"Modisches, marketingorientiertes Gimmick"

Forscher warnen vor Zahnpasta mit Aktivkohle

Zahnpasta mit Aktivkohle soll die Zähne schonend bleachen. Forscher haben jetzt herausgefunden: Das ist reines Marketing: Die schwarze Paste kann bei Parodontitis sogar schaden und begünstigt - weil meist fluoridfrei - Karies.

Paläo-Diäten, Waschnüsse und Do-it-yourself-Shampoo: Der Steinzeit-Trend ist in aller Munde, im wahrsten Sinne des Wortes - denn nun erhält er auch Einzug in die Zahnmedizin. Aktivkohle-haltige Zahnpasten sind in Mode. Ihre Wirksamkeit ist allerdings mehr als fraglich.

"Biologisch", "ökologisch“ und "natürlich zahnaufhellend"?

Beim Einkauf in so mancher Drogerie fällt es schwer, sie zu übersehen: Aktivkohlehaltige-Zahnpasten sind gut sichtbar platziert und werden mit Schlagworten wie „biologisch“, „ökologisch“ und „natürlich zahnaufhellend“ beworben. Die schwarze Paste, die die Zähne weißer machen soll, trifft bei vielen Konsumenten den Nerv. Namhafte Hersteller greifen diesen Trend auf und steigen ins Geschäft ein. Sie versprechen nicht nur eine Hartsubstanz-schonende Zahnaufhellung, sondern gleich auch noch das Rundum-Sorglos-Paket der Mundhygiene: Die Paste soll auch kariespräventiv, antibakteriell und antiinflammatorisch wirken.

Die Beliebtheit kohlehaltiger Zahnpasta steigt nicht nur in Deutschland, sondern weltweit. Anlässlich dieser Entwicklung hat eine britische Forschergruppe die aktuelle Studienlage beleuchtet. Neben dem versprochenen zahnaufhellenden Effekt wurden weitere Werbeversprechen der Hersteller analysiert.

Fehlende oder unwirksame Zusätze und bedenkliche Inhaltsstoffe

In einem hier angeführter Review von Brooks et al. [2017], in dem die Ergebnisse von 118 Studien und rund 50 kohlehaltiger Zahnpasten zusammengefasst wurden, konnte ein gesundheitlicher Nutzen nicht belegt werden.

Die Forscher appellieren sogar ausdrücklich an die Zahnärzte, Patienten über den fehlenden Nutzen und mögliche Risiken aufzuklären. Diese seien einerseits den fehlenden oder unwirksamen Zusätzen und andererseits der Bedenklichkeit der Inhaltsstoffe geschuldet. Die Resultate stünden damit im Widerspruch zum Marketing der Hersteller, die ausdrücklich die natürlichen Inhaltsstoffe bewerben. Einige der möglicherweise enthaltenen Substanzen wie Bentonit-Ton oder polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe seien allerdings keineswegs unbedenklich.

Irreführendes Marketing

Irreführend seien auch Werbeversprechen wie „Kariesschutz“ oder „Remineralisierung“ bei fluoridfreien Produkten. Aber auch fluoridhaltige kohlebasierte Zahnpasten sind den Forschern zufolge möglicherweise deutlich weniger wirksam - wegen der hohen Absorptionskapazität der Aktivkohle, die dazu führen könne, dass enthaltene Fluoride weniger verfügbar sind.

In anderen Bereichen würde die hohe Absorptionskapazität der Aktivkohle dazu benutzt, Fluoride aus Trinkwasser zu extrahieren, wenn der Gehalt zu hoch sei. Verbraucher hätten folglich bei alleinigem Gebrauch einer Aktivkohle-Zahnpasta ein potenziell deutlich erhöhtes Kariesrisiko im Vergleich zur Verwendung einer herkömmlichen Zahnpasta mit gleichem Fluoridgehalt.

Den Konsumenten wird den Autoren zufolge durch clevere Marketingstrategien ein Wirkungsspektrum suggeriert, das wissenschaftlich nicht bewiesen sei.

„Die Ethik eines solchen Ansatzes bei der Vermarktung gesundheitsbeeinflussender Produkte ist bestenfalls fragwürdig. Falsche und irreführende Nachrichten sowie die selektive Bereitstellung von Informationen könnten als irreführende Praktiken eingestuft werden, die den Interessen und dem Schutz der Verbraucher zuwiderlaufen“, bilanzieren Greenwall et al. [2019].

