Hauptversammlung des Hartmannbundes

„Deutschland hat das beste Gesundheitssystem der Welt“

pr
Einen Blick auf die Gesundheitssysteme Europas warfen internationale Gesundheitsexperten auf der Hauptversammlung des Hartmannbundes am Wochenende in Berlin. Im Fokus: der Zugang der Patienten zur ärztlichen Versorgung.

„Deutschland hat das beste Gesundheitssystem der Welt“, erklärte Prof Dr. Frank Ulrich Montgomery, Präsident des Weltärzteverbandes, zum Auftakt der Versammlung. „Der Zugang zur Versorgung ist einfach, die Wartezeiten sind kurz, es gibt keine Einschränkungen, und wer krank ist, hat Anspruch auf Versorgung“, begründete Montgomery sein Urteil.

Die Gesundheitssysteme in Europa sind am besten

Aus internationaler Sicht seien die besten Gesundheitssysteme in Europa zu finden. Jene wiesen zwar sehr unterschiedliche Finanzierungsmodalitäten und Organisationsformen auf. Bei näherer Betrachtung ließen sie sich drei Formen zuordnen, obwohl in den meisten Ländern keine Rein-, sondern Mischformen mit Anteilen aus zwei oder mehr Systemen vorherrschen: dem Bismarck-System (Sozialversicherungsmodell: Deutschland, Benelux-Staaten oder Österreich), dem Beveridge-Modell (aus Steuern finanziert: Großbritannien, Skandinavien) oder dem Semashko-Modell (staatlich gelenktes System der ehemaligen Staaten des Ostblocks und dessen Weiterentwicklungen). Wichtig: Das Gesundheitswesen sei Sache der EU-Mitgliedsstaaten, die EU-Kommission habe aufgrund des Subsidiaritätsprinzips keine Regelungsbefugnis.

Verena Finkenstädt, Wissenschaftliches Institut der PKV (WIP), referierte über Zugangshürden in der Gesundheitsversorgung im europäischen Vergleich. „Was können wir von anderen Ländern lernen?“, lautete ihre Frage. Zu den Zugangshürden gehören Instrumente wie Leistungsbegrenzungen, Gatekeeping-Systeme durch Hausärzte, Wahlmöglichkeiten, Wartezeiten oder obligatorische Zuzahlungen.

Im Vergleich zu anderen Ländern steht Finkenstädt zufolge Deutschland mit seinem dualen Krankenversicherungssystem am besten da. Der Zugang zur Versorgung werde in anderen Ländern deutlich stärker reglementiert als hier, wobei sich die Zugangshürden je nach Finanzierungsform unterscheiden. In den einheitlich organisierten Krankenversicherungsmärkten im EU-Ausland ließen sich – je nach Finanzkraft des Systems – Versorgungsunterschiede feststellen. Das deutsche duale System biete hingegen allen Versicherten einen umfangreichen Leistungskatalog, eine freie Arztwahl, keine Zuzahlungen beim Haus- und Facharzt sowie kurze Wartezeiten.  

Die Versorgung in den Niderlanden, Estland und Italien

Auf einer Podiumsdiskussion, moderiert von Montgomery, kamen neben Finkenstädt weitere Gesundheitsexperten aus Estland, den Niederlanden und Italien zu Wort: Mari Aru, Wirtschafts- und Handelsdiplomatin der Botschaft von Estland, Dr. Jaap Koot, Dekan der medizinischen Fakultät Groningen, und Dr. Florian Zerzer, Generaldirektor des Südtiroler Sanitätsbetriebes. Sie berichteten über Fakten und Merkmale aus ihren jeweiligen Ländern.

·         Niederlande: Dort existiert ein Gatekeeping-System. Seit 2006 ist das Gesundheitswesen dem Markt geöffnet, um den Wettbewerb zu beleben. Krankenkassen stehen im Wettbewerb zueinander, sie stehen im Wettbewerb um Patienten. Der Patient strebt danach, den besten Anbieter für den niedrigsten Preis zu wählen. Entscheidend sind die angebotenen Zusatzpakete. Derzeit entwickelt die niederländische Regierung eine „Vision 2030“ und will das Gesundheitswesen verstärkt auf Prävention ausrichten. Dazu gehört, Fachärzte verstärkt zu Primärversorgung zuzulassen, mehr Pflegeheime zu schließen und die häusliche Pflege oder die Primärversorgung in der Psychiatrie zu stärken.

