Innungskrankenkassen fordern rechtliche Stärkung

„Kein Notgroschen für das Regierungsportemonnaie“

Die Innungskrankenkassen fordern eine rechtliche Stärkung der GKV, um sich gegen staatliche Zugriffe auf die ­Kassenfinanzen wehren zu können. Die steigenden Beiträge werden für sie zunehmend untragbar.

Krankenkassen müssten mit eigenen Rechten ausgestattet werden, damit sie sich im Interesse ihrer Beitragszahlenden gegen staatliche Übergriffe wirksam vor Gericht wehren können, forderten die Innungskrankenkassen (IKKen) gestern vor der Presse in Berlin. Zunehmend wälze die Politik die Kosten für gesamtgesellschaftliche Aufgaben auf die Beitragszahlenden der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) und damit auf die Versicherten und Arbeitgeber ab.

Hierdurch sowie durch teure Gesetze der vergangenen und aktuellen Legislaturperiode gerate die GKV finanziell immer weiter unter Druck. Hinzu komme, dass angekündigte gesundheitspolitische Maßnahmen, allen voran der Transformationsfonds zur Krankenhausreform, als verfassungswidrig erachtet würden. Die IKKen zeigten sich zusammen mit Prof. Dr. Rainer Schlegel, Präsident des Bundessozialgerichts a.D., einig, dass eine Stärkung des rechtlichen Status der GKV und der Selbstverwaltung dringend notwendig sei.

Mehr Einnahmen durch Zuckersteuer?

Hans-Jürgen Müller, Vorstandsvorsitzender des IKK e.V., zeigte sich frustriert: Er verstehe nicht, dass die im Koalitionsvertrag angekündigten Maßnahmen, wie die Dynamisierung des Bundeszuschusses für versicherungsfremde Leistungen oder die Erhöhung des Beitrags für Bürgergeld-Beziehende, in dieser Legislatur absehbar nicht mehr umgesetzt würden. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) wolle zwar das Gesundheitswesen entökonomisieren, pumpe aber mit seinen Gesetzen letztlich mehr Geld ins System.

„Das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz sowie die Eckpunkte des BMG für eine nachhaltige Finanzierung haben keinen grundsätzlichen Fortschritt gebracht. Im Grunde wurde das Problem vage auf wirtschaftlich bessere Zeiten vertagt“, so Müller. „Verloren gegangene Steuerungsinstrumente wie Krankenhausabrechnungsprüfungen oder Budgetierungen binden aus Versorgungssicht unsere Hände und leeren die Haushalte der Kassen einnahmenseitig weiter.“ Die IKKen hätten bereits ihre Positionen zu einnahmen- und ausgabenseitigen Finanzierungslösungen vorgelegt. So könne etwa die Einnahmebasis der GKV durch eine Beteiligung der GKV an Lenkungssteuern, wie etwa Tabak-, Alkohol-, Cannabis- oder Zuckersteuer verbreitert werden, schlug er vor. Und: „Beitragsgelder sind keine Notgroschen für das Regierungsportemonnaie.“

GKV-Beiträge sollten zweckgebunden sein

Im Auftrag des IKK e.V. hat forsa eine repräsentative Befragung zur Gesundheitsversorgung und -politik durchgeführt. Demnach sind wie im vergangenen Jahr 57 Prozent damit (sehr) unzufrieden. Die größten Schwierigkeiten sind lange Wartezeiten auf Arzttermine (85 Prozent) und der Mangel an Fachkräften im Gesundheitssystem (79 Prozent). Mehr als die Hälfte der Befragten sieht in der Notfallversorgung große Probleme, knapp die Hälfte in steigenden beziehungsweise zu hohen GKV-Beitragssätzen. Zwei Drittel meinen, die Krankenkassenbeiträge sollten ausschließlich zweckgebunden für Leistungen der Krankenkassen an ihre Versicherten verwendet werden.

Forsa befragte vom 18. bis zum 28. Juli 1.003 GKV-Versicherte ab 18 Jahren.

Die Innungskrankenkassen kritisierten vor der Presse in Berlin, dass die Politik sich zum Stopfen von Finanzlöchern an den Finanzreserven der Kassen beziehungsweise am Gesundheitsfonds bedienten und in steigendem Maße gesamtgesellschaftliche Kosten auf die Solidargemeinschaft abwälze. Allein die Unterfinanzierung der auf die GKV übertragenen Aufgabe der Gesundheitsversorgung der Bürgergeld-Beziehenden reiße pro Jahr eine Lücke von neun Milliarden Euro in die Haushalte der GKV, hieß es. Und im geplanten Krankenhausversorgungs-Verbesserungsgesetz (KHVVG) sollten über den Zeitraum von zehn Jahren 50 Milliarden Euro von Bund und Ländern zum Umbau und zur Modernisierung der Krankenhauslandschaft eingesetzt werden. Der Bund wolle sich aber seinen Teil über den Gesundheitsfonds finanzieren lassen.

Ein Stopp von inflationär beanspruchten Leistungen

Die Kosten- und Beitragsspirale könne nur gestoppt werden, wenn auch die oft inflationäre Inanspruchnahme von Leistungen künftig besser gesteuert werde, führte Prof. Dr. Jörg Loth, Vorstandsvorsitzender der IKK Südwest, an. Diese führe Jahr für Jahr zu teils hohen und vermeidbaren Kosten für die GKV. Hierzu brauche es auch mehr Gesundheitskompetenz innerhalb der Bevölkerung, so Loth.

Dann ziehen die Kassen vor das Verfassungsgericht?

Der ehemalige Präsident des Bundessozialgerichts Schlegel sprach sich dafür aus, dass Krankenkassen auch befugt sein müssten, vor dem Bundesverfassungsgericht die Verfassungsmäßigkeit gesetzgeberischer Maßnahmen prüfen zu lassen, wenn eine mögliche Zweckentfremdung von Beitragsmitteln im Raum stehe. Die besondere Stellung der Träger der Sozialversicherung als Treuhänder ihrer Mitglieder sollte seiner Meinung nach klar herausgestellt werden.

„Es ist angesichts der heutigen Bedeutung der Sozialversicherung, ihres Finanzvolumens und nicht zuletzt ihrer Funktion als ‚Garant des sozialen Friedens‘ in Deutschland, nicht mehr angemessen, im Selbstverwaltungsgrundsatz lediglich eine innerstaatliche Organisationsform der Dezentralisation zu erblicken“, so Schlegel. Auch zur Demokratieförderung und -stärkung sei das Prinzip der Selbstverwaltung grundgesetzlich zu verankern, sagte er – und verwies darauf, dass es bei Universitäten und Rundfunkanstalten anerkannt sei, dass sie vor dem Bundesverfassungsgericht klagen können. Das sollte auch für Krankenkassen gelten.

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