Wie man mit immer weniger Ärzten immer mehr Patienten versorgt
Bei der Diagnose herrscht Konsens: Die ambulante Versorgung befindet sich Umbruch. Nun gelte es, die Weichen in der Versorgung für die kommenden Jahre zu stellen, erklärte eingangs Michael Weller, Abteilungsleiter Gesundheitsversorgung und Krankenversicherung im Bundesgesundheitsministerium (BMG). Er verwies auf das Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz (GVSG), das zeitgleich zu der Veranstaltung in erster Lesung im Bundestag beraten wurde, und prognostizierte, dass das GVSG eines der letzten größeren Versorgungssteuerungsgesetze sein werde. Dabei sei die geplante Entbudgetierung im hausärztlichen Bereich ein wichtiges Zeichen, auch für junge Ärztinnen und Ärzte.
Als das Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz (KHVVG) zur Sprache kam, das ebenfalls parallel zum Kongress im Bundestag in erster Lesung beraten wurde, nannte Weller die geplanten Regelungen zur sektorenübergreifenden Versorgung: Die ehemals diskutierten Level-1i-Krankenhäuser seien aus seiner Sicht die idealen Orte für die Grenzbereiche zwischen ambulanter und stationärer Versorgung. Vor dem Hintergrund, dass beim ambulanten Operieren Ärztinnen und Ärzte und Pflegende wegbrechen und Arztsitze nicht mehr besetzt werden, ergäben sich mit dem Gesetz neue Perspektiven, so Weller. In Richtung Selbstverwaltung betonte er: „Wir wollen keine Staatsmedizin, sondern selbstverwaltete Systeme.“
Für Prof. Dr. Nicola Bulinger-Göpfarth, Bundesvorsitzende des Hausärztinnen- und Hausärzteverbands, gehören zu den aktuellen Herausforderungen im hausärztlichen Bereich der Fachkräftemangel, die fehlende Patientensteuerung, die mangelnde Gesundheitskompetenz und die wachsende Bürokratie. Mit immer weniger Ärzten müssten immer mehr Patienten versorgt werden, das sei mit den bisherigen Strukturen kaum noch zu bewerkstelligen, sagte sie.
„Wir arbeiten noch wie vor 100 Jahren!“
Als einen Lösungsansatz stellte sie das von ihrem Verband mit der Universität Heidelberg entwickelte Konzept HÄPPI („Hausärztliches Primärversorgungszentrum – Patientenversorgung Interprofessionell“, Kasten) vor. Geboten werde dort eine interprofessionelle Versorgung in einer Teampraxis unter hausärztlicher Leitung. Eingebunden werden dabei auch akademisierte nicht-ärztliche Gesundheitsberufe, digitale Tools unterstützen die automatisierte Zuweisung von Patienten in die richtige Versorgungsebene. „Es handelt sich um ein Angebot an hausärztliche Praxen, die noch stärker auf die Versorgung von Patientinnen und Patienten im Team bauen wollen“, berichtete Bulinger-Göpfarth. „Wir arbeiten noch wie vor 100 Jahren. Wir brauchen multiprofessionelle Praxisteams und digitale Tools sollen dabei unterstützen.“
Be HÄPPI
Der Hausärztinnen- und Hausärzteverband hat in Kooperation mit der Universität Heidelberg das Versorgungskonzept „Hausärztliches Primärversorgungszentrum – Patientenversorgung Interprofessionell“, kurz HÄPPI, entwickelt. Da der Bedarf nach hausärztlicher Versorgung stetig steigt, will der Verband Strukturen schaffen, die neue Formen der Interaktion im Team ermöglichen. Die interprofessionelle Versorgung soll in einer Teampraxis unter hausärztlicher Verantwortung und Leitung erfolgen. Dabei sollen akademisierte, nicht-ärztliche Gesundheitsberufe eingebunden werden. Ein HÄPPI kann von einer Hausärztin oder einem Hausarzt gegründet werden, die beziehungsweise der dann ärztliche Direktorin oder ärztlicher Direktor im HÄPPI ist. Digitale Tools sollen dabei die Zuweisung in die richtige Versorgungsebene unterstützen.
