"Auch Friedrich Schiller würde Maske tragen"
Freiheit und Verantwortung - diese beiden Leitmotive vereinen aus Drostens Sicht den Virologen Drosten und den Dichter Schiller. In dessen Werk gehe es vielfach darum, wie die Freiheit erkämpft, gesichert und beschützt, aber auch wieder verloren gehen kann: "Schiller ist ein überzeugter Kämpfer für die Freiheit." Sein Anliegen ist es, das Freiheitsvermögen und Freiheitsbewusstsein des einzelnen Menschen und der Gesellschaft insgesamt zu stärken."
Deutsches Literaturarchiv Marbach: Die Schillerrede
Deutsches Literaturarchiv Marbach: Die Schillerrede
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Auch Drosten wolle als Wissenschaftler frei und unabhängig arbeiten können. "Alles andere wäre für mich mit den Grundvoraussetzungen für wissenschaftliche Forschung schlicht nicht vereinbar", betonte er. Auch der Forscher sei somit eine Art Weltbürger im Schillerschen Sinne, der keinem Fürsten, sondern der Erkenntnis dient.
"Augenscheinlich haben Schiller und ich schon einmal eine große Gemeinsamkeit: Wir beide haben Medizin studiert. Zudem haben wir – wenn auch aus unterschiedlicher Motivation und unterschiedlicher Zielrichtung – die praktizierende Medizin hinter uns gelassen. Ihn zog es in die Literatur, mich in die medizinische Forschung." Christian Drosten
Drei Dimensionen dieser Freiheit, stellte in seiner Rede Drosten heraus, sind ihm demnach besonders wichtig: die Freiheit der Wissenschaft selbst, die Freiheit der Methode und die Freiheit, die Erkenntnisse zu teilen.
"Nur wenn Erkenntnisse geteilt, diskutiert und überprüft, im weiteren Prozess widerlegt oder weiterentwickelt werden, kommen wir in der Forschung voran", erläuterte der Virologe. "Damit die Gesellschaft davon profitieren kann, ist es aber auch wichtig, dass wir Forscher unsere Ergebnisse verständlich und transparent kommunizieren."
"[Wir dürfen] nicht zusehen, wenn Fakten ignoriert, verdreht oder verkürzt werden. Wenn Wissenschaft politisiert, instrumentalisiert oder in ihren Standards verletzt wird, müssen wir mit nachweisbaren Fakten Stellung beziehen."
In der Pandemie sieht er sich wie viele andere Wissenschaftler in der Pflicht, zu informieren und Orientierung zu geben: "Je besser wir alle das Virus und die Pandemie verstehen, desto eher können wir eigenverantwortlich die richtigen Entscheidungen für unser Verhalten treffen."
Die Pandemie ist kein unabwendbares Schicksal
Dabei sei die Pandemie kein unabwendbares Schicksal. "Wir selbst bestimmen durch unser Verhalten, ob sich die Lage verschlimmert oder verbessert", verdeutlichte Drosten. "Jeder von uns leistet – so oder so – seinen persönlichen Beitrag. Daher ist die wissenschaftsbasierte Information der Öffentlichkeit für mich eine genauso wichtige Strategie im Kampf gegen das
wie die Entwicklung eines Medikaments oder Impfstoffs."
"Es ist die Pflicht, die aus der Freiheit erwächst, an die uns heute Friedrich Schiller an seinem Geburtstag erinnert."
Schon Schiller sei aber klar gewesen, dass persönliche Freiheit nicht losgelöst von der Gesellschaft gelingen könne. "Damit die Freiheit aller geschaffen und erhalten werden kann, ist es wiederum notwendig, dass die Menschen füreinander einstehen und Verantwortung füreinander übernehmen", stellte Drosten fest. "Umso besser das klappt, umso weniger bedarf es auch Eingriffen von oben."
Einordnen, was Fakt und was Fiktion ist
In der Pandemie habe sich gezeigt, wie relevant dieser Grundsatz noch heute sei. "Je mehr ich mich als Individuum aus freien Stücken verantwortlich verhalte, desto weniger Anlass gebe ich dem Staat, ins gesellschaftliche Leben einzugreifen. Je unbedachter und egoistischer ich aber handele, desto eher muss der Staat meine Freiheit beschränken, um das Gemeinwesen wie auch das Wohlergehen der anderen Menschen wirksam zu schützen."
"Und natürlich fühle ich mich dazu verpflichtet, korrigierend einzugreifen und ausgemachten Unsinn auch einmal beim Namen zu nennen."
Was aber bedeutet verantwortliches Handeln? "Ich verstehe meinen Auftrag als Wissenschaftler so, dass ich Menschen mit Informationen und Erkenntnissen in die Lage versetze, diese Frage für sich selbst entscheiden zu können", veranschaulichte Drosten. Seine Rolle bestehe darin, die Methoden seines Fachgebiets zu erklären, die Grenzen wissenschaftlicher Studien aufzuzeigen und einzuordnen, was Fakt und was Fiktion ist. "Dabei muss ich die Sprache der Wissenschaft in anschauliche, aber immer noch stimmige Bilder und Analogien übersetzen, die jedem eingängig sind."
Ich bin kein Politiker
"Ich bin Virologe und Wissenschaftler. Ich bin kein Politiker", stellte Drosten klar. "Keine Wahl hat mich dazu legitimiert, politische Entscheidungen zu treffen. Ich kommuniziere die Fakten und helfe dabei, sie einzuordnen. Nicht mehr und nicht weniger."
Im Hinblick auf das Coronavirus habe er damit zwangsläufig den Job, unangenehme Wahrheiten zu kommunizieren. "Das Virus kann ich nicht wegretuschieren. Es ist da. Es wartet auf seine Gelegenheit, und es wird sie nutzen, wenn wir nicht dazwischenschlagen. Es verhandelt nicht und geht keine Kompromisse ein."
So geht Wissenschaft nun einmal
"Gleichzeitig weisen die von uns aufgezeigten Erkenntnisse auch den Weg, wie wir mit diesem kompromisslosen Gegner fertigwerden", erläuterte Drosten. Und dieser Weg sei gangbar: "Wir müssen im Sinne Schillers Verantwortung für uns und andere übernehmen. Das heißt konkret, dass wir Abstandsregeln einhalten und unsere Mobilität und Kontakte möglichst beschränken."
Dank intensiver Forschungsarbeit wissen wir laut Drosten heute schon viel über das Virus: "Wir können die Letalität und das unterschiedliche Risiko in verschiedenen Altersgruppen bemessen. Die Krankheitsentstehung und Immunität verstehen wir immer besser, und auch im Hinblick auf die Testmöglichkeiten und das Verbreitungsverhalten haben wir enorme Fortschritte gemacht."
"Bewahren Sie sich die Freiheit und die Freude des Denkens. Zeigen Sie Verantwortung."
Nicht alle diese Erkenntnisse habe man von Anfang an so erwartet, einige seien bezweifelt worden und würden durch Studien weiterhin auf die Probe gestellt. "Gibt es etwas Neues, muss man seine Bewertung auch daran anpassen. So geht Wissenschaft nun einmal."