Bundeshauptversammlung des Virchowbundes

Ein Plädoyer für bessere Patientensteuerung

pr
Politik
Die flächendeckende Gesundheitsversorgung ist in Gefahr, warnt der Virchowbund. Lösungen sieht er in einer gezielteren Patientensteuerung, mehr Eigenverantwortung und der Stärkung der Freiberuflichkeit.

Freiberuflichkeit ist Patientenschutz, betonte Dr. Dirk Heinrich, Bundesvorsitzender des Virchowbundes auf der Bundeshauptversammlung seines Verbandes am 8. und 9. November in Berlin. Gesundheit sei keine Ware, ärztliche Leistung sei kein Kostentreiber und eine schlechte Gesundheitsversorgung sei demokratiegefährdend. Er forderte eine bessere Steuerung der Patienten im Gesundheitswesen.

Schluss mit der Vollkasko-Mentalität!

Es gelte, Selbstbestimmung und Eigenverantwortung zu stärken, die Vollkasko-Mentalität in der Bevölkerung zu bekämpfen. Von der freien Arztwahl müsse es zu einer effektiven Lenkung der Patientenströme führen, dazu zähle etwa ein Wahltarif „freie Haus- und Facharztwahl“ bei den Krankenkassen. Auch mehr Transparenz und eine Kostenbeteiligung bei den Leistungen gehöre dazu, sagte Heinrich. Dazu müsse der Grundsatz gelten: ambulant vor stationär. Entscheidend seien eine Entbudgetierung von ärztlichen Leistungen und sowie Niederlassungsfreiheit. Zum Platzen der Ampelkoalition sagte Heinrich, er erhoffe sich von der nächsten Regierung ein klares Bekenntnis zur Freiberuflichkeit. Die jetzige Regierung habe die Ärzteschaft drangsaliert und mit Bürokratie überlastet.

In einer flammenden Rede unterstützte der Vorsitzende des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) Prof. Josef Hecken die Forderung nach einer Patientensteuerung. „Behandeln wir immer die Richtigen? Nein!“ sagte er vor der Versammlung. Rund 20 bis 30 Prozent der Leistungen, die im Krankenhaus erbracht würden, seien nicht indiziert. Und viele aufsuchende Arzt-Patienten-Kontakte seien nicht notwendig und blockierten Termine für andere Patienten, die wirklich Hilfe benötigten.

Eigenbeteiligung muss so teuer sein wie eine Schachtel Marlboro

„Wir müssen wegkommen vom Anspruchsdenken“, erklärte er. Es sei an der Zeit, über eine Praxisgebühr in veränderter Form nachzudenken – und zwar in sozialverträglicher Form, die aber nicht direkt auf Null gesetzt werden dürfe. „Solidargemeinschaft verlangt Eigenverantwortung“ so der G-BA-Vorsitzende. Die Höhe der Eigenbeteiligung müsse mindestens den „Gegenwert einer Schachtel Marlboro“ ausmachen.

Hecken hatte vor kurzem zusammen mit Jochen Pimpertz, Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) ein Impulspapier für die Konrad-Adenauer-Stiftung veröffentlicht und Reformvorschläge für das Gesundheitswesen formuliert.

Virchowbund beschließt „Versorgung 2040“

Auf der Bundesversammlung hat der Virchowbund das Grundsatzprogramm „Versorgung 2040“ beschlossen. Zentral darin ist der Ruf nach effektiver Patientensteuerung. So schlägt der Virchowbund eine neue Rollen- und Aufgabenverteilung zwischen Haus- und Fachärzten vor, in deren Zentrum ein „Facharzt für Betreuung, Koordination, Information und Kommunikation“ steht. Dies soll in der Regel der Hausarzt sein, in einigen definierten Situationen auch ein grundversorgender Facharzt. Patienten sollen die Möglichkeit haben, sich gegen diese Art der Steuerung und für freie Arztwahl ohne Koordinierung der Inanspruchnahme zu entscheiden, wenn sie bereit sind, dafür höhere Eigenbeteiligungen zu akzeptieren. Wichtig sei zudem, den Patienten transparenten Einblick in die Kosten der Inanspruchnahme ärztlicher Leistungen zu geben, um die Eigenverantwortung zu stärken, heißt es in dem Papier.

Die flächendeckende Versorgung durch niedergelassen freiberufliche Ärztinnen und Ärzte sind für Hecken das Rückgrat des Gesundheitswesens. Jedoch habe er feststellen müssen, dass in den letzten drei Jahren unter der Ampelkoalition eine flächendeckende Diskriminierung der Ärzte stattgefunden habe. „Wir brauchen eine Grundbesinnung auf das, was der Bereiche der Niederlassung leistet“, sagte er.

Die Selbstverwaltung saß am Katzentisch

Kritisch bilanzierte er die letzten Gesetzgebungsinitiativen im Gesundheitswesen, von denen viele an der Realität der Versorgungspraxis vorbeigingen. Und er kritisierte den darin für ihn erkennbaren schleichenden Weg in Richtung „Staatsmedizin“. Die Selbstverwaltung sei von der Politik als „Lobbyisten“ wahrgenommen worden, denen Entscheidungen allenfalls am „Katzentisch“ verkündet worden seien, zeigte er sich verärgert.

Der G-BA-Vorsitzende wurde auf der Versammlung mit der Kaspar-Roos-Medaille des Virchowbundes geehrt, um seinen Einsatz für die ärztliche Freiberuflichkeit und gegen Angriffe aus Politik und Selbstverwaltung zu verteidigen.

Die Legislatur sei für den gesundheitspolitischen Bereich vorbei, betonte Tino Sorge, MdB, gesundheitspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag in der anschließenden Podiumsdiskussion. Und: Man werde keinem der laufenden Gesundheits-Gesetze, die jetzt noch in der Pipeline seien, „über die Rampe helfen“, kündigte er an. Sollte die CDU in die Verantwortung kommen, werde man die Kommunikation mit den Ärzten verbessern. Christian Bartelt, MdB FDP und Mitglied des Gesundheitsausschusses, zeigte sich offen, dass die FDP noch für das geplante Bürokratieentlastungsgesetz stimmen könnte. Mehr Zeit für die Sprechende Medizin und die Stärkung der Freiberuflichkeit stünden bei seiner Partei auf der Agenda. Nezahat Baradari, MdB SPD, Mitglied des Gesundheitsausschusses, betonte, man sei „angewiesen auf demokratische Strukturen.“ Und: „Wir müssen die Probleme gemeinsam angehen.“

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