„Wir müssen darüber reden, was die aktuellen Impfstoffe leisten können“
Die in Europa zugelassenen Impfstoffe von BioNTech/Pfizer und Moderna sind in außergewöhnlich kurzer Zeit entwickelt worden. Gab es das in der Geschichte überhaupt schon einmal?
Prof. Dr. Wolf-Dieter Ludwig: Alle Übersichtsbeiträge, die sich mit der Entwicklung von Impfstoffen beschäftigen, weisen darauf hin, dass eine Impfstoffentwicklung normalerweise zehn bis 15 Jahre beansprucht. In dieser kurzen Zeit ist noch nie ein Impfstoff entwickelt worden. Das hohe Tempo heute hat natürlich etwas mit dem gewaltigen Druck zu tun, den die Pandemie auf unser gesellschaftliches Leben ausübt.
Es wurde ja bereits vor der Pandemie rund zwei Jahrzehnte an mRNA-Impfstoffen geforscht …
Ja natürlich, da gab es bereits wissenschaftliche Untersuchungen und Technologien, die man für die Entwicklung der mRNA-Impfstoffe gegen SARS-CoV-2 nutzen konnte. Es gab auch schon frühe Phasen der klinischen Prüfungen bei diesen Impfstoffen – vorwiegend Phase-1-, vereinzelt auch Phase-2-Prüfungen gegen unterschiedliche Viruserkrankungen wie Zytomegalie, Tollwut und Influenza. Nach diesen Prüfungen hatte allerdings noch kein mRNA-Impfstoff eine Zulassung erhalten.
Woran lag es denn, dass die Entwicklungsarbeiten abgebrochen wurden?
Exakt kann ich diese Frage leider nicht beantworten. Ich vermute, dass Wirksamkeit oder Sicherheit nicht den Ansprüchen an eine Zulassung genügten beziehungsweise erst durch die Lipid-Nanopartikel, die jetzt für die Impfstoffe gegen SARS-CoV-2 verwendet werden, eine ausreichende Stabilität der Impfstoffe erreicht werden konnte.
Bislang sind zwei mRNA-Impfstoffe in Europa zugelassen worden. Sie haben verschiedentlich erwähnt, dass die durch die Hersteller vorgelegten klinischen Daten viele Fragen unbeantwortet lassen. Wie sieht es mit der Qualität des Studiendesigns aus?
Ein großes Problem der Studien sowohl bei BioNTech/Pfizer als auch bei Moderna war, dass man bei den Probanden vor der Impfintervention nicht zweifelsfrei festgestellt hat, ob sie bereits vorab einmal mit SARS-CoV-2 infiziert waren. Und man hat auch nach der Intervention [Impfung oder Placebo – Anm. d. Red.] nicht systematisch mit PCR-Tests geprüft, ob trotz Impfung asymptomatische Infektionen auftraten. Ein PCR-Test wurde nur bei denjenigen Probanden durchgeführt, die Erkrankungssymptome nach der FDA-Definition – zum Beispiel Fieber, Husten, Atemnot, Verlust des Geschmacks- und Geruchssinns – entwickelten. Als COVID-19-Fall wurde gewertet, wer Symptome entwickelte und vier Tage zuvor beziehungsweise vier Tage danach einen positiven PCR-Test in einer Probe aus dem Atemwegstrakt aufwies. Deshalb können wir heute aus den Studiendaten nicht erkennen, ob die Impfung nur vor der symptomatisch verlaufenden Erkrankung COVID-19 schützt oder auch eine sterile Immunität erzeugt – Geimpfte also selbst nicht mehr infektiös sein können.
Warum hat man bei den Probanden eigentlich nicht regelmäßige PCR-Tests durchgeführt? Das hätte doch Klarheit schaffen können. Am Geld kann es ja bei der üppigen staatlichen Forschungsförderung nicht gelegen haben.
