Technische Universität München

Eignen sich KI-Chatbots fürs Krankenhaus?

mg
Gesellschaft
Large Language Models bestehen medizinische Examen mit Bravour. Sie für Diagnosen heranzuziehen, wäre derzeit aber grob fahrlässig, zeigt eine Studie der Technischen Universität München (TUM).

Medizin-Chatbots treffen vorschnelle Diagnosen, halten sich nicht an Richtlinien und würden das Leben von Patientinnen und Patienten gefährden. Zu diesem Schluss kommt ein Team der TUM, das erstmals systematisch untersucht hat, ob diese Form der Künstlichen Intelligenz (KI) für den Klinikalltag geeignet wäre. Die Forschenden sehen dennoch Potenzial in der Technologie. Sie haben ein Verfahren veröffentlicht, mit dem sich die Zuverlässigkeit zukünftiger Medizin-Chatbots testen lässt.

Large Language Models (LLM) sind Computerprogramme, die mit riesigen Mengen Text trainiert wurden. Speziell trainierte Varianten der Technologie, die auch hinter ChatGPT steckt, lösen mittlerweile sogar Abschlussexamen aus dem (Zahn-)Medizinstudium nahezu fehlerfrei (zm berichtete). Wäre eine solche KI auch in der Lage, die Aufgaben von Ärztinnen und Ärzten in einer Notaufnahme zu übernehmen? Könnte sie anhand der Beschwerden die passenden Tests anordnen, die richtige Diagnose stellen und einen Behandlungsplan entwerfen? Im Fachmagazin Nature Medicine hat sich ein interdisziplinäres Team um Prof. Daniel Rückert dieser Frage gewidmet.

2.400 Fälle von Bauchschmerzen bilden den Datensatz

Ärztinnen und Ärzte haben gemeinsam mit KI-Fachleuten erstmals systematisch untersucht, wie erfolgreich verschiedene Varianten des Open-Source-Large-Language-Models Llama 2 bei der Diagnose sind. Um die Fähigkeiten der komplexen Algorithmen zu testen, nutzten die Forschenden anonymisierte Daten von Patientinnen und Patienten aus einer Klinik in den USA. Aus einem größeren Datensatz wählten sie 2.400 Fälle aus. Alle Betroffenen waren mit Bauchschmerzen in die Notaufnahme gekommen. Die Fallbeschreibung endete jeweils mit einer von vier Diagnosen und einem Behandlungsplan. Zu den Fällen waren alle Daten verfügbar, die für die Diagnose erfasst wurden – von der Krankengeschichte über die Blutwerte bis hin zu den Bildgebungsdaten.

„Wir haben die Daten so aufbereitet, dass die Algorithmen die realen Abläufe und Entscheidungsprozesse im Krankenhaus nachspielen konnten“, erläutert Friederike Jungmann, Assistenzärztin in der Radiologie des Klinikums rechts der Isar der TUM und gemeinsam mit dem Informatiker Paul Hager Erstautorin der Studie. „Das Programm hat immer nur die Informationen, die auch die realen Ärztinnen und Ärzte hatten. Ob es beispielsweise ein Blutbild in Auftrag gibt, muss es selbst entscheiden und dann mit dieser Information die nächste Entscheidung treffen, bis es schließlich eine Diagnose und einen Behandlungsplan erstellt.“

Je mehr Informationen die KI hat, desto ungenauer diagnostiziert sie

Das Team stellte fest, dass keines der LLM durchgängig alle notwendigen Untersuchungen einforderte. Tatsächlich wurden die Diagnosen der Programme sogar weniger zutreffend, je mehr Informationen sie zu dem Fall hatten. Behandlungsrichtlinien befolgten sie oftmals nicht. Als Konsequenz ordnete die KI beispielsweise Untersuchungen an, die für echte Patientinnen und Patienten schwere gesundheitliche Folgen nach sich gezogen hätten.

In einem zweiten Teil der Studie wurden KI-Diagnosen zu einer Teilmenge aus dem Datensatz mit Diagnosen von vier Ärztinnen und Ärzten verglichen. Während diese bei 89 Prozent der Diagnosen richtig lagen, kam das beste LLM auf gerade einmal 73 Prozent. Jedes Modell erkannte manche Erkrankungen besser als andere. In einem Extremfall diagnostizierte ein Modell Gallenblasenentzündungen nur in 13 Prozent der Fälle korrekt.

