Auslandsfamulatur auf den Cookinseln

Mit „Laid Back“-Mentalität zur Extraktion

Paulina Bleiel
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Simon Schäfers
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Felix Börgerding
Auf den Cook Islands weit draußen im Südpazifik herrscht zwar eine entspannte Grundstimmung und die Naturkulisse ist traumhaft. Dafür gibt es aber viel Karies und keine Krankenkassen. Die Patienten müssen selbst für ihre Behandlungen aufkommen – und die Extraktion ist oft am günstigsten. Wir staunten aber am allermeisten, wie viel mit den wenigen Mitteln bei unserer Famulatur möglich war.

Internationale Auslandserfahrungen oder ein Erasmus-Semester sind bedingt durch den Studienaufbau für Zahnmediziner nur erschwert möglich. Deshalb haben wir uns für eine Famulatur in den Semesterferien entschieden – und bekamen schließlich die Zusage für einen Einsatz auf den Cookinseln am anderen Ende der Welt. Die Inselgruppe ist seit 1965 unabhängig und auf den 15 Inseln leben insgesamt um die 17.000 Menschen. Zu den Amtssprachen zählen Englisch und „Cook Islands Maori“. Der Tourismussektor besitzt den größten Anteil an der wirtschaftlichen Wertschöpfung des Landes und ein Großteil der Einwohner sind dort beschäftigt.

Anfang Februar landeten wir auf Rarotonga, der größten Insel mit der Hauptstadt Avarua, und checkten für die kommenden Wochen in unserem Hostel ein. Direkt während des ersten Wochenendes konnten wir die Gelassenheit, die sogenannte „Laid back“-Mentalität der Inselbevölkerung spüren. Aber selbstverständlich gibt es auch auf der paradiesischen Insel Zahnschmerzen. Vor allem von stark kariösen Zähnen hatten wir gehört. Nach einer Einführung in die Praxis und Arbeitsweise der Klinik, konnten wir schnell selbst behandeln. Betreut wurden wir dabei durch die Zahnärzte vor Ort. Diese sind alle auf den Fidschi-Inseln für sechs Jahre zur Dental School gegangen und arbeiten anschließend in der zum Gesundheitsministerium gehörenden Zahnklinik. Anstellungsträger ist also das Gesundheitsministerium, Umsatzbeteiligungen oder sonstige Leistungsentgelte gibt es nicht.

Die Ausstattung haben die Zahnis angeschleppt

Auf den Cookinseln gibt es keine Krankenkassen. Das bedeutet, jeder Patient ist Selbstzahler. Üblicherweise müssen die Behandlungskosten vor Behandlungsbeginn gezahlt werden. Die Kosten hierfür sind von der Regierung festgesetzt worden. Das Kostenniveau soll gewährleisten, dass sich die einheimische Bevölkerung Behandlungen leisten kann. Allerdings umfasst der Leistungskatalog nicht alle medizinisch möglichen Leistungen. Über anfallende Mehrkosten entscheidet die Regierung. Immer wieder konnten wir beispielsweise beobachten, dass sich Patienten anstelle der umgerechnet 75 Euro teuren Wurzelkanalbehandlung für die 10 Euro teure Zahnextraktion entschieden.

Die Zahnklinik verfügt über fünf Behandlungszimmer, ein kleines Praxis­labor, einen Sterilisationsraum, ein OPG und ein Praxisprogramm. Das Inventar besteht hauptsächlich aus Materialien und Instrumenten, die von deutschen Studierenden mitgebracht wurden. Die Behandlungseinheiten sind teilweise in ihren Funktionen eingeschränkt, allerdings sind mit etwas Improvisation die meisten Behandlungen durchführbar. Insgesamt sind sieben Zahnärzte und eine Kiefer­orthopädin angestellt, der Klinikbetrieb beginnt um 8 und endete gegen 16 Uhr mit einer Stunde Mittagspause. Jeden Tag stand ein Arzt im Rufdienst für Notfälle zur Verfügung. Da es nur fünf Behandlungsstühle gab, haben die Ärzte uns fast alle Behandlungen übernehmen lassen und uns bei Fragestellungen geholfen und assistiert.

