Auswirkung des GKV-FinStG

Die Parodontitis-Therapie droht zu scheitern

Susanne Theisen
Titel
Die Zahl der Neubehandlungsfälle für die dreijährige PAR-Behandlungsstrecke ist signifikant zurückgegangen. Das zeigt ein gemeinsamer Evaluationsbericht der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung und der Deutschen Gesellschaft für Parodontologie. Der am 29. September vorgestellte Bericht liefert erstmals konkrete Daten über die Auswirkungen des im vergangenen Jahr in Kraft getretenen GKV-Finanzstabilisierungsgesetzes auf die Parodontitisversorgung in Deutschland.

Lediglich 92.400 PAR-Neubehandlungen bundesweit gab es laut dem gemeinsamen Evaluationsbericht der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung (KZBV) und der Deutschen Gesellschaft für Parodontologie (DG PARO) im Juli 2023. Das bedeute einen Rückfall der Behandlungszahlen auf das Niveau von vor Einführung der neuen PAR-Behandlungsstrecke, die im Juli 2021 gestartet war.

Der Rückgang stehe in direktem Zusammenhang mit dem 2022 in Kraft getretenen GKV-Finanzstabilisierungsgesetz (GKV-FinStG), betonte Martin Hendges, Vorsitzender des Vorstandes der KZBV, bei der Vorstellung der Ergebnisse am 29. September 2023 in Berlin: „Die Regelungen des GKV-FinStG führen dazu, dass die Mittel nicht ausreichen, um die neue Parodontitistherapie flächendeckend auf ein Niveau zu heben, das der nach wie vor hohen Krankheitslast in der Bevölkerung angemessen ist. Ganz konkret heißt das: Die Budgets im Laufe des ersten Quartals 2024 lassen keine neuen PAR-Versorgungsfälle mehr zu, da die Mittel für die Nachsorge der Altfälle aus den vorangegangenen Jahren gebraucht werden.“ Die Überlagerung von alten und neuen Kosten bezeichnete der KZBV-Chef als gravierendes Problem: „Diese Problematik wird sich fortlaufend potenzieren: In 2023 fehlen bereits 368 Millionen Punkte bei der Parodontitis-Therapie, im Jahr 2024 werden es 430 Millionen sein.“

Die Zahl der Neubehandlungen ist stark rückläufig

Sollten die gesetzlichen Rahmenbedingungen, das heißt die Budgetierung der Leistungen, unverändert bleiben, werde sich der rückläufige Trend bei den Neubehandlungsfällen fortsetzen – mit verheerenden Folgen für die präventionsorientierte Parodontitisversorgung und die Mundgesundheit der Patientinnen und Patienten. Martin Hendges zeigte dabei Verständnis für die Zahnärztinnen und Zahnärzte in den Praxen: „Niemand stellt einen Blankoscheck für eine Behandlung auf drei Jahre aus, ohne Gewissheit zu haben, dass man ihn auch decken kann.“

„Wir haben die Volkskrankheit Parodontitis nicht im Griff“, sagte Prof. Dr. Peter Eickholz, Ex-Präsident und Mitglied der DG PARO, anlässlich der Vorstellung der Evaluationsergebnisse. Vor diesem Hintergrund sei die nach zehn Jahren anstrengender Verhandlungen eingeführte PAR-Strecke ein großer Erfolg und ein zurecht von allen gefeierter Meilenstein für die Mundgesundheit in Deutschland gewesen. „Und das Konzept hat auch funktioniert“, so Eickholz weiter. „Die Kolleginnen und Kollegen in den Praxen haben mitgezogen. Die Schlagzahl der systemischen Parodontitistherapie wurde erhöht. Auch bei Patientinnen und Patienten waren Akzeptanz und Adhärenz insgesamt gut.“

Das GKV-FinStG droht die Chance zu zerstören, die Volkskrankheit Parodontitis in den Griff zu bekommen.

Prof. Dr. Peter Eickholz, Ex-Präsident und Mitglied der DG PARO

Dass die neue Behandlungsstrecke bis zur Einführung des GKV-FinStG gut angenommen wurde, bestätigen die Ergebnisse des Evaluationsberichts. Demnach lag die Zahl der PAR-Neubehandlungsfälle in den vergangenen zehn Jahren vor der Einführung der neuen PAR-Behandlungsstrecke relativ konstant in einem Bereich von 960.000 bis 1,1 Millionen Fällen, abzüglich eines Corona-bedingten Rückgangs bei den Fallzahlen im Jahr 2020 von minus 7,3 Prozent gegenüber 2019. Eine deutlich steigende Entwicklung im Bereich Parodontalbehandlung ergab sich im Zuge der Neueinführung der ausgeweiteten PAR-Behandlungsstrecke. So war im Jahr 2022 eine Zunahme um 37 Prozent bei den Neuversorgungen zu verzeichnen. Für die abgerechnete Punktmenge bedeutete das laut der Analyse: Während diese sich im Bereich Parodontalbehandlung in den Jahren 2015 bis 2021 relativ konstant in einem Korridor zwischen 450 und 500 Millionen Punkten bewegte, kletterte der Wert im Zuge des ausgeweiteten Leistungsumfangs und der gestiegenen Zahl der Neubehandlungen auf rund 1.030 Millionen Punkte. KZBV und DG PARO kommen in ihrer gemeinsamen Analyse daher zu dem Schluss: „Die gewollte Bekämpfung der Volkskrankheit Parodontitis nahm nach der Einführung der neuen Behandlungsstrecke zum 1. Juli 2021 in 2022 Fahrt auf.“ Das GKV-FinStG drohe diesen Erfolg – und damit die Chance, die Parodontitis als Volkskrankheit in den Griff zu bekommen – zu zerstören, kritisierte Eickholz.

