Urteil aus Nordrhein-Westfalen

Festzuschuss: Gericht präzisiert Ausnahmeregelung

ao
Politik
Versicherte erhalten einen Festzuschuss in Höhe von 75 Prozent auch dann, wenn sie in den letzten zehn Jahren vor der Behandlung die Vorsorgeuntersuchungen mit einer einmaligen Unterbrechung in Anspruch genommen haben und diese Lücke hinreichend begründen können. Das hat das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen entschieden.

Die Revision vor dem Bundessozialgericht hat das Gericht nicht zugelassen. Damit ist das Urteil (Az. L 5 KR 1137/23) rechtskräftig.

Voraussetzung für die Anerkennung der Ausnahmeregelung beim sogenannten großen Bonusanspruch bei Zahnersatzbehandlungen ist demnach eine ausreichende Begründung gegenüber der Krankenkasse, warum die Patientin oder der Patient in dem betreffenden Jahr beziehungsweise Halbjahr nicht zur Zahnärztin oder zum Zahnarzt gehen konnte. Unerheblich ist, in welchem Jahr die Vorsorgeuntersuchung nicht wahrgenommen werden konnte. Der Anspruch auf den Festzuschuss von 75 Prozent bleibt auch dann erhalten, wenn die „Lücke“ in den letzten fünf Jahren vor der Behandlung aufgetreten ist.

Kasse wollte nur Festzuschuss von 60 Prozent genehmigen

Im konkreten Fall hatte eine Versicherte Ende 2020 bei ihrer Krankenkasse die Kostenübernahme für einen Zahnersatz beantragt. Die Kasse bewilligte den vorgelegten Heil- und Kostenplan, wies aber zugleich darauf hin, dass die Versicherte kein vollständiges Bonusheft habe. Daher beteilige sie sich lediglich mit 60 Prozent an den Kosten des Zahnersatzes.

Die Versicherte erhob dagegen Widerspruch und machte geltend, dass in ihrem Bonusheft in den letzten zehn Jahren lediglich ein einziger Stempel für das Jahr 2019 fehle. Als Grund führte sie besondere Umstände an. So sei sie im Frühjahr 2019 schwer an Krebs erkrankt und zwei Mal operiert worden. Die Erkrankung, Behandlung, Rehabilitation und Nachsorge hätten sich über das ganze Jahr 2019 hingezogen, so dass ein Zahnvorsorgetermin nicht möglich gewesen sei.

Die Krankenkasse wies den Widerspruch der Versicherten mit Bescheid vom 18. Mai 2021 als unbegründet zurück. Die Voraussetzungen der Härtefallregelungen seien nicht erfüllt. Der Gesetzgeber habe kein Ermessen vorgesehen, wenn während der letzten fünf Jahre nicht in jedem Kalenderjahr die Vorsorgeuntersuchung durchgeführt worden sei.

Versicherte klagte vor dem Sozialgericht

Daraufhin klagte die Versicherte am 28. Mai 2021 vor dem Sozialgericht Münster (Az. S 7 KR 433/21). Nachdem die Frau verstorben war, führte ihr Mann das Verfahren fort. Er beantragte, die Höhe des Festzuschusses neu festzulegen.

Das Sozialgericht verurteilte die Kasse mit Urteil vom 20. September 2023, den Antrag auf Gewährung von Festzuschüssen im Hinblick auf deren Höhe unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu bescheiden. Entgegen der Auffassung der Kasse setze § 55 Absatz 1 S. 6 SGB V nicht voraus, dass die einmalige Versäumung eines zahnärztlichen Vorsorgeuntersuchungstermins in den Jahren sechs bis zehn vor Behandlungsbeginn erfolgt sei und die Untersuchungen in den fünf Jahren vor Behandlungsbeginn nicht versäumt worden seien, hieß es in der Begründung.

LSG wies Argumentation der Kasse zurück

Die Krankenkasse legte gegen das Urteil des SG Münster am 20. Dezember 2023 Berufung vor dem Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen ein. Das Gericht entschied, dass die Ablehnung von Festzuschüssen in Höhe von weiteren 15 Prozentpunkten – also 60 statt 75 Prozent – im konkreten Fall rechtswidrig sei.

Entgegen der Auffassung der Krankenkasse sah es das Gericht für den Anspruch eines Festzuschusses in Höhe von 75 Prozent nicht für erforderlich an, dass das einmalige Versäumnis einer Vorsorgeuntersuchung mehr als fünf Jahre zurückliege. Wichtig sei die regelmäßige Zahnpflege. In § 55 Abs. 1 S. 6 SGB V heiße es, dass lediglich ein einmaliges Versäumnis der Vorsorgeuntersuchung „in den letzten zehn Jahren vor Behandlungsbeginn“ erfolgt sein dürfe. Eine nähere Eingrenzung, dass das Versäumnis mehr als fünf Jahre zurückliegen müsse, sei der Formulierung hingegen nicht zu entnehmen, begründete das Gericht seine Entscheidung.

LSG Nordrhein-Westfalen
Az.: L 5 KR 1137/23
Urteil vom 10. Oktober 2024

Melden Sie sich hier zum zm Online-Newsletter an

Die aktuellen Nachrichten direkt in Ihren Posteingang

zm Online-Newsletter


Sie interessieren sich für einen unserer anderen Newsletter?
Hier geht zu den Anmeldungen zm starter-Newsletter und zm Heft-Newsletter.