Die neuen Regelungen zu Amalgam
Die Diskussion über die Verwendung von Amalgam in der zahnärztlichen Füllungstherapie wird seit einigen Jahren immer wieder geführt. Dabei gilt Amalgam nach wie vor als einer der am besten erforschten Werkstoffe in der Füllungstherapie weltweit. Trotz der immer wieder aufkommenden Diskussion über angebliche Gefährdungen des Patienten durch Dentalamalgam besteht auch nach dem gegenwärtigen wissenschaftlichen Kenntnisstand „kein begründeter Verdacht dafür, dass ordnungsgemäß gelegte Amalgamfüllungen negative Auswirkungen auf die Gesundheit des zahnärztlichen Patienten haben“ [BfArM, 2005].
EU-Quecksilber-Verordnung
Neben rein medizinischen Aspekten sind bei der Verwendung von Dentalamalgam jedoch auch Umweltbelange zu berücksichtigen. Die Vereinten Nationen haben sich im Jahr 2013 im sogenannten Minamata-Übereinkommen darauf verständigt, die Emission von Quecksilber in die Umwelt so weit wie möglich einzudämmen. Die Inhalte dieses Abkommens hat das Europäische Parlament im Mai 2017 in der „Verordnung über Quecksilber“ übernommen. Neben Vorgaben zur allgemeinen Eindämmung von Quecksilberemissionen beinhaltet die Verordnung auch Regelungen, die speziell Dentalamalgam betreffen. Einige Regelungen werden in Deutschland bereits seit Langem umgesetzt. So sieht die Verordnung die verpflichtende Nutzung von Amalgamabscheidern ab Januar 2019 vor. Diese Verpflichtung besteht in Deutschland schon heute. Ebenfalls ab Januar 2019 wird die Verwendung von unverkapseltem Amalgam verboten, auch dies schon vielfach Standard in der hiesigen Zahnmedizin. Andere Regelungen bedürfen auch in Deutschland noch der Umsetzung. So darf ab dem 1. Juli 2018 Dentalamalgam EU-weit nur noch in medizinischen Ausnahmefällen bei Kindern unter 15 Jahren, Schwangeren und Stillenden verwendet werden.
Was genau ändert sich zum 1. Juli
Dr. Wolfgang Eßer, Vorsitzender des Vorstands der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung:
Ab dem 1. Juli 2018 sind Kompositfüllungen im Seitenzahnbereich auch bei Schwangeren, Stillenden und Kindern unter 15 Jahren als zuzahlungsfreie Versorgung möglich. Mit dieser Regelung im BEMA wird das grundsätzliche Amalgamverbot der EU-Quecksilber-Verordnung bei den betroffenen Patientengruppen umgesetzt.
Damit wird eine Möglichkeit für den Zahnarzt geschaffen, bei diesen Versichertengruppen eine rechtssichere Versorgung zu gewährleisten.
Erachtet der Zahnarzt in Abstimmung mit dem Patienten eine Versorgung mit Amalgam wegen der spezifischen medizinischen Erfordernisse im jeweiligen Einzelfall als zwingend notwendig, kann wie bisher eine Versorgung mit Amalgam erfolgen.
Die Entscheidung, welches Füllungsmaterial zur Anwendung kommt, trifft der Zahnarzt, wie bisher, im jeweiligen Einzelfall. Die Neuregelung im BEMA für die Kompositversorgung im Seitenzahnbereich schafft daher eine weitere Möglichkeit der Versorgung, die jedoch nicht die einzig zwingende Versorgungsvariante darstellt.
Dr. Wolfgang Eßer, Vorsitzender des Vorstands der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung:
Aus Empfehlungen werden Regelungen
Fachliche Empfehlungen dieser Art zur Verwendung von Amalgam existieren in Deutschland bereits. Das Robert Koch-Institut spricht sich seit 2007 dafür aus, „Amalgamfüllungen aus Gründen des vorbeugenden Gesundheitsschutzes nicht mehr für Sanierungsmaßnahmen im Milchgebiss und bei Frauen während Schwangerschaft und Stillzeit, sowie bei Niereninsuffizienz und nachgewiesener Allergie zu verwenden“.
Durch die Vorgaben der EU-Quecksilber-Verordnung sind diese medizinischen Empfehlungen in konkrete rechtliche Regelungen zu überführen. Insbesondere sind die leistungsrechtlichen Vorgaben anzupassen, denn gesetzlich Krankenversicherte haben einen Anspruch auf eine zuzahlungsfreie Füllungstherapie (§ 28 Abs. 2 Satz 1 2. HS SGB V). Dieser Anspruch muss auch für Schwangere, Stillende und Kinder unter 15 Jahren gewahrt bleiben, wenn bei ihnen die Versorgung mit Amalgam nicht mehr möglich sein sollte. Die Verwendung von Amalgam als Füllungsmaterial wird im Leistungsrecht nicht ausdrücklich geregelt.
