ARPA – DGP – DG PARO

Die DG PARO feiert ihr 100-jähriges Jubiläum

Vor 100 Jahren wurde die Arbeitsgemeinschaft für Paradentosenforschung (ARPA) gegründet. Sie wurde im Jahr 1970 in Deutsche Gesellschaft für Parodontologie (DGP, später DG PARO) umbenannt. Die DG PARO zählt damit nicht nur innerhalb Deutschlands, sondern auch Europas, zu den ältesten zahnmedizinischen Fachgesellschaften. Das Jubiläum wird mit einer besonderen Jahrestagung vom 19. bis 21. September 2024 in Bonn gewürdigt. Hier werden weltweit führende Parodontologen zusammenkommen und den aktuellen Stand in der Parodontologie präsentieren. Wir haben Prof. Dr. Henrik Dommisch, Präsident der DG PARO, zu den historischen Entwicklungslinien und den aktuellen Herausforderungen des Fachs und der Fachgesellschaft befragt.

Aus dem Programm der DG PARO-Jubiläumstagung in Bonn

Donnerstag, 19. September 2024: Meet the giants

Am Nachmittag kommen unter dem Titel „Meet the „Giants“ in Periodontology: looking back into the Future“ international renommierte Parodontologen in einem Symposium der ARPA Wissenschaftsstiftung in Kooperation mit der Leopoldina zusammen, berichten über ihren Werdegang und darüber, was sie inspiriert hat und geben einen Einblick in den aktuellen Stand der Forschung. Mit dabei sind: Annette Moter (Berlin), Iain Chapple (Birmingham, UK), William Giannobile (Boston, USA), Bruno Loos (Amsterdam, NL), Mariano Sanz (Madrid, ES), Maurizio Tonetti (Shanghai, CHN). Moderation: Søren Jepsen (Bonn), Prof. Christian Kurts (Bonn).

Freitag, 20. September 2024: Wissenschaftliches Hauptprogramm

Session 1: Systemische Schnittstellen (Systemic Interfaces) mit Vorträgen von Maurizio Tonetti (Shanghai, CHN), Bruno Loos (Amsterdam, NL), Iain Chapple (Birmingham, UK).

Session 2: Schnittstelle Alter (Interface Age) mit Vorträgen von Thomas Kocher (Greifswald), Frauke Müller (Genf, CH), Niklaus P. Lang (Bern, CH).

Session 3: Schnittstelle Regeneration (Interfaces in Regeneration) mit Vorträgen von William Giannobile (Boston, USA), Luigi Nibali (London, GB), Pierpaolo Cortellini (Florenz, IT).

Session 4: Schnittstelle Endodontologie (Endodontic Interfaces) mit Vorträgen von David Herrera (Madrid, ES), Eva Dommisch (Berlin), Henrik Dommisch (Berlin).

Sonnabend, 21. September 2024: Wissenschaftliches Hauptprogramm

Session 5: Schnittstelle KFO (Orthodontic Interfaces) mit Vorträgen von Conchita Martin (Madrid, ES), Karin Jepsen (Bonn), Mariano Sanz (Madrid, ES).

Session 6: Schnittstelle Implantate (Interface: Dental Implants) mit Vorträgen von France Lambert (Liège, BE), Frank Schwarz (Frankfurt am Main), Meike Stiesch (Hannover).

Session 7: Schnittstelle Zahnhals (Interface Cervical Lesions) mit Vorträgen von Raluca Cosgarea (Bonn), Anton Sculean (Bern, CH), Otto Zuhr (München).

Alle Vorträge finden in deutscher oder englischer Sprache statt – ohne Übersetzung. Zusätzlich zum Hauptprogramm finden zahlreiche Symposien und Workshops statt. Weitere Informationen unter dgparo-tagungen.de.

zm: Herr Prof. Dommisch, in unserer schnelllebigen Zeit mit unzähligen Publikationen und kaum noch in der Gesamtheit zu überblickenden Forschungsrichtungen mutet es ungewohnt an, langlaufende historische Entwicklungslinien zu verfolgen. Wer in die Geschichte der Parodontologie schaut, wird jedoch schnell überrascht sein, wie aktuell und modern man auch schon vor 100 Jahren gedacht hat. Welche Ideen aus den 1920er Jahren würden Sie da hervorheben?

