„Private Equity heißt Profit vor Patientenwohl“
Die gemeinnützige Gesellschaft „Finanzwende Recherche“ ist eine Tochter des 2018 vom Bundestagsabgeordneten Gerhard Schick (Grüne) gegründeten Vereins „Bürgerbewegung Finanzwende“ und hat in ihrem Report untersucht, wie sich Private-Equity-Beteiligungen auf Arztpraxen auswirken. Die AutorInnen betrachteten dazu fünf Fallbeispiele:
ZytoService (Pharma, Onkologie, Immunologie und Gastroenterologie)
Ober Scharrer Gruppe (Augenheilkunde)
Artemis (Augenheilkunde)
Zahneins (Zahnheilkunde)
Dr. med. Kielstein Praxen (Allgemeinmedizin)
Was die Autoren allgemein beobachtet haben: Von ihrem Einstieg erwarten die Geldgeber oft eine Rendite um die 20 Prozent. Die Private-Equity-Firmen strukturieren dazu das Geschäftsmodell der aufgekauften Praxen in der Regel nach der sogenannten Buy-and-Build-Strategie um, denn die maßgebliche Rendite wird in der Regel vor allem beim Weiterverkauf des Praxen-Konzerns erzielt.
So funktioniert das Geschäftsmodell der Investoren
Die StudienautorInnen beschreiben die Geschäftspraxis der Private-Equity-Firmen so: Für den Kauf von Arztpraxen nimmt der Praxen-Konzern hohe Kredite auf. Dieser hohe Anteil an Fremdfinanzierung durch Kredite erlaubt es ihm, einen hohen Preis für das Kaufobjekt zu bieten und so den Zuschlag zu erhalten. Die dabei entstehenden Schulden werden in der Regel auf das Krankenhaus oder auf die erworbene Praxis übertragen. Die Private-Equity-Firma selbst zahlt nur einen kleinen Teil des hohen Kaufpreises mit ihrem eigenen Kapital. Durch den hohen Einsatz von Fremdkapital steigt bei Erfolg die Eigenkapitalrendite und damit die rechnerische Profitabilität des Unternehmens.
Nachdem das Unternehmen eine signifikante Anzahl an Arztpraxen erworben hat, greift es in vielen Fällen operativ in das Geschäft ein. Dazu gehört die weitere Kreditaufnahme, um neue Einheiten dazu zu kaufen. „Das eingesetzte Eigenkapital wird durch die Aufnahme von Schulden weiter gehebelt. Als Folge der hohen Verschuldung muss ein signifikanter Teil des Umsatzes des Arztpraxen-Konzerns für Zinszahlungen aufgewendet werden“, so die Experten. Weitere Kostenfaktoren wie hohe Abschreibungen führen dazu, dass am Ende die Gewinne in vielen Fällen gering ausfallen oder sogar im negativen Bereich liegen.
Das stelle jedoch kein Problem dar, „da beim Verkauf der Wert eines Praxiskonzerns nicht von seinem handelsrechtlichen Gewinn abhängig ist. Stattdessen wird auf eine andere Erfolgsgröße geschaut, nämlich den Netto-Zufluss von Barmitteln (Cashflow).“ Der Wert eines Praxen-Konzerns wird somit nicht an seiner jährlichen Profitabilität, sondern an der Höhe seiner Cashflows gemessen. Und dieser Cashflow wird durch den hohen Umsatzdruck an ÄrztInnen aufrechterhalten.
