"Man sollte mit viel Blut, Eiter, Schreien und Tränen klarkommen"
Was hat Sie bewogen im vergangenen Jahr an der Verlosung für einen Hilfseinsatz mit der „Africa Mercy“ teilzunehmen?
Isabel Roth:Zunächst war es eine spontane „Bewerbung“ für den zweiwöchigen Hilfseinsatz. Ich erhoffte mir eine aufregende Zeit und wertvolle Erfahrungen, sowohl im zahnmedizinischen Bereich als auch persönliche Erfahrungen, die man nie mehr vergessen wird.
Wie hat Ihr damaliger Chef auf Ihren Wunsch, an einem Hilfseinsatz teilzunehmen, reagiert?
Er wollte mir zunächst nicht glauben, dass ich die Reise gewonnen habe und sie wirklich antreten möchte. Aber er unterstützte mich bei der Vorbereitung für die Reise.
Mit welchen Erwartungen sind Sie an Bord der „Africa Mercy“ gegangen?
Ich habe sehr viele Menschen auf engstem Raum und Verständigungsprobleme erwartet (lacht).
Und wurden Ihre Erwartungen erfüllt?
Sie haben sich mehr als erfüllt (lacht). Es waren wirklich viele Menschen auf dem Schiff, ich schlief jede Nacht mit neun anderen Frauen in einem Zimmer. Aber die Menschen verteilten sich dann doch gut bei ihren verschiedenen Tätigkeiten an Bord oder an Land, bei Tag oder bei Nacht und am Wochenende bei diversen geplanten oder selbstständigen Unternehmungen. Zudem hatte jeder nach Feierabend freien „Ausgang“ an Land. Damit niemand verloren ging, wurde der „Ausgang“ natürlich elektronisch überwacht.
Menschen aus den unterschiedlichsten Nationen arbeiten gemeinsam auf dem Schiff. Wie ist die Atmosphäre an Bord?
Die Atmosphäre an Bord war stets entspannt und ausgeglichen. Man merkt, dass alle Menschen freiwillig dort sind, um Gutes zu tun. Im Aufenthaltsraum ist man nie alleine, es entstehen immer wieder spannende Konversationen, da die Menschen sehr tolerant und offen sind und schließlich alle aus einem Grund dort sind: Um zu helfen! Wir alle haben das gleiche Ziel! Wir alle arbeiten Hand in Hand!
Wie sah Ihre tägliche Arbeit als ZFA auf der „Africa Mercy“ aus?
Direkt nach dem Frühstück ging es für das gesamte Dental Team los zur Zahnklinik, die direkt neben der Universität von Conakry erbaut worden ist. Als das gesamte Team, inklusive der „Day Worker“, welche Einheimische sind, die für die Anmeldung und Übersetzung von Mercy Ships angestellt sind, eingetroffen waren, wurde gemeinsam gesungen und gebetet. Gegen 9 Uhr ging die Behandlung der Patienten los.
Die Patienten waren teilweise stundenlang, quer durch das ganze Land gereist um von uns behandelt zu werden. Und sie waren bereits beim Screening, wo die wirklich behandlungsbedürftigen Fälle vorweg ausgewählt wurden. Die häufigste Behandlung war dann das Entfernen von Wurzelresten, teilweise wieder von Zahnfleisch überwuchert. Oder extrem tiefe Karies. Auch die Ausstattung der Zahnklinik war, anders als erwartet, nämlich super ausgestattet - dank zahlreicher Spenden namhafter Dentalhersteller.
Den Menschen in Guinea fehlt leider die Aufklärung über die Anwendung von Zahnbürste und Zahnpasta, die Aufklärung über kariesfördernde Lebensmittel und die grundsätzliche, zahnmedizinische Versorgungsmöglichkeit. Zur Aufklärung der Patienten demonstrierte eine Kollegin während der gesamten Wartezeit der Patienten Mundpflegeutensilien und erklärte, dass Karies auch von gewissen Lebensmitteln gefördert wird. Am Ende jeder Behandlung bekam dann auch jeder Patient eine Zahnbürste inklusive Zahnpasta für Zuhause überreicht.