Dies hätte natürlich einen großen logistischen Aufwand bedeutet, beispielsweise bei mehr als 40.000 Probanden in der BioNTech/Pfizer-Studie regelmäßige PCR-Tests zu organisieren. Die Antwort auf die Frage, ob Geimpfte sich infizieren und das Virus weitergeben können, ist jedoch eine zentral wichtige Information, um das Potenzial der beiden Impfstoffe korrekt bewerten zu können hinsichtlich des Erreichens einer sterilen Immunität und vor allem der Herdenimmunität als entscheidende Voraussetzung der Eindämmung beziehungsweise Beendigung der Pandemie.
Prof. Dr. Wolf-Dieter Ludwig
... ist Vorsitzender der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft. Von 2001 bis 2017 war er Chefarzt der Klinik für Hämatologie, Onkologie, Tumorimmunologie und Palliativmedizin im HELIOS Klinikum Berlin-Buch. Ludwig ist Mitherausgeber des unabhängigen Informationsblatts „Der Arzneimittelbrief“ und Fachredakteur für das Gebiet „Hämatologie/Arzneimitteltherapie“ der medizinisch-wissenschaftlichen Redaktion des Deutschen Ärzteblatts. Seit 2013 ist er als Vertreter der Europäischen Ärzteschaft (CPME) Mitglied des Management Board der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA).
Ein weiterer Kritikpunkt ist, dass die in der Studie verwendeten FDA-Kriterien zur Erkennung von COVID-19 den beobachteten Nebenwirkungen der Impfung ähneln. Das heißt, Probanden aus der Impfstoffgruppe könnten Symptome wie beispielsweise Fieber, Muskelschmerzen, Müdigkeit seltener als COVID-19-Symptome gemeldet haben, weil sie diese fälschlicherweise für Nebenwirkungen der Impfung hielten. Diese Vermutung hat unter anderem Peter Doshi, Mitherausgeber des British Medical Journal, geäußert. Für diese Vermutung spricht möglicherweise auch, dass die Probanden der Impfstoffgruppe häufiger fiebersenkende Mittel eingenommen haben.
Doshi hat auch darauf hingewiesen, dass es in der BioNTech/Pfizer-Studie insgesamt 3.410 vermutete, aber unbestätigte an COVID-19 erkrankte Probanden gegeben hat: 1.594 in der Impf- und 1.816 in der Placebogruppe.
Diese Unschärfen in der Identifikation von COVID-19-Fällen sind sicher ein Schwachpunkt des Studiendesigns. Auch hier hätten häufigere PCR-Tests aller Probanden zu mehr Klarheit führen können. Das ist besonders ärgerlich, weil am Ende die Wirksamkeit des Impfstoffs anhand von lediglich 170 festgestellten COVID-19-Fällen aus einem Pool von etwas weniger als 40.000 Probanden berechnet wurde: Acht Erkrankungen waren in der Testgruppe, 162 in der Kontrollgruppe identifiziert worden – das ergab eine relative Wirksamkeit von 95,3 Prozent. Wenn es allerdings zutrifft, was Peter Doshi sagt, dass man nämlich die vermuteten Fälle gar nicht mit PCR-Tests untersucht hat, dann kann es sein, dass die relative Wirksamkeit falsch hoch ist.
Was lässt sich zu den kurzfristigen Nebenwirkungen sagen?
Die Reaktogenität, das ist der Oberbegriff für Nebenwirkungen bei Impfungen, ist deutlich höher als bei vielen anderen Impfungen, aber sie ist nicht ungewöhnlich hoch. Dennoch sind die akut oder kurzfristig auftretenden Nebenwirkungen teils erheblich. Während Fieber mit etwa 10 bis 17 Prozent nach der zweiten Impfung noch recht moderat auftrat, waren Fatigue, Kopfschmerz, Frösteln/Schüttelfrost, Myalgie mit Anteilen von 20 Prozent bis zu 50 Prozent vertreten. Gravierende akute Nebenwirkungen hat man aber bislang kaum gesehen. Aus Norwegen sind 23 Todesfälle von sehr gebrechlichen Menschen mitgeteilt worden, die dort für erhebliche Unruhe gesorgt und zu einer Anpassung der Impfindikationen geführt haben. Bei sehr gebrechlichen Menschen sollte daher vor der Impfung unbedingt eine Risiko-Nutzen-Abwägung getroffen werden.