Univ.-Prof. Dr. Henrik Dommisch: In der Tat waren in der Zeit der Gründung der Fachgesellschaft die Themen den heutigen sehr verwandt. Einmal ist da die Prävention zu nennen, der auch international schon früh - kurz nach der Jahrhundertwende - besondere Bedeutung beigemessen wurde. Schließlich tauchte der Begriff der „Prophylaxe“ sogar in der Namensgebung der amerikanischen Fachgesellschaft (American Academy of Oral Prophylaxis and Periodontology, 1914) auf. Bis heute gehört die Prävention der Parodontitis zu den wichtigsten zahnmedizinischen Aufgaben. In diesem Zusammenhang ist auch zu erwähnen, dass es bereits sehr früh (1926) gelungen ist, Standards zur Befunderhebung und -dokumentation sowie Behandlungsrichtlinien zu formulieren und diese der Sozialversicherung zu empfehlen. Bis heute befindet sich die Deutsche Gesellschaft für Parodontologie im engen Austausch mit Krankenkassen und berufspolitischen Verbänden, um die Versorgung von Patientinnen und Patienten mit Parodontitis in Deutschland sicherzustellen.

Eine weitere wichtige Erkenntnis der damaligen Zeit war die systemische Einbindung der Parodontitis. Dass die Gesundheit der Mundhöhle nicht isoliert vom Körper betrachtet werden kann, war schon sehr früh klar. Bereits in den alten Lehrbüchern aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wird beispielsweise der Zusammenhang zwischen Diabetes mellitus und Parodontitis umfassend diskutiert. Ausgehend von dieser grundlegenden Überzeugung suchte man den interdisziplinären Austausch. Bereits kurz nach der Gründung der ARPA im Jahr 1926 fand die erste Gemeinschaftstagung mit den Internisten statt. Damals wie heute untersuchte man die Assoziationen zwischen parodontaler und systemischer Gesundheit. In dieser Tradition stehen heute die vielen Kooperationen sowohl international innerhalb der parodontologischen Disziplin wie in der European Federation of Periodontology (EFP) als auch interdisziplinär mit ärztlichen Fachgruppen wie beispielsweise mit Hausärzten, Kardiologen, Diabetologen. Die in den letzten Jahren verabschiedeten großen Leitlinien der EFP zur Therapie der Parodontitis und zur Prävention und Therapie periimplantärer Erkrankungen und Konditionen sind Ergebnisse dieser Arbeit.

Wie ging es nach den ersten Jahren historisch weiter?

Die Jahre zwischen 1933 und 1945 (und auch noch später) waren auch für die deutsche Parodontologie „dunkle Jahre“. Es kam in den Jahren nach 1933 zu einem regelrechten Exodus vor allem jüdischer Kolleginnen und Kollegen, die ihre Stellungen in Universitäten und Instituten verloren. Namhafte Zahn-/Mediziner und Wissenschaftler haben Deutschland verlassen, um dem Regime und den auch für die Wissenschaft sehr harten Verhältnissen zu entkommen. So kam es zu einem – wie man heute sagt – „brain drain“: Durch die Emigration verlor die deutsche Parodontologie viele ihrer wichtigen Protagonisten - mit Auswirkungen auf die Forschung und das internationale Ansehen. Erst in der Zeit ab den späten 1980er Jahren begann sich dieser Zustand zu verbessern. Zunächst existierten im geteilten Deutschland noch zwei getrennte Fachgesellschaften für Parodontologie. Die Wiedervereinigung Deutschlands brachte schließlich den Zusammenschluss der Fachgesellschaften und der Ausbau der internationalen Kooperation mit der EFP sorgte für den Beginn einer neuen Ära. Heute gehört die Deutsche Gesellschaft für Parodontologie  zu den größten Fachgesellschaften innerhalb der EFP.

Seit Robert Koch galten Bakterien als Auslöser von Krankheiten, so auch seinerzeit bei der Parodontose. Die begriffliche Verschiebung zur „Parodontitis“ zeigte gleichzeitig einen Erkenntnisfortschritt an: Parodontitis wurde nicht mehr als Infektionskrankheit, sondern als inflammatorischer Prozess begriffen …

