Interview mit Dr. Andreas Struve zum Berufseinstieg

„Man muss im Bewerbungsgespräch die richtigen Fragen stellen“

Gerade am Anfang des Berufslebens ist es wichtig, eine Praxis zu finden, die viel Raum zum Lernen bietet. Nur: Wie erkennt man schon im Bewerbungsgespräch, ob das in der Wunschpraxis der Fall ist? Der ehemalige Praxisinhaber Dr. Andreas Struve verrät, aus welchen Infos junge Zahnärztinnen und Zahnärzte das heraushören können.

Herr Dr. Struve, was sind aus Ihrer Erfahrung die größten Herausforderungen für Zahnärztinnen und Zahnärzte beim Einstieg in den Job?

Der Bruch zwischen den Bedingungen im Studium und den Anforderungen im Arbeitsalltag.

Ein Beispiel: Im Studium wird gelehrt, wie man Wurzelbehandlungen unter Verwendung von Kofferdam idealerweise durchführt. Das erfordert viel Übung und kostet unerfahrene Zahnärztinnen und Zahnärzte viel Zeit. Nach dem Abschluss prallen sie dann unter Umständen auf ein System, in dem Umsatz die wichtigste Rolle spielt. Gerade in privatwirtschaftlichen MVZ geraten Jüngere häufig in eine Maschinerie, die auf Gewinnmaximierung abzielt. In diesem Spannungsfeld bleibt wenig Zeit zum Üben.

Wie erkennt man denn gleich beim ersten Kennenlernen, ob die Praxis einem diese Zeit einräumt?

Man muss die richtigen Fragen stellen. Ich gebe gerne diesen Tipp: Lassen Sie sich beim Bewerbungsgespräch das Bestellsystem zeigen und erklären. Wie viele Personen an einem Tag einbestellt sind und wie das im Verhältnis zum Praxisteam steht, kann schon aussagekräftig sein.

Ich rate außerdem zu der Frage, ob Kofferdam standardmäßig verwendet wird. Auch die Zeit, die für die Aufnahme von Neupatienten eingeplant wird, ist ein Indiz dafür, ob man in Ruhe arbeiten kann. Im Übrigen kann auch die Frage, wer in der Praxis die Präp-Abdrücke nimmt, ein Hinweis darauf sein, ob viel Zeitdruck in der Praxis herrscht.

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Zahnarzt Dr. Andreas Struve betrieb 26 Jahre eine Gemeinschaftspraxis in Wuppertal. Er ist immer noch als zahnmedizinischer Gutachter für verschiedene Versicherungen tätig und hält Vorträge vor allem vor jungen Zahnärztinnen und Zahnärzten in den ersten Berufsjahren. Außerdem ist Struve Thriller- und Krimiautor.

Warum?

Nach meinem Studium und der Arbeit als Assistent an der Uni bin ich für kurze Zeit in eine Praxis geraten, in der wie am Fließband gearbeitet wurde und ZFA nicht nur normale Alginat-, sondern auch Präzisionsabdrücke bei den Patientinnen und Patienten genommen haben – ohne wirklich zu wissen, wie das geht. Aus meiner Sicht sollten Präzisionsabdrücke grundsätzlich immer von Zahnärztinnen oder Zahnärzten genommen werden. Wenn das nicht so gehandhabt wird, rate ich zu Vorsicht.

Was ist aus Ihrer Sicht außerdem wichtig zu wissen, wenn man ins Berufsleben einsteigt?

Man sollte sich darüber im Klaren sein, dass die Assistenzzeit reine Fortbildungszeit ist. Das Erlernen und Einüben von Routinen auf hohem qualitativem Standard ist extrem wichtig. Nur so bekommt man die Sicherheit, die einen mit dem notwendigen Selbstbewusstsein Patientinnen und Patienten führen lässt. Zudem erkennt man Schwerpunkte und die Richtung, in die man sich entwickeln möchte. Das Gehalt sollte im ersten Jahr sicherlich eine nur untergeordnete Rolle spielen.

