Deutschlandweite repräsentative Befragung

Viele Unternehmen glauben nicht ans Bürokratieentlastungsgesetz

Die Bundesregierung will die deutsche Wirtschaft entlasten. Wie das German Business Panel (GBP) zeigt, bezweifeln die Unternehmen aber, dass das Vierte Bürokratieentlastungsgesetz (BEG IV) wirken wird. Besonders gering sind die Erwartungen in der Gesundheitswirtschaft.

Obwohl das Gesetz zum Ziel hat, die Bürokratiekosten um fast eine Milliarde Euro pro Jahr zu senken, rechnen nur zehn Prozent der befragten Unternehmen mit einer deutlichen Reduzierung ihres bürokratischen Aufwands. Besonders wenig verspricht man sich davon im Verarbeitenden Gewerbe, im Gesundheitswesen, im Baugewerbe und im Handel.

Das 4. Bürokratie­entlastungsgesetz

Am 26. September hat der Bundestag das Bürokratieentlastungsgesetz (BEG IV) verabschiedet. Das Gesetz soll den Wirtschaftsstandort Deutschland stärken und Investitionen fördern. Ziel ist administrative Abläufe in Deutschland zu vereinfachen und der Wirtschaft zu helfen. Die Koalition rechnet mit Entlastungen in Höhe von rund 944 Millionen Euro pro Jahr.

  • Kürzere Aufbewahrungsfristen für Buchungsbelege:
    Die handels- und steuerrechtlichen Aufbewahrungsfristen für Buchungsbelege werden von zehn auf acht Jahre verkürzt. Davon verspricht sich die Koalition eine jährliche Entlastung von rund 626 Millionen Euro.

  • Zentrale Datenbank für die Steuerberatung:
    Für Steuerberaterinnen und Steuerberater soll es eine zentrale Vollmachtsdatenbank geben. Arbeitgeber müssen ihrer Steuerberatung dann keine schriftlichen Vollmachten mehr ausstellen. Eine Generalvollmacht soll in der Datenbank elektronisch eingetragen und von allen Trägern der sozialen Sicherung abgerufen werden können. Laut Regierung werden dadurch neun von zehn Vorgängen hinfällig.

  • Meldepflicht in Hotels entfällt:
    Für deutsche Staatsangehörige soll es keine Hotelmeldepflicht mehr geben. Bei jährlich 129 Millionen touristischen Übernachtungen in Deutschland reduziere sich der Zeitaufwand pro Jahr um knapp drei Millionen Stunden. Die Wirtschaft werde damit um rund 62 Millionen Euro jährlich entlastet.

  • Mehr digitale Rechtsgeschäfte:
    Die Schriftformerfordernisse sollen herabgestuft werden, um bei digitalisierten Prozessen auf die Unterschrift auf Papier verzichten zu können. Insbesondere die Digitalisierung der Betriebskostenabrechnung und die Möglichkeit, künftig bei der Flugabfertigung Reisepässe digital auszulesen, solle im Alltag für Erleichterungen sorgen.

  • Digitaler Arbeitsvertrag:
    Künftig sollen Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber auch per E-Mail über die wesentlichen Bedingungen der Arbeitsverträge informieren können. „Digitale Dienste statt analoge Altlasten“, ist die Botschaft.

  • Hauptversammlungen werden erleichtert:
    Man will börsennotierte Gesellschaften bei der Vorbereitung ihrer Hauptversammlung entlasten. Bei vergütungsbezogenen Beschlüssen soll es künftig ausreichen, die notwendigen Unterlagen allein über die Internetseite der Gesellschaft zugänglich zu machen.

  • Digitale Steuerbescheide:
    Künftig sollen Steuerbehörden Steuerbescheide und andere Steuerverwaltungsakte auch digital zum Abruf bereitstellen können. Dadurch könne auf den Versand von 116 Millionen Briefen und den Druck von 6,2 Milliarden Blatt Papier verzichtet werden.

    Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hatte auf dem Krankenhausgipfel Anfang September angekündigt, das er noch in diesem Herbst ein Entbürokratisierungsgesetz für das Gesundheitswesen vorgelegen will.