Die angestellten Zahnärzte waren unglaublich hilfsbereit und wir konnten in kurzer Zeit viel dazu lernen. Beeindruckt hat uns dabei vor allem, wie mit wenigen Instrumenten und eher eingeschränkt komfortabel ausgestatteten Stühlen viele Behandlungen ermöglicht wurden und die Ärzte immer versuchten, das bestmögliche Ergebnis für jeden Patienten zu erzielen.

Mundgesundheit und vor allem Prophylaxe spielen für den Großteil der Bevölkerung eine eher untergeordnete Rolle. Teilweise erzählten uns Patienten, dass sie sich nur einmal im Jahr die Zähne putzen würden. Besonders erschreckend war die Mundhygiene mancher Jugendlicher und Kinder. In diesem Zusammenhang gehörte es regelmäßig dazu, dass wir frisch durchgebrochene Zähne entfernen mussten, da diese tiefgehend kariös zerstört waren.

Das Gesundheitsministerium versucht, dieses Problem mit Aufklärungen über Prophylaxe und gesunder Ernährung in den Schulen zu lösen. Wir haben an verschiedenen Veranstaltungen teilnehmen dürfen, aber den Eindruck, dass Veränderungen im Bewusstsein der Bevölkerung noch viel Zeit in Anspruch nehmen.

Mancher erzählt, dass er nur einmal im Jahr putzt

Für viele Patienten stellt ein (lockerer) Zahn mit Schmerzen ein Problem dar, das entfernt werden muss. Dementsprechend werden viele Behandlungen direkt durch den Patientenwunsch bestimmt. Prothetisch wurden hauptsächlich Totalprothesen von den Zahnärzten hergestellt. Die Totalprothese ist auf dem Island sehr beliebt, da die meisten Patienten ihre eigenen Zähne eher als potenzielle Schmerzquelle wahrnehmen und vorzugsweise alle extrahiert bekommen möchten. Interimsprothesen waren eher untypisch oder wurden aufgrund von zeitlichen Engpässen im Labor vermieden. 

Zu unseren Aufgaben zählten somit hauptsächlich die chirurgische Zahn­entfernung und zahnerhaltende Maßnahmen wie Füllungen, Wurzelkanalbehandlungen aber auch prophylaktische Zahnreinigungen. Die Zahnärzte sind im Bereich der Zahnentfernung sehr gut ausgebildet – wir konnten viel dazulernen und unsere praktischen Fähigkeiten in diesem Bereich weiterentwickeln. Füllungen waren ebenfalls auf einem sehr akzeptablen Niveau durch gute Qualität des Materials möglich. Da an manchen Einheiten kein Licht existierte, stellten Kanalbehandlungen im Seitenzahnbereich uns vor besondere Herausforderungen. Auch hier konnten die Zahnärzte vor Ort uns wertvolle Tipps geben.

Ab ins Ausland. Aber wie?

Von der ersten Überlegung bis zum Abflug gibt es viele Fragen zu beantworten: Wohin kann es gehen? Wie sind die Gegebenheiten vor Ort? Was passiert bei einer unvorhergesehenen Katastrophe und was will man am Ende auf jeden Fall mit nach Hause nehmen? Bei all den Fragen hilft der Zahnmedizinische Austauschdienst (ZAD) weiter, auch die Erfahrungsberichte von anderen Studierenden können Licht ins Dunkle bringen.

