Neuverhandlung am Bundesverfassungsgericht

War die Impfpflicht auf Basis der RKI-Protokolle haltbar?

LL
Recht
Ob die einrichtungsbezogene COVID-Impfpflicht auch unter Berücksichtigung der in den RKI-Protokollen enthaltenen Erkenntnissen zur Schutzwirkung noch rechtmäßig ist, muss das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) neu verhandeln.

Dass die Impfung nicht vor einer Virusübertragung, sondern vorrangig vor schweren Krankheitsverläufen mit COVID-19 schützt, war bei der Entscheidung im April 2022 möglicherweise nicht ausreichend berücksichtigt worden: Das Robert Koch-Institut (RKI) hat das Bundesgesundheitsministerium (BMG) eventuell nicht ausreichend darüber informiert.

Die zwischenzeitlich veröffentlichten Protokolle des COVID-19-Krisenstabs des RKI müssen daher bei der Neubewertung berücksichtigt werden, legt das Verwaltungsgericht Osnabrück (VG) nun den obersten Karlsruher Richtern nahe. In einem früheren Verfahren hatte das BVerfG Anfang 2022 die einrichtungsbezogene Impfpflicht als rechtmäßig bestätigt.

Das RKI hätte das BMG über neue Erkenntnisse informieren müssen

Hintergrund der Neuverhandlung war ein Verfahren zur Rechtmäßigkeit der Impfpflicht am VG, zu dem auch RKI-Präsident Prof. Lars Schaade als Zeuge angehört wurde. Das Gericht kam zu der Auffassung, dass „die Unabhängigkeit der behördlichen Entscheidungsfindung infrage zu stellen“ sei.

Diese Einschätzung könnte damit auch für andere Verfahren von hoher Bedeutung sein. Die Gerichte hatten sich bei fast allen Entscheidungen zur Impfpflicht auf das RKI gestützt. Das Institut hätte das BMG auch von sich aus über neue Erkenntnisse aus Wissenschaft und Forschung informieren müssen, urteilte das VG.

War das damalige Infektionsschutzgesetz mit dem Grundgesetz vereinbar?

Geklagt hatte eine Pflegehelferin eines Krankenhauses im Landkreis Osnabrück, der im Frühjahr 2022 mangels eines Impf- oder Genesenennachweises ein Betretungs- und Tätigkeitsverbot ausgesprochen wurde. Das VG hat diesen Fall nun dem BVerfG in Karlsruhe vorgelegt und dabei die Frage gestellt, ob das Infektionsschutzgesetz in der Fassung vom 18. März 2022 mit dem Grundgesetz vereinbar gewesen sei.

Es geht davon aus, dass eine verfassungskonforme Auslegung der einrichtungsbezogenen Impfpflicht nicht möglich sei. „So verletze die Norm das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit sowie die Berufsfreiheit“, teilte das Verwaltungsgericht dazu mit. Zwar habe das Bundesverfassungsgericht bereits mit Beschluss vom 27. April 2022 die Verfassungsmäßigkeit der streitgegenständlichen Norm festgestellt. Aufgrund der inzwischen vorliegenden Protokolle des RKI und der in diesem Zusammenhang neu durchgeführten Vernehmung von Schaade sei die Unabhängigkeit der behördlichen Entscheidungsfindung infrage zu stellen, erklären die Richter in Osnabrück.

Impfung kein Schutz vor der Übertragung, sondern vor allem Verhinderung von schweren Verläufen

Nach der Gesetzesbegründung sei der Schutz vulnerabler Personen vor einer Ansteckung durch ungeimpftes Personal ein tragendes Motiv für die Einführung der einrichtungs- und unternehmensbezogenen Impfpflicht gewesen. Wenige Monate nach Inkrafttreten der Regelung Mitte März 2022 habe es aber Erkenntnisse gegeben, dass eine Impfung keinen Schutz vor der Übertragung bietet, sondern vor allem schwere Verläufe verhindert.

Der Gesetzgeber sei seiner Normbeobachtungspflicht somit nicht gerecht geworden. Da § 20a IfSG im Laufe des Jahres 2022 in die Verfassungswidrigkeit hineingewachsen sei, sei eine erneute Vorlage an das Bundesverfassungsgericht erforderlich. Dem Verwaltungsgericht komme selbst keine Normverwerfungskompetenz zu.

Verwaltungsgericht Osnabrück
Az.: 3 A 224/22
3. September 2024

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