·         Estland: Es gibt 1,3 Millionen Esten. Jeder Arbeitgeber zahlt für seinen Arbeitnehmer ein Sozialgeld, 13 Prozent davon gehen in eine einheitliche Krankenkasse. Die Anzahl der Ärzte ist nicht sehr groß, es gibt wenig Spezialisten, deswegen ist auch die Auswahl für Patienten nicht so groß. Patienten können sich bei Bedarf auch im Ausland behandeln lassen. Eine Optimierung im Gesundheitswesen erfolgt durch die Digitalisierung, es gibt zum Beispiel nur wenige Doppeluntersuchungen, vorhandene Ressourcen können gebündelt werden.

·         Italien: Die gesundheitliche Versorgung ist je nach Region unterschiedlich geregelt. Es gibt ein Gatekeeping-System, ein öffentliches Gesundheitssystem, einen privaten Gesundheitsmarkt sowie vertragsgebundene private Anbieter. Ärzte sind öffentliche Bedienstete, haben aber das Recht, darüber hinaus freiberuflich tätig zu sein und privat abzurechnen, was sich für sie als lukrativ erweist.

"Weg von kleinteiligen Diskussionen!"

Der Präsident des Hartmannbundes, Dr. Klaus Reinhardt, rief Bundesgesundheitsminister Jens Spahn zu einem konstruktiven Dialog über die Zukunft des ärztlichen Berufs angesichts des demografischen Wandels auf. Zwischen 2027 und 2031 gehe ein Drittel der Ärzte in den Ruhestand, es fehle an Nachwuchs. Gleichzeitig gingen auch die Babyboomer-Patienten in Rente und müssten versorgt werden. Es gelte, diese Themen heute zu besetzen und rechtzeitig Lösungsvorschläge zu erarbeiten, und zwar „weg von kleinteiligen Diskussionen“. Was müssen Ärzte tun? Und was müssen andere Berufsgruppen tun? Darüber sollte man sich Gedanken machen, forderte Reinhardt.

Reinhardt, der gleichzeitig auch Präsident der Bundesärztekammer ist, verwies auf den „bunten Strauß an Maßnahmen in den letzten Monaten“, die bisher unter Spahns Initiative auf den Weg gebracht worden seien. In fast jeder Woche sei ein Gesetz in der öffentlichen Diskussion gewesen. Reinhardt zählte aktuelle Gesetzesvorhaben auf, darunter das Digitale Versorgung-Gesetz (DVG), das Terminservice- und –Versorgungsgesetz (TSVG), das Faire-Kassenwahl-Gesetz (GKV-FKG), die Reform des MDK oder das Notfallsanitätergesetz. Viele dieser Maßnahmen hält Reinhardt für begrüßenswert. Er mahnte aber an, dass es Probleme im Gesundheitswesen gibt, die größer seien als diejenigen, die Spahn bisher aufgegriffen habe.

Mit Sorge betrachtete Reinhardt beispielsweise die wachsende Kommerzialisierung im Gesundheitswesen, etwa durch renditegetriebene Private-Equity-Gesellschaften. Ein weiteres kritisches Feld: der Krankenhaussektor. Es gebe zu viele Krankenhausstandorte in Deutschland, so Reinhardt. Sinnvoll wäre seiner Auffassung nach, diese zu clustern. Ein weiterer Punkt: die unterschiedlichen Ausrichtungen von ärztlichem Tun einerseits und ökonomischen Vorgaben andererseits. Der Spannungsbogen sei hier kurz davor, zu reißen, sagte Reinhardt. Ökonomische Probleme dürften nicht auf dem Rücken von Ärzten und Pflegern ausgetragen werden.

Als weiteres Beispiel nannte Reinhardt die Allokation von ärztlichen Ressourcen. Ärzte könnten sich nicht in dem erforderlichen Umfang um ihre Patienten kümmern, weil in den Wartezimmern auch Menschen säßen, die nicht unbedingt so oft dort sitzen müssten. Das gelte beispielsweise für gut eingestellte Hypertoniker, die ein Arzt nicht unbedingt jedes Quartal sehen müsste. „Mehr Patientenzufriedenheit und Arztzufriedenheit – da geht noch was“, sagte Reinhardt.

 

 

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