So zeigen die Daten des GBP, dass 69 Prozent der befragten Unternehmen davon ausgehen, dass das Gesetzesvorhaben nur geringe oder sehr geringe Auswirkungen auf ihre bürokratische Belastung haben wird. Nur zehn Prozent erwarten eine spürbare Erleichterung.

Dabei sieht ein Großteil der Unternehmen die Hauptursache für ihre Bürokratiebelastung weniger in den Gesetzen selbst, als vielmehr in deren Umsetzung durch staatliche Behörden. Über 57 Prozent der Befragten sagen, dass Bürokratie gleichermaßen durch gesetzliche Vorgaben und durch die Interaktion mit Behörden entsteht. Über ein Fünftel geben sogar an, dass die Bürokratie vorrangig durch die Interaktion mit Ämtern entsteht und weniger durch die Regelungen selbst. Besonders beklagt werden mehrfache Dateneingaben, die mangelnde Vernetzung von Behörden, der Digitalisierungsrückstand und lange Verwaltungsverfahren.

Die Gesetze sind okay, aber der Beamtenapparat ...

Eine weitere große Strapaze sehen die Unternehmen im Umgang mit Steuern und Sozialabgaben. Gut die Hälfte nennen Steuern sogar als Hauptursache und über zwei Drittel zählen Verpflichtungen im Zusammenhang mit Sozialversicherungen zu den drei wichtigsten Bereichen, die Aufwand verursachen. Innerhalb der steuerlichen Verpflichtungen gehören die Gewerbesteuer (62,2 Prozent) und die Umsatzsteuer (60 Prozent) zu den Bürokratietreibern.

Vorschläge für das Krankenhaus

„Bei den Prüfungen des Medizinischen Dienstes überschneiden sich immer wieder Strukturprüfung und Qualitätskontrolle. Alleine bei der Strukturprüfung umfasst die Richtlinie der Prüfversion des medizinischen Dienstes 497 Seiten, der Begutachtungsleitfaden zu der Richtlinie noch einmal 90 Seiten“: Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) hat deshalb 55 Vorschläge zum Bürokratieabbau in Kliniken vorgelegt, darunter fünf übergeordnete Kernanliegen: 1. Die Nachweispflichten müssen grundlegend reduziert werden. 2. Die Gesetzgebung muss sich einer realistischen Bürokratiefolgenabschätzung unterziehen. 3. Notwendig sind ausreichende Umsetzungsfristen. 4. Normgebung und Normumsetzung müssen klar getrennt werden. 5. Die Digitalisierung muss vorangetrieben werden.

Vorschläge für die Arztpraxis

Jährlich werden etwa 116 Millionen AU-Bescheinigungen ausgestellt, sie auszudrucken dauert jeweils zehn Sekunden. Wenn 80 Prozent der GKV-Versicherten eine ePA hätten, könnte man jährlich 322.000 Bürokratiestunden und 24 Millionen Bürokratiekosten einsparen, schildert die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV). Sie hat daher 19 Vorschläge gemacht, um Ärztinnen und Ärzte von überbordenden Regelungen zu befreien, zum Beispiel die Digitalisierung des Antrags- und Genehmigungsverfahrens psychotherapeutischer Leistungen; die Abschaffung der Pflicht zur Einholung eines Konsiliarberichts bei Überweisungen durch Vertragsärzte an Psychotherapeuten; die Einführung einer Karenzzeit von drei bis fünf Tagen, in der keine AU-Bescheinigung erforderlich ist; Verzicht auf den Ausdruck von digitalisierten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen (eAU) an die Versicherten; Vereinfachung und Beschleunigung des Zulassungsverfahrens für Vertragsärzte.