Die Minamata-Konvention
Mit der Minamata-Konvention – auch: Quecksilber-Konvention beziehungsweise auf Englisch: Minamata Convention on Mercury – verpflichteten sich die unterzeichnenden Staaten 2013, die Quecksilber-Emissionen einzudämmen und stufenweise auf die Verwendung von Zahnamalgam zu verzichten („phase down“). In Kraft trat das Übereinkommen am 16. August 2017, drei Monate nachdem der 50. Unterzeichnerstaat das Abkommen ratifiziert hatte.
Anders als sonst üblich ist das Übereinkommen nicht nach dem Ort der letzten Verhandlungsrunde benannt, sondern erinnert an die Minamata-Krankheit, die ab den 1950er-Jahren in der japanischen Hafenstadt Minamata auftrat: Der japanische Chemiekonzern Chisso hatte Quecksilber-haltiges Wasser ins Meer geleitet und so bei 17.000 Menschen massive Quecksilbervergiftungen verursacht, an denen etwa 3.000 Menschen starben.
Die Unterzeichnung erfolgte auf der Konferenz im südjapanischen Kumamoto am 10. und 11. Oktober 2013 durch 92 Staaten. Zu den Erstunterzeichnern zählten auch Deutschland, Österreich und die Schweiz.
Das Europäische Parlament beschloss am 17. Mai 2017 die neue Quecksilber-Verordnung (EU) 2017/852, wodurch die alte Verordnung (EG) Nr. 1102/2008 aufgehoben wurde. Bis Mitte 2019 prüfen die EU-Mitgliedstaaten, wie die Verwendung von Dentalamalgam bis 2030 weiter reduziert werden kann („phase down“).
Der Gemeinsame Bundesausschusses konkretisiert in seiner Behandlungsrichtlinie den Leistungsanspruch dahingehend, dass nur anerkannte und erprobte plastische Füllungsmaterialien gemäß ihrer medizinischen Indikation verwendet werden sollen. Dabei sollen die aktuellen Gebrauchs- und Fachinformationen sowie die Aufbereitungsmonografien berücksichtigt werden (B III Nr. 4 Beh-RL). Alle nach dieser Regelung indizierten plastischen Füllungen sind auch im Seitenzahnbereich im Rahmen der vertragszahnärztlichen Versorgung zu erbringen. Adhäsiv befestigte Füllungen im Seitenzahngebiet sind nur in Ausnahmefällen Bestandteil der vertragszahnärztlichen Versorgung (B III Nr. 5 Beh-RL). Diese Ausnahmefälle werden im BEMA näher bestimmt. Kompositfüllungen im Seitenzahnbereich sind nach den Nummern. 13 e, f und g BEMA bislang nur abrechnungsfähig, wenn sie entsprechend der Adhäsivtechnik erbracht wurden und wenn eine Amalgamfüllung absolut kontraindiziert ist. Kontraindikationen liegen dabei vor, wenn der Nachweis einer Allergie gegenüber Amalgam beziehungsweise dessen Bestandteilen gemäß den Kriterien der Kontaktallergiegruppe der Deutschen Gesellschaft für Dermatologie erbracht wurde beziehungsweise wenn bei Patienten mit schwerer Niereninsuffizienz neue Füllungen gelegt werden müssen.
Alternative abrechenbare Füllungsmaterialien
Die KZBV hat sich nun mit dem GKV-Spitzenverband im zahnärztlichen Bewertungsausschuss darauf verständigt, dass auch Schwangere, Stillende und Kinder unter 15 unter die Ausnahmeregelungen der Nr. 13 e, f, g gefasst werden können und so auch bei diesen Patientengruppen eine Versorgung mit Kompositfüllungen im Seitenzahnbereich abrechnungsfähig ist. Dazu wird mit Nr. 13h (neu) eine Regelung für mehr als dreiflächige Kompositfüllungen in den BEMA aufgenommen.
Mit dieser Erweiterung im BEMA steht ab dem 1. Juli 2018 eine alternative Versorgungsmöglichkeit zur Verfügung, die die Vorgaben der Quecksilber-Verordnung berücksichtigt und zugleich den Anspruch der betroffenen Versichertengruppen auf eine zuzahlungsfreie Füllungstherapie wahrt.
Die Entscheidung, welche Füllungsmaterialien jeweils zum Einsatz kommen, trifft dabei der Zahnarzt im Einzelfall. Eine umfängliche Darstellung aus Sicht der Wissenschaft, in welchen Fällen bestimmte Materialien indiziert sind, folgt in der nächsten zm.
Christian Nobmann, Rechtsanwalt
Leiter der Abteilung Koordination G-BA bei der KZBV