Studie aus den USA

Vereinbarkeit von Familie und Beruf? Fehlanzeige

mg
Gesellschaft
75 Prozent der US-Ärztinnen verzögern aufgrund von berufsbedingtem Druck die Familiengründung, zeigt eine Studie. 52 Prozent von ihnen leiden unter Unfruchtbarkeit. Das Problem scheint sich zu verschärfen.

Der Zusammenhang wurde erstmals durch eine 2016 veröffentlichte Untersuchung bekannt. Damals zeigte sich, dass bei fast jeder vierten Ärztin, die schwanger werden wollte, Unfruchtbarkeit diagnostiziert wurde – fast doppelt so oft wie in der Normalbevölkerung. In der Folge riefen Artikel in Fachzeitschriften dazu auf, mehr Fruchtbarkeitsaufklärung und -bewusstsein bei angehenden Ärztinnen zu schaffen. Eine neue Studie zeigt nun, dass zwar 78,0 Prozent der befragten Ärztinnen den Zusammenhang von Lebensalter und Fruchtbarkeitsrückgangs korrekt beschreiben konnten, angesichts ihres beruflichen Drucks aber trotzdem die eigene Familienplanung verzögerten.

Insgesamt wurden 1.056 Cisgender-Frauen (mittleres Alter: 38,3 Jahre) auf allen Ausbildungsebenen (67,6 Prozent behandelnde Ärztinnen und 26,8 Prozent Assistenzärzte oder Stipendiaten befragt. Von den Teilnehmerinnen arbeiteten 38,6 Prozent in chirurgischen Fachrichtungen, der Rest in nicht-chirurgischen Fachgebieten. Alle Formen der Praxiseinrichtung waren vertreten. Zu den am häufigsten vertretenen Fachgebieten gehörten Gynäkologie (30,4 Prozent), Innere Medizin (17,9 Prozent) und Pädiatrie (12,6 Prozent).

910 Befragte (86,2 Prozent) waren verheiratet oder lebten in einer Partnerschaft und 690 Befragte (65,3 Prozent) hatten Kinder. Von den Befragten mit Kindern beabsichtigten 31,6 Prozent weitere Kinder zu bekommen, und von den Befragten ohne Kinder hatten 79,9 Prozent vor, in Zukunft Kinder zu bekommen. Während 824 Ärztinnen (78,0 Prozent) den Zusammenhang zwischen zunehmendem Alter und dem damit verbundenen Fruchtbarkeitsrückgangs korrekt benennen konnten, berichteten 798 Personen (75,6 Prozent) über eine absichtliche Verzögerung der Familiengründung, 389 Personen (36,8 Prozent) hatten in der Folge Unfruchtbarkeit erlebt. Als selbstgewählte Maßnahmen zur Erhöhung der Empfängnischancen gaben die Befragten an:

  • 47,2 Prozent verzichteten auf einen beruflichen Aufstieg

  • 47,1 Prozent reduzierten die Arbeitszeit

  • 28,8 Prozent nahmen einen verlängerten Urlaub

  • 24,8 Prozent wechselten die Fachrichtung

  • 24,8 Prozent wechselten den Arbeitsplatz

  • 4,3 Prozent gaben ihren Beruf auf

29,9 Prozent der Befragten arbeiteten nach eigenen Angaben 60 oder mehr Stunden pro Woche. Bei den verheirateten oder in einer Partnerschaft lebenden Frauen gaben 14,3 Prozent an, dass ihr Partner 60 oder mehr Stunden pro Woche arbeitete. Die meisten Befragten (93,6 Prozent) benannten die Kombination aus der langen Ausbildungsdauer und der Notwendigkeit der Familienplanung als Problem. 75,6 Prozent berichteten von einer Verzögerung der Familiengründung aufgrund ihrer medizinischen Ausbildung oder Facharztwahl. Von den Befragten, die die Familiengründung verzögerten, betrug diese bei 182 Personen (22,8 Prozent) mehr als fünf Jahre. Lediglich jede fünfte Frau (20,2 Prozent) gab an, die Familiengründung nicht verzögert zu haben. Die Ergebnisse unterschieden sich nicht je nach Fachgebiet.

Von allen Befragten litten 389 Personen (36,8 Prozent) an Unfruchtbarkeit, 51,4 Prozent von ihnen setzen anschließend auf In-vitro-Fertilisation. Bei Frauen, die die Familiengründung verzögerten, war die Wahrscheinlichkeit einer Unfruchtbarkeit höher als bei Frauen, die die Fruchtbarkeit nicht verzögerten (52,6 Prozent vs. 32,4 Prozent). Die Unfruchtbarkeitsraten war bei denjenigen höher, die die Familiengründung um mehr als fünf Jahre  verzögerten (64,3 Prozent) als bei einer Verzögerung von drei bis fünf Jahren (62,1 Prozent) beziehungsweise einer Verzögerung von weniger als drei Jahren (42,5 Prozent).

Autoren sehen Notwendigkeit von politischen Reformen

Zu den Gründen für die Verzögerung gehörten mangelnde zeitliche Flexibilität, Stress, finanzielle Belastung und die Sorge, Kollegen zu belasten. Von den Befragten, die die Familiengründung verzögerten, äußerten 105 Personen (13,1 Prozent) „sehr große“ oder „extreme“ Bedenken hinsichtlich mangelnder Unterstützung bezüglich einer Vereinbarkeit von Familie und Beruf durch ihre Vorgesetzten. Mehr als jede Vierte (42,4 Prozent) aller Befragten hatte nach eigenen Angaben über eine Kryokonservierung von Eizellen nachgedacht, 11,5 Prozent hatten die Behandlung abgeschlossen.

Die Ergebnisse deuten nach Ansicht der Forschenden darauf hin, dass Familiengründungsbedenken bei Frauen in der Medizin zu anhaltenden Geschlechterungleichheiten und Abwanderung beitragen können. Verschiedene Studien hätten gezeigt, dass weibliche Absolventen medizinischer Fakultäten in den USA mit geringerer Wahrscheinlichkeit in höhere Fakultätsränge befördert werden und seltener als Männer in führenden medizinischen Fachzeitschriften publizieren. Diese Geschlechterungleichheiten stellten „einen potenziell kritischen Bereich für politische Reformen und künftige Veränderungen dar“, heißt es. Es gebe eine dringende Notwendigkeit, Ärztinnen bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf besser zu unterstützen.

Bakkensen JB, Smith KS, Cheung EO, et al. Childbearing, Infertility, and Career Trajectories Among Women in Medicine. JAMA Netw Open. 2023;6(7):e2326192. doi:10.1001/jamanetworkopen.2023.26192

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