Vorschläge für die Zahnarztpraxis

Mit durchschnittlich 6 Stunden Bürokratiearbeit pro Woche je Inhaber hat die Belastung in Zahnarztpraxen ein sehr hohes Ausmaß angenommen. Inklusive der Verwaltungsarbeit der Mitarbeiter ergeben sich so für eine normale Praxis über 24 Stunden Bürokratieaufwand pro Woche. Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung (KZBV) und Bundeszahnärztekammer (BZÄK) plädieren deshalb dafür, die Nachweispflicht von Fortbildungen (§95 d SGB V) und die damit verbundenen Verfahrensregelungen zu streichen oder alternativ in eine stichprobenartige Prüfung der KZVen umzuwandeln. Die zusätzliche vertragszahnärztliche Pflicht zum Nachweis einer Berufshaftpflichtversicherung (§ 95e SGB V) sollte entfallen, da bereits eine berufsrechtliche Nachweispflicht für Zahnärzte besteht. Der Betrieb einer Röntgeneinrichtung sollte unverzüglich nach erfolgter Abnahme- und Sachverständigenprüfung ermöglicht werden. Die Frist für die Aktualisierung der Fachkunde im Strahlenschutz (Dental) sollte – nach einer ersten Aktualisierung nach fünf Jahren – auf zehn Jahre hoch gesetzt werden. Bei Hygienegeräten sollte mit risikoadjustiertem Umfang und Intervallen validiert werden, statt an starren bundesweiten Fristen festzuhalten. Papiergebundene Verwaltungsprozesse zwischen Patienten und Praxis sollten nach Möglichkeit vollständig digitalisiert und Medienbrüche möglichst vermieden werden.

Die Bundeszahnärztekammer und die Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung hatten bereits im September 2023 einen umfangreichen Maßnahmenkatalog zum Bürokratieabbau in Zahnarztpraxen vorgelegt: https://www.bzaek.de/service/positionen-statements/einzelansicht/vorschlaege-zum-buerokratieabbau-in-der-zahnaerztlichen-versorgung.html und https://www.kzbv.de/buerokratieabbau.1784.de.html.

Auch die kürzliche Ausweitung von Berichtspflichten im Rahmen der Nachhaltigkeitsberichterstattung (CSRD) und des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes (LkSG) hat den administrativen Aufwand für Unternehmen in Deutschland verstärkt. Trotz gewisser Größengrenzen treffen diese Dokumentationspflichten häufig auch kleinere Betriebe, etwa wenn sie Daten in der Lieferkette weitergeben müssen: 30 Prozent der Unternehmen mit mehr als 1.000 Mitarbeitenden, die direkt dem LkSG unterliegen, sehen darin eine bürokratische Hürde. Für Unternehmen mit weniger als 1.000 Mitarbeitenden sind es sogar 35 Prozent.

Die Folgen der bürokratischen Belastungen zeigen sich in den Investitionsentscheidungen: 56,4 Prozent der Unternehmen gaben an, in den letzten zwei Jahren geplante Vorhaben aus diesem Grund gestrichen zu haben. Bei denen, die Bürokratie durch Lieferkettenvorschriften beklagen, sind es sogar 65 Prozent.

Knapp ein Viertel der betroffenen Unternehmen hat deshalb Projekte ins Ausland verlagert. Bei den Unternehmen, die in diesem Bereich keine Belastungen spüren, sind es nur 10,4 Prozent.

Der Formularkram befeuert den Fachkräftemangel

Bürokratische Hürden wirken sich letztlich nicht nur auf Investitionen, sondern auch auf Personalentscheidungen aus. Im Durchschnitt geben 61,5 Prozent der Befragten an, dass sie in den letzten zwei Jahren zusätzliche Personal- oder Beratungsressourcen aufgrund von Bürokratie eingesetzt haben. Im Kerngeschäft haben dagegen rund 46 Prozent aufgrund des bürokratischen Aufwands auf die Einstellung benötigter Fachkräfte verzichtet. Dieser Effekt ist bei größeren Unternehmen mit mehr als 50 Mitarbeitenden noch ausgeprägter.

„Überbordende Bürokratie wirkt abschreckend“

Bundesgesundheitsminister Lauterbach hat angekündigt, ebenfalls ein Bürokratieentlastungsgesetz vorzulegen – noch in diesem Herbst. Das ist dringend notwendig. Denn die regulatorischen Vorgaben für Zahnarztpraxen haben derart zugenommen, dass der Alltag in den Praxen mittlerweile in großem Maße von Bürokratielasten und Verwaltungsaufgaben beeinträchtigt ist. Hiervon ist das gesamte Praxisteam betroffen. Wertvolle Zeit, die der Versorgung der Patientinnen und Patienten zugutekommen sollte, wird durch diese Aufgaben gebunden. Zusätzlich wirkt überbordende Bürokratie in hohem Maße abschreckend auf niederlassungswillige Zahnärztinnen und Zahnärzte – mit fatalen Folgen für die flächendeckende wohnortnahe zahnärztliche Versorgung. Unser Maßnahmenkatalog liegt seit Langem auf dem Tisch. Minister Lauterbach muss jetzt endlich tätig werden und den Praxen die Arbeit wieder erleichtern.

