Ärzte plädieren für mutige Reformen
Die neue Bundesregierung muss nach der Bundestagswahl dringend notwendige Strukturreformen in nahezu allen Bereichen des Gesundheitswesens vorantreiben, forderte der Präsident der Bundesärztekammer, Dr. Klaus Reinhardt, auf der heutigen Neujahrspressekonferenz der Bundesärztekammer (BÄK). Die Politik werde sich daran messen lassen müssen, ob sie Strategien und Konzepte finde, um Prävention und Gesundheitskompetenz zu fördern, die medizinische Versorgung in einer Gesellschaft des langen Lebens dauerhaft zu sichern und das Gesundheitswesen insgesamt auf nationale und internationale Krisenfälle vorzubereiten.
Reinhardt stellte dazu ein Positionspapier vor, mit dem die Bundesärztekammer die aus ihrer Sicht wichtigsten Handlungsfelder im Gesundheitswesen beschreibt und konkrete Maßnahmen vorschlägt. Höchste Priorität habe dabei die Prävention und Gesundheitsförderung, verbunden mit einer Stärkung der Gesundheitskompetenz in der Bevölkerung, erklärte er.
Die Gesundheitskompetenz in Deutschland sei deutlich rückläufig, bemängelte Reinhardt, auch im internationalen Vergleich schneide Deutschland nicht so gut ab. Hier zeige sich dringender Handlungsbedarf. Er wies darauf hin, dass in Deutschland hunderttausende Menschen an den Folgen vermeidbarer Krankheiten sterben würden. „Herz-Kreislauf-Erkrankungen führen zu menschlichem Leid und kosten unser Gesundheitssystem Jahr für Jahr rund 60 Milliarden Euro. Dabei könnten durch Prävention und gesunde Lebensführung rund 70 Prozent dieser Krankheitsfälle und die daraus resultierenden Kosten vermieden werden”, erklärte er.
„Kinder müssen vor übermäßigem Zuckerkonsum geschützt werden“
Als weiteren wichtigen Punkt nannte Reinhardt auch den Umgang mit zucker- und fetthaltigen Lebensmitteln. Kinder müssen vor deren übermäßigem Konsum geschützt werden – etwa durch gezielte Werbeverbote und die Einführung einer Zuckersteuer. Die Gewinninteressen der Lebensmittellobby dürften nicht länger über das Wohl der Kinder gestellt werden, betonte er. Flankiert werden sollten diese Maßnahmen durch regelmäßigen und verbindlichen Gesundheitsunterricht an Schulen und Berufsschulen.
Ein zentraler Punkt, der aus Sicht der BÄK von der Politik künftig aufgegriffen werden sollte, ist die Patientensteuerung. Das deutsche Gesundheitswesen sei wie wenige andere von einem kaum gesteuerten Zugang und einer unstrukturierten Inanspruchnahme von Leistungen gekennzeichnet, führte der Ärztepräsident an. Als Beispiel nannte er überfüllte Notaufnahmen in Klinken, oft mit Fällen, die dort nicht hingehörten. Patientinnen und Patienten seien viel zu oft mit der Organisation und Koordination ihrer Versorgung allein gelassen, sagte Reinhardt. Die Folge sei ein ungeordnetes Nebeneinander in der Versorgung. In bestimmten Regionen habe jeder Zweite im Schnitt zwei Hausärzte, so Reinhardt.
Es gehe ihm hierbei nicht um „Patientenbashing“, vielmehr trage das System eine Mitschuld. Der BÄK-Vorschlag: Es sollte zum Normalfall werden, dass sich Patientinnen und Patienten bei einer Hausarztpraxis einschreiben, die dann die Koordinierung der Weiterbehandlung übernimmt. Bei bestimmten chronischen Erkrankungen könne die Koordination auch ein Facharzt oder eine Fachärztin übernehmen. Dafür notwendig seien zum Beispiel günstigere Krankenkassenbeiträge für diejenigen, die sich in so ein Modell einschreiben.
BÄK schlägt Taskforce zum Abbau von Bürokratie vor
Seit Jahren ein Stein des Anstoßes im Gesundheitswesen ist auch die überbordende Bürokratie. „Entbürokratisierung ist ein Dauerthema, ohne dass sich hier was tut“, sagte Reinhardt. Die BÄK schlägt dazu eine dreijährige Bürokratie-Taskforce von Politik und Selbstverwaltung vor. Diese solle bereits vorliegende Einzelvorschläge zum Bürokratieabbau aufgreifen, um so die Bürokratiebelastung im Gesundheitswesen um mindestens zehn Prozent pro Jahr zu senken. Reinhardt: „Wenn wir am Ende der nächsten Legislaturperiode ein Drittel weniger unnötiger Bürokratie zu bewältigen haben, ist für die Patientenversorgung viel erreicht.
Um den wachsenden Personalmangel in den Griff zu bekommen, brachte Reinhardt das Potenzial von Ärztinnen und Ärzte im Ruhestandsalter ins Gespräch. Ihnen solle die Möglichkeit gegeben werden, sich weiter in die Patientenversorgung einzubringen, etwa auch in Teilzeit. Reinhardt schätzte das Potenzial auf etwa 20.000 zusätzliche Vollzeitstellen. Dafür brauche es mehr sozialpolitische Spielräume, um die Kolleginnen und Kollegen im Ruhestandsalter, forderte er. Zusätzlich sollte durch steuerrechtliche Regelungen und Befreiung von der Sozialversicherungspflicht die Abgabenlast reduziert und Anreize geschaffen werden.
Letztlich forderte der Ärztepräsident Maßnahmen ein, um die Finanzierung des Gesundheitssystems zu sichern. Dazu gehöre auch, versicherungsfremde Leistungen wie etwa beitragsfreie Mitversicherungen oder Aufwände für die Bürgerversicherung über Steuern zu finanzieren. Nötig sei ferner eine Absenkung der Mehrwertsteuer auf Arzneimittel wie bei Tierarzneimitteln von jetzt 19 Prozent auf sieben Prozent. Auch Abgaben auf Nikotin und Alkohol könnten mit in die Diskussion gebracht werden.
Das Positionspapier der Bundesärztekammer ist hier verfügbar.