Gegen 13 Uhr hatten wir dann Mittagspause, in einem gesonderten Raum konnten wir uns Sandwiches nach Belieben belegen. Um circa 16:30 Uhr waren wir mit den ungefähr 45 Patienten pro Tag fertig, dann fuhren wir zurück auf das Schiff und aßen zu Abend. Wir duschten und holten uns Kleidung für den nächsten Tag.
Der Rest des Abends stand zur freien Verfügung, wir gingen beispielsweise auf den Markt der Einheimischen, ließen uns traditionelle, afrikanische Kleidung schneidern, liefen zu einer Eisdiele, gingen spazieren an Land oder kauften Kleinigkeiten im Supermarkt ein. Auch diverse Sportarten wurden angeboten oder medizinische Fachvorträge fanden statt. Manchmal traf man sich auch einfach nur am Pool oder dem Starbucks Café an Bord des Schiffs. Oder man suchte den Kontakt nach Deutschland, bis wieder ein neuer Tag begann.
Welches Erlebnis ist Ihnen besonders im Gedächtnis geblieben?
In Erinnerung geblieben ist mit der Moment, als sich einer der Zahnärzte mit einer benutzen Injektionskanüle versehentlich gestochen hat. In so einem Moment bleibt einem das Herz kurz stehen, da in Afrika ein viel höheres Infektionsrisiko besteht als beispielsweise in Deutschland. Aber das Schiff ist für solch einen Fall bestens vorbereitet. Der Arzt wurde sofort mit dem Patient zurück zum Schiff gefahren worden, dort wurde beiden Blut abgenommen und bereits ein paar Stunden später konnte der Arzt das Ergebnis erfahren.
Welche Fähigkeiten sollte man an Bord der „Africa Mercy“ als ZFA mitbringen?
Man sollte hart im Nehmen sein und keine Berührungsängste haben. Zudem sollte man mit viel Blut, Eiter und dem ein oder anderen Schrei und Tränen klarkommen.
Was haben Sie von Ihrem Hilfseinsatz mitgenommen?
Ich habe die afrikanische Kultur, die afrikanische Lebensweise, die Armut und auch die warmherzige Dankbarkeit für die Möglichkeit der medizinischen Versorgung hautnah miterleben und spüren dürfen. Und ich hatte die Möglichkeit ein Land zu bereisen, das nicht vom Tourismus überflutet ist. Zudem habe ich viele tolle Menschen kennengelernt und liebgewonnen, die am anderen Ende der Welt leben. Diese Erfahrung kann einem niemand mehr nehmen!
Würden Sie auch Ihren Kolleginnen solch einen Hilfseinsatz empfehlen?
Ich würde jedem einen Hilfseinsatz auf der Africa Mercy empfehlen, da es eine Erfahrung ist, die einem niemand mehr nehmen kann. Man stößt manchmal an seine Grenzen und überwindet den inneren „Schweinehund“, sei es mit zehn anderen Menschen in einem Zimmer zu schlafen, den ganzen Tag eine andere Sprache zu sprechen, zwischen Müllbergen und Schlamm herumzulaufen und Menschen zu behandeln, die eventuell eine katastrophale Hygiene haben, da es ihnen nicht möglich ist, den europäischen Hygienestandard zu pflegen. Aber Rückblickend war es eine tolle Herausforderung mit tollen Erinnerungen.
Mein Einsatz war sehr gut organisiert, ich fühlte mich jederzeit sicher und hatte das Gefühl, sehr viel zur Hilfe und Aufklärung der dortigen medizinischen Kräfte beitragen zu können, da uns natürlich auch die afrikanischen Zahnärzte bei unserer Arbeit zuschauten und halfen.
Es war mir nicht nur ein Anliegen, sondern auch eine besondere Ehre, die zahnmedizinische Versorgung in diesem liebenswerten Land ein Stück weiter voranbringen zu können. Die Menschen sind mir sehr herzlich begegnet und deren Dankbarkeit ist unübertroffen! Jederzeit würde ich mich gerne wieder für diesen Einsatz entscheiden, der mich um so vielfältige Erfahrungen reicher gemacht hat!