… die begriffliche Anpassung war Ausdruck einer grundlegenden Änderung im Verständnis der Erkrankung. Dazu zählt nicht nur der methodische beziehungsweise technische Fortschritt im Hinblick auf die Mikrobiologie, sondern im Besonderen auch hinsichtlich der Immunologie. Es wurde deutlich, dass Parodontitis eine komplexe Entzündungserkrankung des Menschen und nicht des Zahnes ist. Im Speziellen bedeutet das, dass die Zusammenhänge zwischen mikrobiellem Angriff und der Körperbarriere wesentlich tiefer verstanden wurden. Bis heute spiegelt diese gegenseitige Beeinflussung das wissenschaftliche Interesse wider. Die Funktionsweise unseres Immunsystems spielt in diesem Zusammenhang eine entscheidende Rolle, denn in Abhängigkeit von der individuellen immunologischen Kompetenz kann die Reaktion auf die mikrobielle Umwelt – und hier im speziellen auf den sich zur Dysbiose entwickelnden Biofilm auf der Zahnoberfläche – unterschiedlich stark ausfallen. Grundsätzlich wird eine angemessene von einer unangemessenen Immunantwort unterschieden. Die Art und Weise der Reaktion des angeborenen und adaptiven Immunsystems wird durch unterschiedliche Einflussfaktoren bestimmt. Hierzu gehören neben grundlegenden genetischen Risikofaktoren (inklusive Syndromerkrankungen) vor allem das Rauchen (beziehungsweise der Tabakkonsum in jeder Form) und Diabetes mellitus, wenn dieser nicht gut eingestellt ist. Vor allem letzterer Aspekt hat dazu beigetragen, dass sich das Verständnis bezüglich der Parodontitis nicht nur innerhalb der Zahnmedizin, sondern auch in entsprechenden Fachbereichen der Medizin maßgeblich verändert hat.

In der Mikrobiologie geraten zunehmend Phagen, also auf spezifische Bakterienarten fokussierte Viren, in den Blick der Wissenschaft. Phagen oder auch künstliche Phagenproteine könnten eines Tages in der Lage sein, Bakterien des roten Komplexes gezielt aus dem oralen Mikrobiom zu entfernen. Ist das eine realistische Zukunftsvision?

Aufgrund der wissenschaftlichen Daten, auch aus der Medizin, ist das sicher ein Teil einer realistischen Zukunftsvision, jedoch nicht unbedingt in unmittelbarer Zukunft, wenn es um die umfassende Anwendung im Rahmen der Parodontitistherapie geht. Der Hintergrund ist die Tatsache, dass es in den letzten Jahren neue Technologien ermöglicht haben, einen wesentlich tieferen Einblick in die orale Mikrobiologie zu bekommen. Hierzu gehört zum einen die Entschlüsselung des oralen Mikrobioms im Jahre 2010, welche zeigte, dass wir es mit 1.179 unterschiedlichen Taxa zu tun haben, von welchen gerade mal circa 24 Prozent namentlich bekannt sind. Zum Zweiten ist in den vergangenen Jahren das Wissen hinsichtlich der tatsächlichen Entwicklung des Biofilms erheblich angewachsen. Hier ist die Einführung der Begriffe „symbiotischer Biofilm“ und „dysbiotischer Biofilm“ Resultat dieses Forschungsfortschritts. Zusammengefasst erlauben diese neuen Erkenntnisse einen tiefen Einblick in die Mikrobiologie, jedoch bringen diese mindestens ebenso viele neue Fragen auf. Vor diesem Hintergrund ist die Identifikation des mikrobiologischen Ziels der Phagen für eine solcher Therapie entscheidend. Das heißt es stellt sich die Frage, welche Bakterien sind die pathogenen „Drahtzieher“, welche Bakterien sind für die Ausbildung des dysbiotischen Biofilms verantwortlich? Mit der Antwort auf diese Fragen und dem bereits vorhandenen Wissen werden wir therapeutische Ansätze mit Phagen und neue Wege in Prävention und Therapie der Parodontitis entwickeln können.

Von den Anfängen vor 100 Jahren bis in die heutige Zeit hatten Parodontologen immer auch die systemischen Implikationen parodontaler Erkrankungen im Blick. Insofern hat man das moderne Verständnis der Zahnmedizin als orale Medizin bereits vorweggenommen. Die Jubiläumstagung hat mit Ihrer Überschrift „Schnittstellen“ genau die Querverbindungen in die Facharztdisziplinen thematisiert. Wo stehen wir heute in der interdisziplinären Vernetzung der Parodontologie?