„Während ein Auslandsaufenthalt bei anderen Studiengängen mehr oder weniger dazugehört, absolvieren diesen immer noch recht wenige Zahnmedizinstudierende. Dabei kann die Famulatur im Ausland einen großen Erfahrungsschatz bereithalten“, sagt Ralf Rausch vom Freien Verband Deutscher Zahnärzte (FVDZ). „Deshalb unterstützen wir den ZAD und stehen dem ZAD seit vielen Jahren mit unserer erfahrenen Mitarbeiterin Doris Bungartz zur Verfügung.“ Der ZAD rät, bereits ein Jahr im Voraus mit der Planung zu beginnen. Die Voraussetzungen für eine Teilnahme sind die Immatrikulation fürs Zahnmedizinstudium während des Zeitraums sowie der erfolgreiche Abschluss des ersten klinischen Behandlungskurses – um vor Ort auch behandeln zu dürfen. Das geschieht dann selbstverständlich nur unter Aufsicht eines approbierten Arztes.

Über eine Adressliste, die der ZAD nach sorgfältiger Prüfung der Organisationen im Ausland zur Verfügung stellt, können interessierte Studierende die Einsatzorte auswählen und dann mit den Ansprechpartnern beziehungsweise Projektleitern in Kontakt treten. Die Empfehlung lautet, sich gleich mehrere Möglichkeiten herauszusuchen. Es kann nämlich schon einmal passieren, dass es mit einer Destination nicht klappt. „Dann ist es gut, wenn Alternativen bekannt sind“, erklärt Bungartz. Für jede einzelne Bewerbung nimmt sie sich sehr viel Zeit. Dabei legt sie großen Wert darauf, dass die Betreuung der Studierenden vor Ort den Ansprüchen und Vorgaben des ZAD entspricht. Deshalb hört sie immer genau zu, was die Nachwuchszahnärzte aus dem Ausland berichten. Der Erhalt eines Projekts lebt also auch vom Feedback der Studierenden. 

Eigene Vorbereitung und Vorsorge

Grundsätzlich kümmern sich die Studierenden selbst um den Aufenthalt. Für alle Fragen steht der Verein zur Verfügung. Und Bungartz rät, lieber einmal mehr nachzufragen, als mit Unklarheiten loszuziehen und vor Ort dann ins Stocken zu geraten. Als Beispiel nennt sie das Thema Versicherungsschutz im Ausland. Weiter können Visum und Impfungen sowie die Sicherheitslage vor Ort und die Wetterbedingungen zur Einsatzzeit relevant sein für die Vorbereitung. Auf www.zad-online.com finden sich alle notwendigen Informationen rund um die Auslandsfamulatur, auch als kleine Checkliste, sowie viele Erfahrungsberichte – von Brasilien über Peru bis zu den Cookinseln. Die meisten Interessenten erfahren auf Infoabenden der Organisationen, worauf sie achten müssen und erfahren etwa auch, welche Materialien vor Ort sind oder ob sie etwas organisieren sollen. sollen.

Bei der Wahl des Einsatzlandes hält sich der ZAD zurück. Grundsätzlich gilt: Jeder sollte sich vorher überlegen, wie er den Auslandseinsatz angehen kann und was er dort erreichen möchte. Für die Anerkennung der Auslandsfamulatur und den Erhalt des Förderbeitrags müssen die Studierenden eine unterschriebene und gestempelte Bescheinigung der Organisation mit nach Hause bringen und mindestens 30 Tage offiziell im Einsatz gewesen sein. Das wird sehr sorgfältig geprüft, damit die begrenzten, öffentlichen Fördermittel den Richtigen zur Verfügung stehen. Die Fördermittel stellt der Deutsche Akademischen Auslandsdienst (DAAD) zur Verfügung. Um die 1.000 Euro Förderung in Form eines Reisekostenzuschusses gibt es rückwirkend nach der Anerkennung. 

