Post-COVID-Syndrom wird mit KI erforscht
An der Universitätsmedizin Mainz ist ein neues Corona-Forschungsprojekt gestartet: Der interdisziplinäre Forschungsverbund „EPIC-AI – Endotyping the Post-COVID Syndrome by integrative multi-omics analysis using articifical intelligence – towards personalized therapy“ will die komplexen Mechanismen, die den vielfältigen Langzeitfolgen einer SARS-CoV-2-Infektion zugrunde liegen, mit Künstlicher Intelligenz (KI) untersuchen. Dabei greifen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auf umfangreiche Bevölkerungsdaten aus Rheinland-Pfalz zurück.
Bis zu 15 Prozent der Bevölkerung betroffen
Schätzungen des Robert Koch-Instituts zufolge sind sechs bis 15 Prozent der Bevölkerung von den Langzeitfolgen einer COVID-19-Erkrankung betroffen. Als Post-COVID-Syndrom (PCS) werden gesundheitlichen Beschwerden bezeichnet, die länger als drei Monate nach einer akuten Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 bestehen und auf keine andere Ursache zurückzuführen sind.
Die Beeinträchtigungen sind sehr vielfältig und können unter anderem die Lunge, das Herz-Kreislauf-System, die Muskulatur, den Darm, die Nieren sowie die kognitiven Fähigkeiten und die psychische Gesundheit betreffen. Zu den häufigsten PCS-Symptomen zählen anhaltende Erschöpfungszustände, die sich als myalgische Enzephalomyelitis oder chronisches Fatigue-Syndrom (ME/CFS) manifestieren können, Kurzatmigkeit oder Konzentrations- und Gedächtnisprobleme.
PCS kann die Lebensqualität und den Alltag der Betroffenen stark beeinträchtigen. Die Ursachen der Erkrankung sind bisher noch unzureichend entschlüsselt. Die Therapie erfolgt daher bisher rein symptomatisch.
KI soll Daten von 50.000 Patienten analysieren
Ziel der Mainzer Forscher ist es, Untergruppen von Post-COVID-Patienten, die unterschiedliche molekulare Pathomechanismen aufweisen – sogenannte Endotypen –, zu identifizieren. Zu diesem Zweck werden die Daten von fast 50.000 Menschen durch den Einsatz von modernsten Techniken der Künstlichen Intelligenz ausgewertet.
„Mit der Klassifizierung und Endotypisierung des Krankheitsbilds sollen die komplexen und heterogenen Krankheitsmechanismen besser verstanden werden. Dies schafft dringend notwendige Grundlagen für die Entwicklung von optimierten und personalisierten Therapieoptionen, um die medizinische Versorgung zu verbessern. Hier wollen wir mit EPIC-AI ansetzen“, erklärt der koordinierende Leiter des Forschungsverbunds, Philipp Wild, Professor für Klinische Epidemiologie und Systemmedizin an der Universitätsmedizin Mainz.
Hoffnung auf die Identifikation von Biomarkern
Die Wissenschaftler untersuchen unter anderem Funktionsstörungen der Organsysteme sowie neurologische, neuropsychiatrische, biopsychosoziale und mentale Veränderungen. Sie identifizieren Unterschiede in Zellzusammensetzungen des Blutes und analysieren genetische Daten.
„Mithilfe von Hochdurchsatzverfahren werden wir das Transkriptom und Proteom von Immunzellen untersuchen, um molekulare Mechanismen aufzudecken, die am PCS-Geschehen beteiligt sind. Diese Erkenntnisse können zum einen zur Identifikation von Biomarkern genutzt werden, die eine spezifische Diagnostik ermöglichen, und zum anderen Hinweise für neue Therapieansätze liefern“, erklärt Univ.-Prof. Tobias Bopp, Direktor des Instituts für Immunologie der Universitätsmedizin Mainz.
Als Datenbasis dienen die bevölkerungsbasierten Kohortenstudien Gutenberg COVID-19 Studie, Gutenberg Post-COVID Studie und Gutenberg-Gesundheitsstudie sowie Daten des Surveillance- und Frühwarnsystems für SARS-CoV-2-Infektionen SentiSurv RLP, der COVID-19-Impfdokumentation und des SARS-CoV-2 Abwassermonitorings in Rheinland-Pfalz.
Viele Erkrankte sind seit Jahren unterversorgt
Zwei gemeinsame Datathons (IT-Wettbewerbe) verknüpfen nicht nur die komplementären Datenquellen miteinander, sondern intensivieren zudem die Interaktion zwischen den Forschenden. Um eine patientenorientierte und -zentrierte Forschung sicherzustellen, bildet der kontinuierliche Wissens- und Erfahrungsaustausch mit Post-COVID-Betroffenen eine weitere wichtige Säule von EPIC-AI.
"Viele Erkrankte sind seit Jahren unterversorgt und kämpfen mit einer massiven Belastung, daher ist es besonders wichtig, dass ihre Stimmen gehört werden. Das Projekt EPIC-AI ist eine bedeutende Initiative, um das Verständnis von Post-COVID mithilfe relevanter und patientennaher Forschung zu verbessern. Daher ich freue mich, Teil dieses Prozesses zu sein“, sagt Johanna Theobald, Gründerin der Selbsthilfegruppe Long Covid Mainz.
Das auf zwei Jahre angelegte Projekt wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) mit 500.000 Euro gefördert.