Wie erwähnt ist die Vernetzung von Medizin und Zahnmedizin seit jeher das zentrale Thema der Parodontologie und damit auch der DG PARO. So lag es nahe, die diesjährige Jahrestagung so zu konzipieren, dass die Schnittstellen der Parodontologie mit Medizin und Zahnmedizin herausgestellt werden. Im Rahmen des Hauptprogramms werden insgesamt sieben Schnittstellen in sieben Sessions präsentiert und diskutiert werden. Hierzu gehören die Schnittstellen zwischen Parodontologie und Allgemeinmedizin, Alter, Regeneration, Endodontologie, Kieferorthopädie, Implantologie sowie zervikalen Läsionen. Diese unterschiedlichen Themen werden von exzellenten, international ausgewiesenen Referentinnen und Referenten aufbereitet und präsentiert.

Besonders deutlich zeigt sich die interdisziplinäre Vernetzung der Parodontologie mit der Publikation der Leitlinie zur Behandlung der Parodontitis Stadium IV. Hier ist im Wesentlichen die Expertise aller Fachdisziplinen der Zahnmedizin eingeflossen. Um vielleicht ein Beispiel zu nennen: Der Vernetzung von Kieferorthopädie und Parodontologie. Diese Schnittstelle eröffnet für Patienten mit Parodontitis (Stadium IV, Falltyp 2) vollkommen neue Perspektiven. Die existierenden wissenschaftlichen Daten hinsichtlich dieser kombinierten Therapie zeigen, dass die kieferorthopädische Therapie bei Patienten mit Parodontitis und zum Beispiel einer aufgefächerten Oberkieferfront sicher und vorhersagbar durchgeführt werden kann. Natürlich immer unter der Voraussetzung, dass die Entzündungserkrankung – Parodontitis – therapiert ist (Stufe 1 und 2, gegebenenfalls Stufe 3 der Therapie, nach Reevaluation und Erreichen der erforderlichen therapeutischen Endpunkte). Dazu wird es eine eigene Session geben, in der die weltweit führenden Kolleginnen und Kollegen Daten und klinische Fälle präsentieren werden.

Die Leitlinie zur Behandlung der Parodontitis Stadium IV ist hinsichtlich der Abstimmungen der einzelnen Empfehlungen bereits für die deutschen Bedingungen bearbeitet worden. Das heißt sie wird in den nächsten Monaten ebenfalls in Deutschland in deutscher Sprache erscheinen. Ein weiteres Beispiel für die inzwischen immer weiter fortschreitende interdisziplinäre Vernetzung mit medizinischen Fachgruppen ist die ebenfalls noch in diesem Jahr erscheinende Leitlinie „Diabetes und Parodontitis“. Diese Leitlinie ist in direkter Zusammenarbeit mit der Medizin entstanden.

Mit der zunehmenden Verbreitung implantologischer Versorgungen wird nun zeitverzögert auch das Thema Periimplantitis immer wichtiger in der Parodontologie. Da das Implantat jedoch ein iatrogen gesetzter Risikofaktor ist, gewinnt der Begriff der „Prävention“ bei der Periimplantitis eine völlig neue Bedeutung. Welche Unterschiede gibt es zum Präventionskonzept der Parodontitis?

Es ist richtig, die periimplantären Erkrankungen und Zustände wurden 2018 in die aktuelle Klassifikation aufgenommen und mit den entsprechenden klinischen Falldefinitionen nachvollziehbar eingeteilt. Die von der EFP jüngst verabschiedete Leitlinie „Prävention und Therapie peri-implantärer Erkrankungen“ hat sich umfassend mit dem Thema Prävention beschäftigt. Dort wurde neu der Begriff der „primordialen Prävention“ eingeführt. Dieser konzeptionelle Ansatz sagt im Wesentlichen, dass periimplantäre Erkrankungen a priori vermeidbar sind – und eben nicht nur durch die Kontrolle des oralen mikrobiellen Biofilms wie bei der Parodontitis. Das bedeutet, die  Prävention der Periimplantitis beginnt bereits vor der implantologischen Versorgung: Nach einer umfassenden Anamnese und Befundaufnahme sollte die „richtige Diagnose“ gestellt werden und in einen strukturierten Behandlungsplan münden, denn bereits bevor ein Implantat inseriert wird, können Maßnahmen getroffen werden, die eine spätere Entzündungssituation vermeiden können. Berücksichtigt werden dabei unter anderem die medizinische Situation, der parodontale Status (Achtung: Parodontitis), die lokalen knöchernen und weichgeweblichen Bedingungen sowie die Planung der schließlich ausgeführten restaurativen Rehabilitation. Auch die Schnittstelle mit der Implantologie wird übrigens im Rahmen der Jubiläumstagung ausführlich behandelt.

Das Gespräch führte Benn Roolf.

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