Wie sieht es mit langfristigen Nebenwirkungen aus?
Natürlich können wir über eine Langzeittoxizität bislang nichts sagen. Vertreter des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI) – der Behörde in Deutschland, die für Impfstoffe zuständig ist – widersprechen Aussagen hinsichtlich potenzieller Langzeitnebenwirkungen (zum Beispiel Autoimmunerkrankungen). Sie sagen, es gebe gar keinen Grund, warum man solche Nebenwirkungen fürchten muss. Es gibt andere, vom PEI unabhängige Wissenschaftler, die es etwas anders sehen. Die mRNA-Impfstoffe enthalten sogenannte Lipid-Nanopartikel, die im Körper abgebaut werden müssen. In tierexperimentellen Studien mit einer allerdings deutlich höheren Dosis des BioNTech/Pfizer-Impfstoffs hat sich gezeigt, dass diese Nanopartikel Entzündungen im Körper auslösen können, deren Folgen man natürlich nicht im Rahmen einer kurzen Nachbeobachtung sieht, sondern erst nach längeren Zeiträumen.
Man kann auch nicht ausschließen, dass die durch den Impfstoff gebildeten Antikörper gegen das Fremdprotein des Virus sich nicht eines Tages gegen körpereigene Strukturen richten und deshalb sind Autoimmunerkrankungen erst nach einer längeren Beobachtungsdauer zu erwarten. Darum ist es sehr wichtig, jetzt im Rahmen der Pharmakovigilanz sowohl bei den Probanden der klinischen Studien als auch bei den im Rahmen der angelaufenen Impfkampagne geimpften Personen die Nebenwirkungen sehr sorgfältig zu registrieren und zu dokumentieren. Das PEI hat hierfür die Smartphone-App „SafeVac“ entwickelt, mit der Geimpfte in sogenannten Kohortenstudien Nebenwirkungen einfach übermitteln können.
Ein Wort zu Schwangeren: Sie waren in beiden Studien ausgeschlossen …
Tierexperimentelle Studien hatten zwar keine schädlichen Wirkungen gezeigt, aber eindeutige Erkenntnisse über eine etwaige Reproduktionstoxizität beim Menschen gibt es nicht. Deshalb waren Schwangere in den Studien grundsätzlich ausgeschlossen.
Aufgrund der fehlenden Daten rät die Ständige Impfkommission (STIKO) Schwangeren derzeit von einer Impfung ab, es sei denn, sie haben im Sinne einer Risiko-Nutzen-Abwägung Begleiterkrankungen, die sie für einen schweren Verlauf von COVID-19 prädestinieren.
Konsequenterweise müsste man dann vor der Impfung einen Schwangerschaftstest empfehlen. In der BioNTech/Pfizer-Studie wurden gebärfähige Frauen obligat vor beiden Impfungen auf Schwangerschaft getestet. Selbst die männlichen Probanden wurden zu strenger Verhütung angehalten.
Im Moment werden ja überwiegend Senioren geimpft, bei denen eine Schwangerschaft ausgeschlossen ist. Den jüngeren Beschäftigten im Gesundheitswesen – unter ihnen natürlich viele Frauen – müssen wir heute unbedingt erklären: Es existieren derzeit keine Daten aus klinischen Studien, die Aufschluss darüber geben könnten, ob die Impfung die Schwangerschaft beeinträchtigt oder es andere Nebenwirkungen gibt. Die STIKO empfiehlt im Übrigen nichtsdestotrotz geimpften Frauen, bei denen sich in engem zeitlichen Zusammenhang eine Schwangerschaft zeigt, keinen Schwangerschaftsabbruch.