Die meisten Produkte enthalten feines Aktivkohle-Pulver, das laut Greenwall et al. [2019] aus verschiedenen Carbon-reichen Substanzen gewonnen wird, zu denen außer Holz oder Kohle zum Beispiel auch Bambus oder Nussschalen gehören. Die Bandbreite an Substanzen ist demnach besonders problematisch, weil keine einheitlichen Materialeigenschaften bestehen und somit der Abrasionsgrad häufig undefiniert bleibt. Einige untersuchte Pasten wiesen aber hohe abrasive Eigenschaften auf. Dies führte den Autoren zufolge bereits zu Fällen, in denen nach längerem Gebrauch oberflächliche Schmelzdefekte beobachtet werden konnten. Viele Patienten glaubten zudem, dass eine häufige Anwendung zu schnellerer Aufhellung führt. Nach dem Motto „viel hilft viel“ könne ein exzessiver Gebrauch zu erheblichem Zahnhartsubstanzverlust oder zu Defekten in Restaurationen führen. Die Autoren betonen, dass nicht nur eine möglicherweise fehlende Wirksamkeit, sondern auch eine potenzielle gesundheitliche Schädigung bestehen kann.

Das Marketingversprechen, eine aktivkohlehaltige Zahnpasta habe antibakterielle und antiinflammatorische Eigenschaften, „kann die Verbraucher zu der Annahme veranlassen, dass die Verwendung solcher Zahnpasta-Produkte ein nachhaltiger Weg zur Vorbeugung oder möglicherweise sogar Behandlung von Parodontalerkrankungen sein kann“.

Bei Parodontitis können sich Holzkohlepartikel in den Parodontaltaschen ansammeln

Greenwall et al. [2019] warnen an dieser Stelle ausdrücklich vor den Folgen dieses „opportunistischen Marketings". „Eine der negativen Auswirkungen der Verwendung von Zahnpasta auf Holzkohlebasis durch Patienten mit etablierter Parodontalerkrankung kann die Ansammlung von Holzkohlepartikeln tief in Parodontaldefekten und -taschen sein, was zu einer grauschwarzen Verfärbung des Parodontalgewebes führt.“

Abrasion statt Bleaching

Brooks et al. fanden bei 96 Prozent der untersuchten Produkte das Versprechen eines „Whitening effects“. Die damit suggerierte aufhellende Wirkung sei bei Aktivkohleprodukten vielmehr ein Entfernen von den Zähnen anhaftenden Verfärbungen durch starke abrasive Komponenten. Somit liege keine bleichende Wirkung im Sinne der Veränderung der Zahnfarbe vor, sondern eine Reinigung von anhaftenden Belägen und dadurch erzeugten zahnaufhellenden Effekten. Selbst bei einem Zusatz von „bleichenden Komponenten“ wäre die Verfügbarkeit, ähnlich wie bei Fluoriden, durch die hohe Absorptionsfähigkeit von der Aktivholzkohle mehr als fraglich, betonen Brooks et al. [2017]. Hier bestehe eine erneute Irreführung der Verbraucher und ein potenzielles Risiko für die Zahnhartsubstanz.

Die Anwendung der aktivkohlehaltigen Zahnpasta erfolgt analog zu einer herkömmlichen Zahnpasta. Die entstehende graugrüne, schlammartige Masse könne sich allerdings im Sulkusbereich oder den Zahnzwischenräumen sowie auf der Zunge ablagern. Folge sei dann eine insgesamt verlängerte Zahnputzzeit, um die Rückstände vollständig zu entfernen. Besonders problematisch ist laut der Autoren die Ablagerung in parodontalen Taschen, schwer zugänglichen Nischen und Füllungsrändern im sichtbaren Bereich.

Ein "modisches, marketingorientiertes Gimmick“

Greenwill et al. [2019] resümieren, dass Zahnpasta auf Holzkohlebasis aufgrund fehlender Evidenz lediglich als „modisches, marketingorientiertes Gimmick“ angesehen werden kann. Sollte der Hype zu einer erhöhten Aufmerksamkeit und steigendem Interesse an Mundhygieneprodukten führen, sei immerhin diese Folge begrüßenswert.

Die Wissenschaftler fordern Zahnärzte, die von ihren Patienten auf Holzkohle-basierte Zahnpasten angesprochen werden, dazu auf, dazu beizutragen, "das Interesse an diesen medial aufmerksamkeitsstarken Produkten auf den Kauf und die Verwendung von Mundhygieneprodukten zu lenken, die erwiesenermaßen dazu beitragen, Mund- und Zahnerkrankungen zu verhindern und dadurch die Mundgesundheit zu verbessern".

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