Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern

Erst kündigen, dann krankschreiben lassen und kassieren? Nichts da!

Deckt eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU) genau die Kündigungsfrist ab, kann deren Beweiswert angezweifelt werden, zeigt ein Urteil. Das Gericht erklärt auch, wie Arbeitgeber in dem Fall reagieren sollten.

Ein Arbeitnehmer kündigt und lässt sich darauf bis zum Ablauf der Kündigungsfrist krankschreiben. Diese Konstruktion gilt spätestens seit einem Entscheid des Bundesarbeitsgerichts in einem vergleichbaren Fall (Urteil vom 8. September 2021 – 5 AZR 149/21) als Klassiker, in dem die AU-Bescheinigung aufgrund der verdächtigen Umstände wirksam angezweifelt werden kann. Die Parteien stritten über die Entgeltfortzahlung. In erster Instanz bekam der Arbeitnehmer Recht. Der Arbeitgeber ging jedoch in Berufung und erwirkte eine Abänderung des vorinstanzlichen Urteils. Die Entscheidung ist rechtskräftig, eine Revision wurde nicht zugelassen.

Der im Februar 2000 geborene Kläger arbeitete als Fleischer seit September 2020 bei der Beklagten und seit September 2021 als stellvertretender Abteilungsleiter der Pökelei. Allein in der Zeit von Oktober bis Dezember 2022 war er laut Bescheinigungen sechsmal jeweils für drei bis fünf Tage arbeitsunfähig erkrankt, zuletzt in der Woche vom 5. bis zum 9. Dezember.

Am Ende dieser Woche kündigte der Kläger das Arbeitsverhältnis dann fristgemäß zum 15.1.2023. Das Kündigungsschreiben übergab er dem Betriebsleiter am 12. Dezember, am Folgetag suchte er einen Praktischen Arzt auf, der ihm eine Arbeitsunfähigkeit bis zum – voraussichtlich – 6.1.2023 bescheinigte. Die Diagnose lautete F43.2 G (Anpassungsstörungen) und F45.9 G (Somatoforme Störung, nicht näher bezeichnet). Der Arzt verschrieb ein Antidepressivum und stellte eine Überweisung an einen Psychiater aus. Der Kläger beschaffte sich jedoch weder die verschriebenen Präparate noch suchte er einen Facharzt auf. Trotzdem stellte sein Hausarzt am 2.1.2023 eine Folgebescheinigung bis zum 16.1.2023 aus.

Der ärztliche Rat muss schon auch befolgt werden

Der Arbeitgeber zweifelte die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung an, da es sich exakt um den Zeitraum der Kündigungsfrist handelte. Zudem habe es bei der Übergabe des Kündigungsschreibens keinerlei Anzeichen für eine Erkrankung gegeben. Auch stammte die Folgebescheinigung trotz der Überweisung an einen Facharzt wiederum von dem Praktischen Arzt. Der Arbeitnehmer klagte auf Entgeltfortzahlung und argumentierte, er habe keinen Facharzt aufgesucht, da es nicht möglich gewesen sei, einen zeitnahen Termin zu bekommen. Die verschriebenen Medikamente habe er nicht genommen, da ihm der Arzt empfohlen habe, „es erst einmal mit Ruhe zu versuchen“.

Anders als das Arbeitsgericht Rostock folgte das Landesarbeitsgericht der Bewertung des Arbeitgebers, der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung sei schon deshalb erschüttert, weil damit passgenau die Kündigungsfrist abgedeckt werde. Die Einschätzung des behandelnden Arztes könne nicht allein ausschlaggebend sein, so das Gericht, da dieser sich bei den im vorliegenden Fall nicht nachprüfbaren Symptomen letztlich auf die Schilderungen des Patienten verlassen müsse. Dem Arbeitnehmer stehe es zwar frei, ob er die verschriebenen Medikamente einnehme und einen Facharzt aufsuche, gegen eine Erkrankung spreche allerdings, so das Gericht weiter, wenn sich der Erkrankte, „anders als [...] zu erwarten, über sämtliche ärztlichen Anordnungen hinwegsetzt".

Der behandelnde Arzt habe die Medikamente eben nicht lediglich für den Bedarfsfall verschrieben. Ebenso wenig finde sich irgendwo ein Hinweis des Arztes, es zunächst mit Ruhe zu versuchen und die Medikamente gegebenenfalls erst später einzunehmen. Im Übrigen stehe ein Bedarf an Ruhe nicht einer Arbeitsunfähigkeit gleich.

Eine zeitliche Übereinstimmung ist „regelhaft“ verdächtig

Das Gericht stellte aber auch klar, ein „bloßes Bestreiten“ der Arbeitsunfähigkeit durch den Arbeitgeber genüge nicht. Vielmehr müsse durch Darlegung der konkreten Umstände bewiesen werden, dass es berechtigte Zweifel an der Erkrankung gibt. Dies sei jedoch „regelhaft“ gegeben, wenn ein Arbeitnehmer zeitgleich mit seiner Kündigung eine AU-Bescheinigung einreicht, die passgenau die verbleibende Dauer des Arbeitsverhältnisses abdeckt. Aufgrund der Koinzidenz zwischen der bescheinigten Arbeitsunfähigkeit sowie dem Beginn und dem Ende der Kündigungsfrist bestehen dann „ernsthafte Zweifel“ an der Arbeitsunfähigkeit“. Das gelte in gleicher Weise bei einer Kündigung durch den Arbeitgeber.

Ist der Beweiswert erschüttert, tritt juristisch derselbe Zustand ein wie vor der Vorlage der Bescheinigung. „Es ist dann Sache des Arbeitnehmers“, so das Gericht, „konkrete Tatsachen darzulegen [...], die den Schluss auf eine bestehende Erkrankung zulassen.“ Dazu sei eine Beschreibung erforderlich, welche Krankheiten vorgelegen haben, welche gesundheitlichen Einschränkungen daraus resultierten und welche Verhaltensmaßregeln oder Medikamente verordnet wurden. „Der Arbeitnehmer muss also zumindest laienhaft bezogen auf den gesamten Entgeltfortzahlungszeitraum schildern, welche konkreten gesundheitlichen Beeinträchtigungen mit welchen Auswirkungen auf seine Arbeitsfähigkeit bestanden haben“, heißt es in der Urteilsbegründung.

Eben diese Beweise habe der Kläger im vorliegenden Fall nicht beibringen können. Er habe zwar die ärztlichen Diagnosen offengelegt, jedoch weder konkrete gesundheitliche Einschränkungen vorgetragen noch deren Auswirkungen auf seine geschuldete Tätigkeit dargestellt. Auch sei ein Zusammenhang mit früheren Erkrankungen nicht nachvollziehbar, urteilte das Gericht und wies die Klage auf Entgeltfortzahlung ab.

Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern
Az.: 5 Sa 98/23
Urteil vom 7. Mai 2024

Vorinstanz:
Arbeitsgericht Rostock
Az.: 2 Ca 1525/22
Urteil vom 5. Juni 2023

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