Weniger Parodontitistherapie bedeutet hohe Folgekosten

Bei KZBV und DG PARO stößt die politische Entscheidung, die PAR-Behandlungsstrecke zu budgetieren, weiterhin auf Unverständnis. Zum einen, weil allen an der Konzeption und Bewilligung beteiligten Parteien „glasklar gewesen sei, dass die neue PAR-Behandlungsstrecke erst einmal mehr kosten“ würde, bringt es Eickholz auf den Punkt. Hendges fügt einen weiteren Grund hinzu: „Es steht im Koalitionsvertrag, dass Prävention wichtig ist. Deshalb können wir nicht nachvollziehen, dass man mit dem GKV-FinStG in diese präventionsorientierte und wirksame Parodontitistherapie reingegrätscht ist.“

Das empfinden KZBV und DG PARO auch vor dem Hintergrund widersinnig, dass dies mit erheblichen Folgekosten für die Krankenkassen verbunden sein wird. Diese summieren sich nach Berechnungen der KZBV allein im zahnärztlichen Bereich auf etwas mehr als 200 Millionen Euro jährlich. So belaufen sich die Folgekosten einer nicht durchgeführten Parodontitisbehandlung im Bereich der konservierend-chirurgischen Behandlung auf rund 151 Millionen Euro und im Bereich Zahnersatz auf rund 52 Millionen Euro pro Jahr. „Damit bewegen sich die Folgekosten (allein in Bezug auf den vertragszahnärztlichen Bereich) in der Größenordnung des für die Zahnärztinnen und Zahnärzte vorgesehenen Einsparvolumens des GKV-FinStG.“

Wir setzen alles daran, die PAR-Behandlungsstrecke für 2024 von der Budgetierung zu befreien.

Martin Hendges, Vorsitzender des Vorstandes der KZBV

Darüber hinaus sei von deutlich positiven Auswirkungen der PAR-Behandlung auf die Allgemeingesundheit der Versicherten und dadurch induzierte Einsparungen im ärztlichen Sektor auszugehen – insbesondere im Zusammenhang mit Diabeteserkrankungen. Eickholz zog im Zusammenhang mit indirekten Krankheitskosten aufgrund unbehandelter Parodontitis eine international vergleichende Studie für Deutschland heran, die diese Kosten auf rund 34,79 Milliarden Euro schätzt. Dazu KZBV-Chef Hendges: „Die konsequente Therapie von Parodontitis würde diese Kosten zumindest reduzieren und die Wirtschaft entlasten. Auch aus diesem Grund besteht dringender politischer Handlungsbedarf. Es ist zwingend erforderlich, die Leistungen der Parodontitistherapie von der Budgetierung des GKV-FinStG noch in diesem Jahr auszunehmen!“

Das Ziel: Änderungen für 2024 erwirken

Die KZBV werde den Evaluationsbericht nutzen, um der Regierung die Folgen ihrer Entscheidung schwarz auf weiß vor Augen zu führen und in den kommenden Wochen und Monaten weiter den Druck auf das Bundesgesundheitsministerium zu erhöhen, kündigte Hendges an: „Wir setzen alles daran, die PAR-Behandlungsstrecke für 2024 von der Budgetierung zu befreien.“ Das sei für alle Kassenzahnärztlichen Vereinigungen in Deutschland entscheidend – auch für die, die zurzeit noch von regionalen Verträgen profitierten, die die finanziellen Auswirkungen des GKV-FinStG abmilderten. „Spätestens, wenn diese Sonderregelungen im nächsten Jahr auslaufen, werden sich die Auswirkungen der Budgetierung bundesweit deutlich zeigen – dann kracht es überall.“

Der Evaluationsbericht wurde am 28. September an Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach überstellt, verbunden mit dem Appell, die Leistungen der Parodontitistherapie von der Budgetierung noch in diesem Jahr auszunehmen. Für andere Präventionsleistungen sei das im GKV-FinStG bereits vorgesehen. KZBV und DG PARO erinnern den Minister in ihrem Brief daran, dass ein „jahrzehntelang von der Vertragszahnärzteschaft praktizierter präventiver Versorgungsansatz sowohl im Hinblick auf die Mundgesundheit als auch die GKV-Ausgaben zielführend ist. Das zeigen die kontinuierlich sinkenden Anteile der zahnärztlichen Ausgaben an den Gesamtausgaben der GKV. Der Anteil ist von rund 9 Prozent im Jahr 2000 auf 6,11 Prozent in 2022 gesunken“.

Melden Sie sich hier zum zm Online-Newsletter an

Die aktuellen Nachrichten direkt in Ihren Posteingang

zm Online-Newsletter


Sie interessieren sich für einen unserer anderen Newsletter?
Hier geht zu den Anmeldungen zm starter-Newsletter und zm Heft-Newsletter.