ChatGPT wurde aus Sicherheitsgründen nicht getestet

Ein weiteres Problem, das die Programme für den Einsatz im Alltag disqualifiziert, ist ein Mangel an Robustheit: Welche Diagnose ein LLM stellte, hing unter anderem davon ab, in welcher Reihenfolge es die Informationen erhielt. Auch linguistische Feinheiten beeinflussten das Ergebnis – beispielsweise ob das Programm um eine „Main Diagnosis“, eine „Primary Diagnosis“ oder eine „Final Diagnosis“ gebeten wurde. Im Klinikalltag sind die Begriffe in der Regel austauschbar.

US-Studie zeigt Schwächen von Chat GPT auf

US-Forschende haben Chat GPT-4V bildbasierten Diagnoseaufgaben des New England Journal of Medicine unterzogen. Ziel war es, eine umfassende Analyse der Gründe des Bildverständnisses der dahinterliegenden Künstlichen Intelligenz sowie dessen schrittweiser multimodaler Argumentationen bei der Lösung der Aufgaben zuliefern. Der Test ist ein etablierter Bild-Quiz, der entwickelt wurde, um das Wissen und die diagnostischen Fähigkeiten von Medizinern zu testen. Ergebnis: GPT-4V schnitt im Vergleich mit menschlichen Ärzten gut ab und erzielte mehr richtige Antworten (81,6 Prozent vs. 77,8 Prozent). Das Sprachmodell erzielte zudem eine Genauigkeit von 78 Prozent in den Fällen, in denen Ärzte falsch antworteten. Die Forschenden stellten jedoch fest, dass GPT-4V häufig fehlerhafte Gründe in jenen Fällen präsentiert, in denen es die richtigen endgültigen Entscheidungen (35,5 Prozent) trifft. Aus Sicht der Autoren unterstreichen die Ergebnisse unabhängig von der hohen Genauigkeit die Notwendigkeit „weiterer tiefer Bewertungen seiner Begründungen, bevor solche multimodalen KI-Modelle in klinische  Arbeitsabläufe integriert werden.“

Jin, Q., Chen, F., Zhou, Y. et al. Hidden flaws behind expert-level accuracy of multimodal GPT-4 vision in medicine. npj Digit. Med. 7, 190 (2024). https://doi.org/10.1038/s41746-024-01185-7

Das Team hat explizit nicht die kommerziellen LLM von OpenAI (ChatGPT) und Google getestet. Dafür gibt es im Wesentlichen zwei Gründe. Zum einen untersagt der Anbieter der Krankenhausdaten aus Datenschutzgründen, die Daten mit diesen Modellen zur verarbeiten. Zum anderen raten Expertinnen und Experten nachdrücklich, für Anwendungen im Gesundheitssektor ausschließlich Open-Source-Software zu verwenden, teilt die Universität mit.

Studie liefert nur eine Momentaufnahme

„Nur mit Open-Source-Software haben Krankenhäuser die Informationen und das nötige Maß an Kontrolle, um die Sicherheit der Patientinnen und Patienten zu gewährleisten. Wenn es darum geht, Large Language Models zu bewerten, müssen wir wissen, mit welche Daten sie trainiert wurden. Sonst könnte es sein, dass wir für die Bewertung genau die Fragen und Antworten verwenden, mit denen sie trainiert wurden. Da Unternehmen die Trainingsdaten streng unter Verschluss halten, würde eine faire Bewertung erschwert”, erklärt Hager. Es sei auch gefährlich, wichtige medizinische Infrastrukturen von externen Dienstleistern abhängig zu machen, die ihre Modelle nach Belieben aktualisieren und ändern können. "Im Extremfall könnte ein Dienst, den Hunderte von Kliniken nutzen, eingestellt werden, weil er nicht mehr rentabel ist.”

Die Entwicklung in dieser Technologie verläuft sehr schnell. Es sei gut möglich, dass in absehbarer Zeit ein LLM besser dafür geeignet ist, aus Krankengeschichte und Testergebnissen auf eine Diagnose zu kommen, sagt Rückert. „Wir haben deshalb unsere Testumgebung für alle Forschungsgruppen freigegeben, die Large Language Models für den Klinikkontext testen wollen.“

Die Forschenden sehen aber auch großes Potenzial in der Technologie. So könnten LLM in Zukunft wichtige Werkzeuge für Ärztinnen und Ärzte werden, mit denen sich beispielsweise ein Fall diskutieren lässt. Rückert: „Wir müssen uns aber immer der Grenzen und Eigenheiten dieser Technologie bewusst sein und diese beim Erstellen von Anwendungen berücksichtigen.“

Hager, P., Jungmann, F., Holland, R. et al. “Evaluation and mitigation of the limitations of large language models in clinical decision-making”. Nat Med (2024). DOI: 10.1038/s41591-024-03097-1

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