Ein HÄPPI baut auf der Hausarztzentrierten Versorgung nach § 73 b SGB V auf. Zum Kernteam gehört mindestens eine Person eines nicht-ärztlichen akademischen Gesundheitsberufs. Kooperationen mit Kommunen, Gesundheitskiosken, Apotheken und Sozialarbeitern sind möglich.
Der Hausärztinnen- und Hausärzteverband sieht viele Vorteile durch HÄPPI. Dazu gehört eine niedrigschwellige wohnortnahe Versorgung und es können mehr Patienten behandelt werden. Für akademisierte MFA gibt es gute Entwicklungsmöglichkeiten. Außerdem meint der Verband, dass HÄPPI die Kommunikation zwischen Arzt und Patient verbessert. Durch Gatekeeping und Vernetzung könne man zudem Über-, Unter- und Fehlversorgung vermeiden. Zudem sollen HÄPPIs die inhabergeführten Praxen stärken und nicht die Gewinnförderung von Investoren antreiben.
Ein Pilotprojekt ging am 1. Juli 2024 in Baden-Württemberg an den Start und soll bis Jahresende laufen. Durchgeführt wird es in zehn Hausarztpraxen, die auch vertraglich an der Hausarztzentrierten Versorgung mit der AOK Baden-Württemberg teilnehmen. Das Projekt wird von der Universität Heidelberg wissenschaftlich begleitet und vom Ministerium für Ernährung, Ländlichen Raum und Verbraucherschutz Baden-Württemberg gefördert.
„Wir haben das Vertrauen in die Gesundheitspolitik verloren“, machte Hannelore König, Präsidentin des Verbands medizinischer Fachberufe, klar. Die Ampelkoalitionäre hätten versprochen, die Gesundheitsberufe zu stärken, bisher sei aber nur wenig passiert. Neben der Entbudgetierung im hausärztlichen Bereich müsse auch die Budgetierung im fachärztlichen Bereich fallen, forderte sie: „Warum ist hier noch ein Budget?“ Außerdem vermisse sie konkrete Maßnahmen zur Entbürokratisierung: „Wir ersticken in Bürokratie und Problemen mit der Digitalisierung! MFA wollen sich um ihre Kernaufgaben kümmern, nämlich um die Patientinnen und Patienten!“ Und: „Als Berufsgruppe fühlen wir uns vergessen. Bisher gab es von der Politik kein Gesprächsangebot.“
Dr. Norbert Smetak, Vorsitzender von MEDI Baden-Württemberg und Vizepräsident des Berufsverbands Deutscher Internistinnen und Internisten, sprach sich in der Diskussion für Hybrid-DRGs aus. Diese würden sowohl die ambulante als auch die stationäre Versorgungsebene betreffen. Außerdem unterstütze er eine bessere Steuerung der Patienten im Gesundheitssystem. „Die selbstständige Freiberuflichkeit ist Garant für eine umfassende Versorgung“, sagte Smetak.
Entbürokratisierung und kooperative Strukturen
Warum ein Medizinisches Versorgungszentrum (MVZ) in einer Region wie Uelzen die ideale Versorgungsform darstellt, erklärte Jörn H. Dietrich, Vorstandsmitglied im Bundesverband Medizinische Versorgungszentren (BMVZ) und Geschäftsführer der Leben leben Gesundheits gGmbH. Einzelpraxen sterben ihm zufolge allmählich aus, Ärztinnen und Ärzte streben in die Anstellung mit Teilzeitmodellen. Nachwuchs könne man nur dann gewinnen, wenn man kooperative Strukturen anbietet. Sein kommunales MVZ integriere die hausärztliche und die fachärztliche Versorgung an zwei Standorten, erläuterte er. Dietrich ging auch auf Investoren-betriebene MVZ ein. „Die sind nicht grundsätzlich zu verteufeln“, erklärte er. „Es muss jedoch klar definiert sein, was ein Investor darf und was nicht.“ Ketten wie bei den Augenärzten in Frankreich sieht er kritisch.