Die maßgebende Rendite für die Geldgebenden wird aber beim Verkauf des Arztpraxen-Konzerns am Ende des Prozesses erzielt. Denn das operativ umstrukturierte Unternehmen wird in aller Regel zu einem weitaus höheren Preis abgestoßen. „Der dabei entstehende Gewinn fließt zurück an den Fonds, der typischerweise durch seinen Sitz in einem Schattenfinanzzentrum keine oder kaum Steuern zahlt.“
„Nach der Übernahme durch Private-Equity-Firmen bleiben meist hoch verschuldete Unternehmen zurück“, schreiben die AutorInnen. „Insolvenzen sind dabei keine Seltenheit: Laut einer Studie von 2020 zum gesamtdeutschen Private-Equity-Markt liegt die Insolvenzquote von Unternehmen, die zwischen 2012 und 2015 in Private-Equity-Beteiligung übernommen wurden, bei 17 Prozent.“ [C. Scheuplein, Oktober 2020, ,Wer kommt, wenn Private Equity geht?: Langfristige Wirkungen auf die Eigentümerstruktur deutscher Unternehmen‘, Forschung Aktuell, Institut für Arbeit und Technik].
Insolvenzen sind keine Seltenheit
Die analysierten Firmen teilen zudem einige Charakteristika: Sie sind allesamt hochverschuldet, was eine Gefahr für die Versorgungssicherheit bedeutet. Ihre EigentümerInnen haben ihren Sitz in Offshore-Finanzzentren, in denen Gewinne nicht oder niedriger versteuert werden als in Deutschland. Außerdem sind demnach in einigen Regionen bereits heute monopolähnliche Strukturen zu erkennen, die Auswirkungen auf die Arztwahl haben.
Private-Equity-Firmen sind Unternehmen, die Gelder von Dritten in einem Fonds bündeln – zum Beispiel von Pensionsfonds. Für diese legen sie Gelder mit dem Versprechen auf hohe Renditen an. Sie kaufen Unternehmen in verschiedenen Sektoren auf, sei es im verarbeitenden Gewerbe, in der IT-Branche oder wie hier im Gesundheitswesen. Um hohe Renditen zu erreichen, verändern sie die Geschäftsmodelle der aufgekauften Firmen, beispielsweise durch die Aufnahme hoher Schulden für weitere Aufkäufe.
aus der Studie
Länder machen Regulierungsvorschläge
Bayern, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein wollen MVZ stärker regulieren. So sollen Monopolstellungen einzelner Träger verhindert und eine am Patientenwohl orientierte ambulante Versorgung gestärkt werden. Dazu haben die drei Länder unter bayerischer Federführung eine gemeinsame Bundesratsinitiative entworfen. Darin fordern sie die Bundesregierung auf, ein MVZ-Regulierungsgesetz zu schaffen.
Im Eckpunktepapier zum sogenannten Entschließungsantrag für ein MVZ-Regulierungsgesetz sind insgesamt neun Regulierungsvorschläge genannt. Neben einer MVZ-Schilderpflicht sieht das Papier die Einführung eines von den Kassenärztlichen Vereinigungen zu führenden MVZ-Registers vor, in dem die „nachgelagerten Inhaberstrukturen offenzulegen sind“. Die Verpflichtung zur Eintragung in das Register soll als Zulassungsvoraussetzung für MVZ geschaffen werden.
Aufgrund des rasanten Wachstums bei den MVZ befürchte man zunehmende Konzentrationen und in einzelnen Regionen Abhängigkeiten von nur einem Leistungsanbieter, betont Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU). Allein in Bayern sei die Zahl der MVZ seit deren Einführung 2004 von 9 auf 938 im August 2022 „explodiert“. Rund 20 Prozent davon sind laut Holetschek in der Trägerschaft privater Krankenhäuser, über die Finanzinvestoren oft ihre MVZ betreiben.
Darüber hinaus gibt es Maßnahmen zur Begrenzung von Konzentrationsprozessen und Monopolisierungstendenzen: Das Papier führt zwei Umsetzungsalternativen auf. Während Alternative 1 die Gründungsbefugnis in räumlicher Sicht auf den jeweiligen KV-Bezirk, in dem das Krankenhaus seinen Sitz hat, sowie auf einen unmittelbar benachbarten KV-Bezirk beschränkt, dürfen Alternative 2 zufolge MVZ nur in denjenigen arztgruppenbezogenen Planungsbereichen gegründet werden, die sich ganz oder teilweise innerhalb eines Radius von 50 Kilometern vom Trägerkrankenhaus befinden.
