"Wir sehen oft schlimme Verhältnisse im Mund!"
Die Vorstandsreferentin für Seniorenzahnmedizin der Kammer beklagt auf der Altenpflegemesse in Hannover, dass dieser Bereich weder in der Ausbildung der Pflegeberufe noch im Zahnmedizinstudium eine dem Bedarf unserer Gesellschaft adäquate Rolle spiele. Ob die Heime mit niedergelassenen Zahnärzten kooperieren, bei der Organisation von Räumen und Terminen für die regelmäßige Prophylaxe und Behandlung helfen oder nur im Notfall anrufen, hänge von der jeweiligen Leitung ab. „Wenn sich Angehörige nicht kümmern, fällt die notwendige Zahnpflege oft unter den Tisch“, sagt Lange.
"Wenn sich Angehörige nicht kümmern, fällt die notwendige Zahnpflege oft unter den Tisch!"
Chronischer Zeitmangel und mangelnde Kenntnisse führen demnach zu einem weit verbreiteten Notstand bei der Mundhygiene von Pflegebedürftigen. Die Zahnärztekammer Niedersachsen fordert deshalb von allen an der Pflege Beteiligten mehr Engagement für die Seniorenzahngesundheit
In Niedersachsen gibt es knapp 1.800 Pflegeheime und rund 1.260 Pflegedienste; derzeit bestehen 186 Kooperationsverträge von Zahnärzten mit Alten- und Pflegeheimen. Nach der aktuellen Pflegestatistik des Landes erhielten im Dezember 2015 knapp 318.000 Menschen Leistungen nach dem Pflegeversicherungsgesetz SGB XI. Knapp 80.000 Pflegebedürftige wurden ambulant versorgt, stationär waren 103.305 Frauen und Männer untergebracht. Etwa 69 Prozent der Pflegebedürftigen wurden zuhause betreut.
"Massive bakterielle Beläge, Entzündungen, Wucherungen, fortgeschrittene Karies oder Druckgeschwüre sind keine Seltenheit!"
„Wir sehen oft schlimme Verhältnisse im Mund älterer Menschen, die bei der Zahnpflege auf Unterstützung angewiesen sind“, berichtet Lange. „Massive bakterielle Beläge auf Zähnen und Zahnersatz, Entzündungen am Zahnfleisch und in den Mundschleimhäuten, Wucherungen, fortgeschrittene Karies oder Druckgeschwüre durch unsaubere, schlechtsitzende Prothesen sind keine Seltenheit bei hilfsbedürftigen Menschen“, bestätigt die Vorsitzende des ZKN-Ausschusses für Alterszahnmedizin, die Göttinger Zahnärztin Gisela Gode-Troch.
Die Multimedikation überlagere bei Pflegebedürftigen oft das Schmerzempfinden, so dass sich Gebissschäden unbemerkt entwickeln könnten. Die beiden Expertinnen warnen vor der lebensgefährdenden Schwächung des Immunsystems, des Herzens, der Lunge und des Kreislaufs durch mangelnde Mundhygiene.
Drei Minuten Zahnersatzpflege und Mundhygien sind zu wenig
Nach ihren Erfahrungen sind der Zeitdruck in der Pflege und die nur drei Minuten täglich, die für die Zahnersatzpflege und Mundhygiene zur Verfügung stehen, aber auch die Furcht, etwas falsch zu machen, entscheidend dafür, dass die Zahnpflege im ambulanten und stationären Bereich vernachlässigt wird.
„Ohne spezielle Schulungen, ausreichend Praxis und Zeit funktioniert die Altenzahnpflege nicht“, betont Lange. Pflegende müssten wissen, wie Prothesen, Brücken, Implantate und Kronen gehandhabt, gereinigt und nach einem oft notwendigen Entfernen aus dem Mund auch wieder richtig eingesetzt werden. Besondere Kenntnisse erfordere auch der Umgang mit bettlägerigen und dementen Patienten. „Langsam Vertrauen aufbauen, tägliche Rituale einüben – dann klappt die unterstützende Zahnpflege auch bei sehr ängstlichen und desorientierten Patienten“, sagt Gode-Troch.
Hoffen auf § 22a
Lange hofft, dass sich die Situation mit Inkrafttreten von § 22a SGB V im Juli 2018 zum Positiven ändern wird: Dann haben alle Patienten – auch die ambulant und stationär Gepflegten – das Recht auf zusätzliche zahnärztliche Vorsorge. Dazu gehören die Bestandsaufnahme des Mundraums und ein Behandlungsplan.