Sind Bakteriophagen die Lösung gegen multiresistente Keime?
Als Ihor S. (Name geändert) in die Klinik und Poliklinik für Unfallchirurgie des Universitätsklinikums Regensburg (UKR) verlegt wurde, zeigten sich zwei schwerwiegende medizinische Herausforderungen.
„Zum einen hatte der Ukrainer einen großen und bakteriell infizierten Knochendefekt im linken Oberschenkel, der bis dato nicht ausreichend versorgt wurde. Zum anderen hatte er gleich vier hoch antiobiotikaresistente Keime, die immer wieder zu neuen Infektionen führten“, erläutert Prof. Dr. Dr. Volker Alt, Direktor der Klinik und Poliklinik für Unfallchirurgie des UKR. „Wir haben uns deswegen im Rahmen eines individuellen Heilversuchs dazu entschieden, Ihor mit Bakteriophagen zu behandeln, um für ihn die Chance der Infektionskontrolle zu erhöhen.“
Die Phagentherapie ist in Deutschland bislang nicht als Standardtherapie zugelassen – obwohl die Therapie keineswegs neu ist. Ihre Wirkung ist schon seit mehr als 100 Jahren bekannt. Mit Entdeckung des Antibiotikums wurden die Viren aber in Westeuropa als Therapiemittel verdrängt. Weltweit führend im Umgang mit Bakteriophagen ist heute das Georg-Eliava-Institut in Georgien, das auch die Phagen für Ihor züchtete.
„Bakteriophagen haben wie alle Viren keinen eigenen Stoffwechsel und sind somit auf einen Wirt angewiesen", berichtet Alt. „Im Fall von Bakteriophagen sind dies Bakterien. Die Phagen geben ihre DNS in das Bakterium ab und zwingen es so, selbst Bakteriophagen herzustellen, bis das Bakterium zerstört wird und die neu produzierten Bakteriophagen freisetzt."
Bakteriophagen-Therapie erfährt neuen Aufschwung
In Deutschland werden aktuell Pilotstudien und Einzelfallbehandlungen durchgeführt. „Bakteriophagen könnten allerdings wieder an Bedeutung zunehmen, denn die rasante Entwicklung von antibiotikaresistenten Keimen stellt uns in der Medizin weltweit vor eine große Herausforderung“, erläutert Prof. Dr. Dr. André Gessner, Leiter des Instituts für Mikrobiologie und Hygiene am UKR.
Der Fall Ihor S.
Der Ukrainer Ihor S. hat schon vor dem offiziellen Kriegsbeginn für sein Land gekämpft. Im Dezember 2021 geriet der Soldat bei Kampfhandlungen im Donbass unter Raketenbeschuss. Ein Granatsplitter zerstörte sein linkes Bein unterhalb der Leiste. Schwerverletzt wurde er in der Ukraine erstversorgt. Allerdings waren durch die Explosion Keime in seine Wunde geraten. Durch die Wundinfektion begann eine Odyssee.
Seit Januar 2022 ist der 42-Jährige fast ununterbrochen in klinischer Behandlung und wurde bis heute etwa 50-mal operiert. Im Juni 2022 kam S., organisiert vom Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe, mit einem der ersten Verletztentransporte aus der Ukraine nach Deutschland. Zunächst wurde er in einem anderen Krankenhaus versorgt, später wurde er in die Klinik und Poliklinik für Unfallchirurgie des UKR verlegt. Für S. war die Phagentherapie die letzte Möglichkeit, sein Bein zu retten. Mit Erfolg: Nach fast einem Jahr Krankenhausaufenthalt kann der Ukrainer jetzt in eine Reha-Einrichtung entlassen werden.
Die Behandlung von S. war mit einer langen Vorbereitungszeit verbunden. So wurden Proben seiner Keime in ein Institut nach Belgien geschickt, welches dann in Kooperation mit den Kollegen in Georgien nach passenden Phagen suchte. Tatsächlich konnten für zwei von S. Keimen Bakteriophagen gefunden werden. Diese wurden mit einem speziellen Gel, das Mediziner aus Lyon erstmals zur Verfügung stellten, in die Wunde gegeben. Die Phagen sind durch das Gel gebunden und diffundieren langsam und über einen Zeitraum von mehreren Tagen aus diesem in die Wunde.
„Da wir wissen, dass sich Bakterien insbesondere an den metallischen Schrauben und Platten sammeln, die zur Stabilisation der Knochen eingebracht werden, haben wir das Gel vor allem dort aufgebracht“, erklärt Alt. Bezüglich der zwei weiteren Keime, für die keine Bakteriophagen gefunden wurden, wurden die letzten zur Verfügung stehenden Antibiotika ebenfalls direkt in die Wunde gegeben.
Um den vielversprechenden Einsatz von Bakteriophagen weiter zu verfolgen, ist die Klinik und Poliklinik für Unfallchirurgie auch weiterhin in diesem Gebiet aktiv. So wird hier gerade das Gel hinsichtlich seiner Eigenschaften als geeignetes Trägermaterial für Bakteriophagen erforscht.