Der Versorgungsanteil für neue, von einem Träger gegründete ärztliche MVZ soll laut Papier im jeweiligen arztgruppenbezogenen Planungsbereich bei Hausärzten auf maximal 25 Prozent und bei der allgemeinen und speziellen fachärztlichen Versorgung auf maximal 50 Prozent pro Facharztgruppe begrenzt werden. Für unterversorgte und drohend unterversorgte Planungsbereiche sollen Ausnahmen vorgesehen werden. Bezogen auf KV-Bezirke beträgt der Höchstanteil eines Trägers bei der hausärztlichen Versorgung demnach fünf und bei der fachärztlichen Versorgung zehn Prozent.
Ferner soll die ärztliche Leitung von MVZ durch Schutzvorschriften sowie die Schutzfunktion der ärztlichen Leitung gegen sachfremde Einflussnahme gestärkt werden, beispielsweise durch einen besonderen Abberufungs- und Kündigungsschutz für die ärztliche Leitung und Vorgaben zu deren Mindesttätigkeitsumfang. Dadurch soll die ärztliche Unabhängigkeit im MVZ auf der Ebene der Binnenorganisation wirksam und mit vergleichsweise milden Mitteln sichergestellt werden, heißt es in dem Papier weiter.
Auch bei Zahneins beobachten die AutorInnen seit mehreren Jahren Verluste. Aktuell sei die Eigenkapitalquote für ein typisch Private-Equity-geführtes Unternehmen aber noch „relativ hoch“. „Mit 29 Prozent Eigenkapital im Verhältnis zur Bilanzsumme liegt Zahneins deutlich vor Ober Scharrer (3 Prozent), ZytoServie (-10 Prozent) und Artemis (-50 Prozent).“ Allerdings sinke auch bei Zahneins seit mindestens 2019 das Eigenkapital kontinuierlich. Den Grund für die bisher hohe Eigenkapitalquote der Kette mit aktuell mehr als 80 Zahnarztpraxen sehen die Experten darin, dass Zahneins noch nicht lange vollständig in der Hand von Private Equity ist. Eine bestätigte Mehrheitsbeteiligung liegt erst seit 2019 vor.
Zur Verbesserung der Situation fordern die AutorInnen:
gesetzliche Rahmenbedingungen zu schaffen, „damit private Investitionen im Gesundheitssystem gesellschaftlich dienlich sind und kein Risiko für die PatientInnen und die Gesundheitsversorgung darstellen".
eine regionale Beschränkung der Zukäufe von Arztpraxen: „Darüber hinaus könnten die Anteile der Arztsitze, welche regional von einem einzelnen Konzern betrieben werden, beschränkt werden.“
Ein Transparenzregister sollte die EigentümerInnen der Medizinischen Versorgungszentren erfassen. Außerdem sollte darüber nachgedacht werden, wie auch PatientInnen über die Struktur der Arztpraxen informiert werden können, „damit sie wissen, ob sie ÄrztInnen konsultieren, die aufgrund der Eigentumsstruktur besonderen ökonomischen Anreizen unterliegen".
Zur Eindämmung der gesellschaftsschädigenden Geschäftspraktiken von Private-Equity-Firmen in Deutschland verweisen die Autoren zudem auf eine Vielzahl von im Ausland bereits umgesetzten sowie geplanten Maßnahmen hin, die sich mit Fragen der Steuervermeidung, Insolvenzhaftung und kartellrechtlichen Fragen beschäftigen. mg
Der Report:
Li, Aurora; Zöllner, Uwe; Peters, Michael (2023): Profite vor Patientenwohl – Private-Equity-Beteiligungen an Arztpraxen, Finanzwende Recherche, Berlin. https://www.finanzwende-recherche.de/wp-content/uploads/Profite-vor-Patientenwohl_Private-Equity-Beteiligungen-an-Arztpraxen-in-Deutschland.pdf