Lernen ohne heimischen Luxus

Für wen ist die Auslandsfamulatur geeignet? Für alle! „Das ist eine einmalige Erfahrung, die für die meisten später im Berufsleben so nicht mehr kommt. Die Studierenden lernen innerhalb kurzer Zeit unheimlich viel – abseits des Komforts in den Unis, manchmal ohne Licht und fließend Wasser, auf einem einfachen Stuhl im Schatten einer Palme“, fasst Bungartz zusammen. Das trainiere die Flexibilität und vor allem auch die Hilfsbereitschaft untereinander, die Teamfähigkeit und damit zurechtzukommen, was vor Ort vorhanden ist. Aspekte, die für das spätere Arbeiten wertvoll sind. In manchen Regionen sind die medizinischen und zahnmedizinischen Helfer weit und breit die einzigen, die Menschen sehr dankbar für die Versorgung. Oft finden die Helfer schwer kariöse Zähne, Abszesse und müssen viele Extraktionen durchführen. Eine Handreichung für die ethisch-rechtlichen Gesichtspunkte bei Hilfseinsätzen hat Univ.-Prof. Dr. med. Dr. med. dent. Dr. phil. Dominik Groß vom Institut für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin der RTWH Aachen University zusammengestellt (QR-Code).

Übrigens: Kommt es zu unvorhergesehenen Schwierigkeiten, etwa bei Naturkatastrophen oder Unruhen, werden alle Deutschen im Krisengebiet erfasst und nach Hause geflogen. Eine Registrierung wird vor dem Einsatz über die „elektronische Erfassung von Deutschen im Ausland“ empfohlen, die auf der Website des ZAD verlinkt ist. 

Der grobe Ablauf in Stichpunkten:

  • Zeitraum sowie Famulaturland auswählen

  • Organisation/Uni im Wunschland anschreiben

  • nach Rückmeldung die Förderung beim ZAD beantragen

  • Famulatur weiter vorbereiten, zum Beispiel Spenden sammeln, Flug buchen etc.

  • Famulatur absolvieren

  • nach Famulaturende einen Bericht an den ZAD senden

Für viele Patienten ist es normal, mit steigendem Alter Zähne zu verlieren, und dieser Prozess endet mit einer Versorgung per Totalprothese. Außerdem haben wir viele mit einer Parodontitis-Erkrankung gesehen. Paro-Therapien sind bisher aber kein Bestandteil der Behandlungen der Zahnklinik. Auf den Cookinseln sind auch Adipositas und Diabetes weit verbreitet, weshalb die Regierung seit einigen Jahren probiert, mit immer neuen Programmen eine verbesserte Gesundheit der Bevölkerung zu fördern. Hieran beteiligt sich auch die Zahnklinik – beispielsweise durch die Aufklärung von Kindern oder Aktionen zum „Oral Health Day“ der FDI, um auf die Bedeutung von Prophylaxe aufmerksam zu machen und präventive Arbeit zu fördern.

Lieber Totalprothese als  Zahnschmerzen

Auch wir haben täglich probiert, Patienten darüber aufzuklären und auf das Thema hinzuweisen. Häufig hat man allerdings das Gefühl, hier auf taube Ohren zu stoßen und vielen Patienten ist die Bedeutung schlichtweg nicht bewusst. Zusätzlich ist das Nahrungsangebot eher eingeschränkt, da die Lebensmittel aus Neuseeland per Schiff importiert werden müssen. Frische Lebensmittel sind nur in geringerem Ausmaß vorhanden und teilweise leere Supermarktregale gehörten zu unserem Alltag.

Insgesamt war die Zeit für uns eine unvergessliche Erfahrung. Wir konnten auf den Cookinseln viele praktische Erfahrungen sammeln und für uns unkonventionelle, aber auch neue Wege der zahnmedizinischen Behandlung kennenlernen. Die Menschen, die wir dort getroffen haben, waren außer­ordentlich freundlich und hilfsbereit. Von unseren Kollegen bis zu den Patienten – jeder war bereit, uns zu helfen, unsere Erfahrungen zu bereichern und uns in die Gemeinschaft zu integrieren. Wir können eine Auslandsfamulatur also nur jedem weiterempfehlen! Sie erweitert nicht nur den eigenen Horizont, sondern macht auch den Einblick in ein anderes Arbeiten außerhalb der Zahnmedizin in Deutschland möglich.

Paulina Bleiel

Studentin der Zahnmedizin an der Universität Bonn

Simon Schäfers

Student der Zahnmedizin an der Universität Bonn

Felix Börgerding

Student der Zahnmedizin an der Universität Bonn

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