Wenn Arbeitnehmer nur das leisten, was im Vertrag steht
Die Erfindung des Begriffs Quiet Quitting wird einem jungen US-Amerikaner zugeschrieben, der sich auf TikTok Zaidleppelin nennt. In einem mehr als 3,5 Millionen Mal geklickten Video philosophiert er darüber, wie sich eine gute Work-Life-Balance herstellen lässt. Seine Lösung: „Du kündigst nicht deinen Job, arbeitest aber nicht mehr, als dein Vertrag vorsieht. Arbeit ist nicht dein Leben, dein Wert als Mensch definiert sich nicht über deine Produktivität.”
Zaidleppelins Idee ging viral und er fand viel mediale Beachtung. Aber kann man schon Veränderungen am Arbeitsmarkt beobachten, die sich auf Quiet Quitting zurückführen lassen? Noch gibt es zu wenige entsprechende Studien. Erste Hinweise kommen indes aus den USA, wo die Unternehmensberatung Gallup das Schlagwort mit den neuesten Ergebnissen ihrer jährlichen Umfrage zum Mitarbeiterengagement in Verbindung gebracht hat. Quiet Quitter sind demnach weniger engagierte Arbeitnehmer – und sie machen der Untersuchung zufolge mindestens 50 Prozent der US-Arbeitskräfte aus, „vielleicht sogar mehr”.
vor allem junge Leute zeigen weniger Engagement
Laut Gallup ist der Anteil der engagierten ArbeitnehmerInnen von seinem Zwanzigjahreshoch von 36 Prozent in 2020 auf 34 Prozent (2021) und weiter auf aktuell 32 Prozent (2022) gefallen. Der Anteil der „aktiv nicht engagierten Mitarbeiter” sei im selben Zeitraum von 14 auf 18 Prozent gestiegen, berichtet die Unternehmensberatung. Das sei der schlechteste Wert seit 2013 (19 Prozent).
Laut Gallup betrifft der Rückgang des Engagements vor allem ArbeitnehmerInnen unter 35 Jahren. Hier sank der Anteil der Engagierten von 2019 auf 2022 um 6 Prozentpunkte – während der Anteil der aktiv demotivierten Mitarbeiter um 6 Punkte stieg. Die Ergebnisse von Gallup basieren auf einer Zufallsstichprobe von 15.091 US-Beschäftigten ab 18 Jahren, die im Juni 2022 befragt wurden.
nur ein TikTok-Thema oder ein echter Trend am Arbeitsmarkt?
Nach Ansicht von Prof. Nicolai Foss von der Copenhagen Business School könnten die Gallup-Ergebnisse darauf hindeuten, dass Quiet Quitting „mehr sein könnte als TikTok-Videos und Hashtags”. Wenn es aber ein großes, reales Phänomen sei, dann „ist es nichts, was Unternehmen ignorieren könnten”, schreibt der Dozent für Unternehmensstrategie und -Innovation in einem Kommentar in der dänischen Tageszeitung Berlingske.
Foss betont in diesem Zusammenhang, dass Unternehmen zwingend auf das Engagement und die Bereitschaft ihrer Mitarbeiter angewiesen sind, ihre volle Kreativität einzubringen oder in Spitzenzeiten zusätzliche Anstrengungen zu schultern. Quiet Quitting wäre aus Arbeitgeberperspektive also der schleichende, leise Verlust von kreativer, engagierter, hochmotivierter Manpower – und damit eine Schwächung der Unternehmen.
