreuung von Menschen mit Behinderung muss die Zahnerhaltung im Vordergrund stehen, denn Menschen mit Behinderung, die Eingliederungshilfe erhalten, sind im Durchschnitt 35 Jahre alt und die Lebenserwartung selbst bei Menschen mit komplexen Behinderungen gleicht sich der der Gesamtbevölkerung an. Inzwischen besteht ein reger Austausch zwischen Kolleginnen und Kollegen, die vermehrt Menschen mit Behinderung behandeln, in der noch jungen Fachgesellschaft für Zahnmedizin für Menschen mit Behinderung und medizinischem Unterstützungsbedarf (DGZMB). Landeszahnärztekammern bieten Fortbildungen an.

Was sind Ihre Erfahrungen im Praxisalltag?

Die positive Erfahrung vorneweg: Es geht mehr, als man zunächst denkt! Diese Erfahrung machen übrigens alle Kollegen, die Menschen mit Behinderung behandeln. Im Video, das anlässlich des Bundesteilhabepreises gedreht wurde, wird eine 30-jährige mehrfachbehinderte Patientin vorgestellt, die seit ihrer Kindheit regelmäßig zu uns kommt, optimale Unterstützung bei der häuslichen Zahnpflege bekommt und völlig kariesfrei ist! Sie ist kein Einzelfall. Es geht.

Aus unternehmerischer Sicht ist es leider so, dass aufgrund des hohen zeitlichen Mehraufwandes, der mit der Behandlung von Patienten mit Behinderung einhergeht, davor, während und nach der Behandlung, die Honorare oft nicht kostendeckend sind. Im Bereich der Prophylaxe und der PAR-Behandlung hat sich erfreulicherweise viel getan, bei der sonstigen Behandlung leider nicht. Aktuell verschärft sich die wirtschaftliche Situation, da Kons-Chirurgie-Leistungen bei Versicherten mit Behinderung auch budgetiert sind. Das ist schon bitter.

Wie hoch ist der Anteil der Versorgung von Patienten mit Behinderung in der Praxis?

Etwa die Hälfte unserer Patienten weist eine Behinderung auf.

Können Sie gegenargumentieren, wenn es heißt: Das ist kaum leistbar und rentabel?

Nur mit einem guten Praxiskonzept und einem eingespielten Team ist es bei Patienten mit komplexen Behinderungen leider nicht getan. Die vielzitierte Mischkalkulation funktioniert nicht mehr und ein Ausweichen in Privatleistungen ist bei den meisten Versicherten, die Eingliederungshilfe erhalten, selten möglich.

Ich habe aber den Eindruck, dass sich die Verantwortlichen und Entscheidungsträger inzwischen bewusst sind, dass eine nachhaltige, adäquate, zahnärztliche Versorgung in der Fläche, ambulant und wohnortnah für Menschen mit komplexen Behinderungen nur möglich sein wird, wenn es entsprechende finanzielle Anreize gibt. Die Zuschläge für die aufsuchende Betreuung zeigen ja deutlich, dass sich viele Kollegen auch langfristig gerne um sogenannte „vulnerable Patientengruppen“ kümmern, wenn es sich einigermaßen rechnet. Im Moment wird ein Aktionsplan der Bundesregierung für ein inklusives, diverses und barrierefreies Gesundheitswesen erarbeitet, in den sich auch unsere Körperschaften und Fachgesellschaften einbringen. Dass beim Bundesteilhabepreis ein Projekt aus der Zahnmedizin prämiert wurde zeigt, wie wichtig den Vertretern von Menschen mit Behinderung in der Jury eine gute zahnmedizinische Versorgung ist.

Das Gespräch führte Laura Langer.

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