Was kann man als junge Zahnärztin, junger Zahnarzt außerdem lernen?

Wann man gehen sollte. Ich rate ausdrücklich dazu, eine Kündigung in Erwägung zu ziehen, wenn man als „Bohrknecht“ ausgenutzt wird und seinen eigenen Ansprüchen nicht gerecht werden kann. Dann ist es häufig aus Zeit- und Umsatzdruckgründen nicht möglich, Fragen zu stellen und befriedigende Antworten zu bekommen. Ein Warnzeichen, das junge Kolleginnen und Kollegen ernst nehmen sollten, ist, wenn sie nachts nicht mehr ruhig schlafen können. Es ist auch nicht richtig oder normal, wenn man ständig unter Zeit- und Umsatzdruck gesetzt wird. In solchen Fällen ist die Kündigung der richtige Weg.

Wie haben Sie den Umgang mit Assistenzzahnärztinnen und -zahnärzten als Chef gehandhabt?

In unserer Gemeinschaftspraxis haben wir natürlich auch Fehler im Umgang mit Assistenten gemacht – aber eben auch daraus gelernt. Beispielsweise haben wir unsere ersten Assistenten direkt mit einer Umsatzbeteiligung eingestellt. Dann haben wir sehr schnell festgestellt, dass sie wegen fehlender Routine die nötigen Zahlen gar nicht erreichen konnten. In dieser wichtigen beruflichen Phase ist – wenn man auf Qualität setzt – eine Gewinnbeteiligung der falsche Anreiz.

Wie haben Sie das korrigiert?

Wir sind zu einem Festgehalt übergegangen und haben eine Gewinnbeteiligung erst nach circa einem Jahr ins Spiel gebracht. Wie schon gesagt: Die Assistenzzeit ist eine lange Fortbildung, in der man vor allen Dingen viel lernen sollte. Damit die jungen Kolleginnen und Kollegen den Spaß am Beruf behalten, brauchen sie Zeit und Betreuung. Ich habe ihnen daher auch regelmäßig assistiert und Planungen mit ihnen durchgesprochen. Und auf der Suche nach Optimierung und Qualitätsverbesserung haben wir ihre Vorschläge immer gerne aufgegriffen und, wenn möglich, umgesetzt.

Auf welche Frage würden Sie im Bewerbungsgespräch nicht verzichten?

Da fallen mir gleich mehrere ein: Habe ich eine eigene Assistenz? Kann ich mir einen eigenen Patientenstamm aufbauen? Werden Fortbildungen finanziell unterstützt? Fahren wir zusammen zu Fortbildungen? Wird Kofferdam benutzt? Falls es andere Assis gibt: Wie viele Behandlungen machen sie am Tag? Wie läuft der Erstkontakt mit Neupatienten ohne Schmerzen ab? Kann ich im Rahmen eines Probearbeitens auch bei einer Prophylaxebehandlung assistieren? Wie oft finden Teambesprechungen statt? Gibt es ein soziales Engagement in der Praxis?

Das sind ganz schön viele ...

Mir fällt sogar noch etwas ein: Beim Smalltalk im Bewerbungsgespräch kann man ruhig den Umgang im Team ansprechen. Auch Freizeit oder Hobbys sind kein Tabuthema. In unserer Praxis haben wir regelmäßig Team-Besprechungen und -Erlebnisse organisiert, um das Gemeinschaftsgefühl zu stärken. Um den Kopf frei zu bekommen, habe ich in meiner Freizeit fotografiert, Gedichte und Thriller geschrieben. Das mache ich bis heute, kürzlich habe ich mein neuestes Buch veröffentlicht.

Ich fand es immer wichtig, dass sowohl ich als auch mein Team noch genug Energie hatten, um Interessen abseits der Praxis zu verfolgen. Nur so bleibt man fit für den Job. Es lohnt sich aus meiner Sicht für junge Zahnärztinnen und Zahnärzte, genauer hinzuschauen, wenn von ihrem Gegenüber im Bewerbungsgespräch auf diese Frage gar nichts kommt.

Das Gespräch führte Susanne Theisen.

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