Für Foss gibt es aber noch zu wenig Beweise dafür, dass es sich um einen anhaltenden Trend handelt. Vielmehr spiegele die vermehrt zu beobachtende Haltung vor allem junger Arbeitnehmenden schlicht die Situation am Arbeitsmarkt wider. Der Fachkräftemangel stärke eben die Arbeitnehmerseite, erklärt er. „Es ist nicht so problematisch, gefeuert zu werden, wenn man nicht das nötige Engagement zeigt, weil man leicht einen anderen Job findet.” Das Risiko für Quiet Quitter sei ohnehin überschaubar, weil sie auch wüssten, dass ihr Unternehmen große Ressourcen für die Suche nach einem möglichen Ersatz aufwenden müsste.
mehr Gesundheit statt weniger Engagement
Eine Online-Befragung des Karrieredienstleisters livecareer.com von 1.059 Teilnehmenden liefert eine andere Lesart, was dahinter stehen könnte, wenn Menschen zum Dienst nach Vorschrift übergehen – die Arbeitnehmerperspektive. Denn 94 Prozent der Befragten bezeichneten sich selbst als Quiet Quitter. Dabei betrachteten 82 Prozent Teilnehmenden das stille Aufhören als neues Phänomen, während 18 Prozent glaubten, dass es diese Art von Arbeitsverständnis schon immer gegeben habe. Quiet Quitting definierten die Befragten
als Schaffung gesunder Grenzen (45 Prozent),
als Aufgabe der Arbeit (41 Prozent),
als Möglichkeit, nur das erforderliche Minimum bei der Arbeit zu leisten (39 Prozent),
als Weg, dem Privatleben den Vorrang vor der Karriere zu geben (32 Prozent),
als die Ablehnung zusätzlicher Arbeitsaufgaben (21 Prozent)
Fast acht von zehn Befragten (78 Prozent) begreifen Quiet Quitting aber auch als eine Form der Rebellion gegen die von ihnen als vorherrschend wahrgenommene Hektikkultur. Den meisten geht es darum, die eigene psychische (94 Prozent) und physische (91 Prozent) Gesundheit höher zu priorisieren als ihre Arbeit. Weitere Ergebnisse der Umfrage zeigen, dass es den Teilnehmenden vor allem um eine Austarierung der Belastung geht. Denn viele der Befragten hatten mitnichten innerlich gekündigt:
88 Prozent der Befragten gaben an, ihren Job zu mögen,
88 Prozent halten ihre Arbeit für sinnvoll,
87 Prozent bezeichnen sie als wesentlichen Bestandteil ihres Lebens,
85 Prozent als befriedigend und
85 Prozent genießen den sozialen Status, den ihnen ihre Arbeit verschafft.
Laut einem Bericht des britischen Guardian macht der Trend auch vor dem Gesundheitssektor nicht halt: So hatte eine im Herbst 2021 durchgeführte Mitarbeiterbefragung im Nationalen Gesundheitsdienst NHS gezeigt, dass die Moral auf einer Skala im Vergleich zum Vorjahr von 1 bis 10 von 6,1 auf 5,8 und das Engagement der Mitarbeiter von 7,0 auf 6,8 gesunken war.
Sind mehr Geld und mehr Wertschätzung die Lösung?
Doch wie sollten Unternehmen und Arbeitgeber auf das Phänomen reagieren? Wie sollen sie ihre Mitarbeitenden wieder hochmotivieren? Der dänische Business-School-Professor Foss rät dazu, abzuwarten. Gallup dagegen empfiehlt Betrieben, ihre Wertvorstellungen für Mitarbeiter transparenter zu kommunizieren und gegenüber ihren Mitarbeitern abgegebene Versprechen konsequent einzuhalten – egal, ob das Versprechen eine hohe Flexibilität, eine inspirierende Aufgabe oder Chefs sind, die sich um das Wohlergehen des Teams kümmern. Denn wenn die gelebte Unternehmenskultur nicht damit übereinstimmt, was die Arbeitgebermarke versprochen hat, schreibt Gallup, „verlassen die Mitarbeiter entweder das Unternehmen oder tun in aller Stille nur noch das Nötigste.”
Die Arbeitspsychologin Dr. Ashley Weinberg von der Universität von Salford fasst es gegenüber dem Guardian so zusammen: „Aufgeklärte Unternehmen schaffen Arbeitsplätze, die den Mitarbeitern Kontrolle, Stolz auf ihre Arbeit und einen fairen Lohn geben [...]. Die Leute reden über Geld, und das ist wichtig”, sagt sie. „Aber darüber hinaus wollen sie für das, was sie tun, respektiert und in irgendeiner Weise geschätzt werden.”