Dem Panel zufolge schätzen Unternehmerinnen und Unternehmen, dass ihnen durch unnötige bürokratische Anforderungen im Durchschnitt rund 16,9 Prozent ihres potenziellen Gewinns entgehen. Firmen, die den Umgang mit Behörden als Hauptursache für Bürokratie ansehen, beziffern diesen Verlust sogar auf 19,6 Prozent.

Im Gesundheitswesen haben dem Panel zufolge 88 Prozent der Betriebe für eine Auseinandersetzung mit einer Behörde zusätzliches Personal eingesetzt, 4 Prozent sind Geschäftsbeziehungen mit einem ausländischen Partner nicht eingegangen, ebenfalls 4 Prozent haben in Deutschland geplante Projekte stattdessen im Ausland umgesetzt und 12 Prozent haben auf die Entwicklung eines neuen Produkts verzichtet. Auf die Frage, wie man die Gesundheitsunternehmen entlasten könnte, erhielten die Forschenden eine lange Liste an Ideen: von der Verringerung des Umfangs der Verwendungsnachweise, über die Entlastung bei den Dokumentationspflichten, der Abschaffung der Arbeitszeitnachweise, einer Stärkung der Kompetenzen in den Ämtern bis hin zu einfacheren Durchführungsverordnungen.

„Das Gesetz ist eine einzige Enttäuschung“

Für die Zahnärzteschaft, deren Praxen unter immer neuen bürokratischen Lasten bei gleichzeitig eskalierendem Personalmangel nur so ächzen, ist das Gesetz eine einzige Enttäuschung. Es mag schön sein, dass die Aufbewahrungsfrist für Buchungsbelege im Handels- und Steuerrecht einheitlich von zehn auf acht Jahre verkürzt werden soll und für deutsche Staatsangehörige zukünftig keine Hotelmeldepflicht mehr besteht. Das löst in den Praxen allerdings kein einziges bürokratisches Problem und motiviert keine einzige Kollegin, sich in eigener Praxis niederzulassen und keinen einzigen älteren Kollegen, den Ruhestand doch noch etwas zu verschieben. Wir brauchen jetzt – und damit meine ich nicht nach den nächsten Wahlen – ein radikales Umdenken im Umgang mit der Bürokratie. Wir brauchen Runde Tische aus Praxisinhabern, Behördenvertretern und neutralen Schlichtern, die sich mal durch unsere gesammelten Papiertiger arbeiten, um dort einmal radikal zu entschlacken. Andernfalls hat die wohnortnahe Versorgung in kleinen und mittleren Praxen kaum noch Luft zum Atmen.

„Ein deutlicher Abbau staatlicher Bürokratie hat das Potenzial, die deutsche Wirtschaft wieder anzukurbeln und Unternehmensgewinne zu steigern“, betont Projektleiter Prof. Dr. Philipp Dörrenberg von der Universität Mannheim. „Trotz gesetzgeberischer Bemühungen stellt der bürokratische Aufwand für viele Unternehmen in Deutschland nach wie vor eine erhebliche Hürde dar. Vor allem der Umgang mit Behörden stellt die Unternehmen vor große Herausforderungen. Ohne eine umfassende Reform dieser Prozesse ist der Erfolg des Bürokratieabbaus aus Sicht vieler Unternehmen begrenzt.“

Das German Business Panel befragt monatlich mehr als 800 Unternehmen und seit März 2024 mehr als 250 Wissenschaftler*innen zur Unternehmenslage in Deutschland und erhebt dabei Daten zu 1. erwarteten Umsatz-, Gewinn- und Investitionsänderungen, 2. unternehmerischen Entscheidungen, 3. der erwarteten Schließungsrate in der Branche und 4. der Zufriedenheit mit der Wirtschaftspolitik.

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