Sie haben eine detaillierte ärztliche Impfaufklärung jedes einzelnen Patienten gefordert. Dort soll klar gesagt werden, was wir heute zum Impfstoff wissen und was nicht.
Die Patientenaufklärung ist fester Bestandteil einer ärztlichen Behandlung, also auch einer Impfung. Dazu reichen Videos oder Merkblätter definitiv nicht aus; die gesetzlichen Vorschriften verlangen eine persönliche und individuelle Aufklärung – dieser Anspruch scheint mir bei den Impfzentren nur schwer einlösbar zu sein. Wenn kommende Impfstoffe nicht mehr so komplizierte Lagerbedingungen wie beispielsweise Tiefkühlschränke benötigen, würde ich es sehr begrüßen, wenn auch Hausärzte impfen könnten, weil hier aus der Kenntnis ihres Patienten und der medizinischen Vorgeschichte eine individuelle Nutzen-Risiko-Abwägung getroffen werden kann.
Ein anderes Thema ist die sterile Immunität. Von mir vorab befragte Experten aus der Zahnmedizin zeigen sich wenig optimistisch, dass sich die Virusreplikation in Mund- und Rachenschleimhäuten durch eine systemisch wirkende Impfung verhindern ließe.
Da haben ihre Experten vermutlich recht. Es werden unterschiedliche neutralisierende Antikörper im Rahmen von SARS-CoV-2-Infektionen gebildet: IgG-, IgA- und IgM-Antikörper. Durch die Impfung werden in erster Linie neutralisierende IgG-Antikörper gebildet, die gegen das Spike-Protein des Virus gerichtet sind. IgA wird vermutlich deutlich weniger gebildet. Diese IgA-Antikörper vermitteln aber ganz wesentlich den Schutz vor einer Infektion mit SARS-CoV-2 an den Oberflächen der Schleimhäute im Mund-, Nasen- und Rachenraum.
„Videos oder Merkblätter reichen zur Patientenaufklärung definitiv nicht aus.“
Prof. Wolf-Dieter Ludwig
Wir wissen derzeit noch relativ wenig zur Bildung von IgA-Antikörpern nach der Impfung gegen SARS-CoV-2. Man hat in den klinischen Studien vor allem die Titer für IgG-Antikörper gemessen, die deutlich über den Konzentrationen des IgG in Seren von rekonvaleszenten Personen nach COVID-19 lagen. Außerdem konnten gegen das Spike-Protein gerichtete spezifische T-Lymphozyten mit einem hohen Anteil an Interferon-gamma produzierenden Zellen, also neben humoraler auch zelluläre Immunantwort, nachgewiesen werden.
Welche Medikamente werden denn eingesetzt? Gibt es Hoffnungen auf neue Therapien?
Im ersten Halbjahr 2020 wurden viele Medikamente, die bereits für andere Indikationen zugelassen waren, auch in der Behandlung von COVID-19 getestet. Dabei handelt es sich um die sogenannten „Repurposed Drugs“ – unter anderem Chloroquin-haltige Medikamente, die zur Behandlung von HIV-1 eingesetzte Kombination von Lopinavir und Ritonavir sowie Glukokortikosteroide wie zum Beispiel Dexamethason. In klinischen Prüfungen haben die meisten dieser Kandidaten bis auf Dexamethason leider enttäuscht. Auch für das Medikament Remdesivir, das initial als großer Hoffnungsträger gesehen und sowohl von der FDA als auch von der EMA beschleunigt zugelassen wurde, gibt es inzwischen klinische Studien und evidenzbasierte Leitlinien, die keinen überzeugenden klinischen Nutzen sehen und deshalb – wie auch eine WHO-Empfehlung – eine Behandlung mit Remdesivir für Patienten mit COVID-19 nicht empfehlen.
„Es ist wichtig, jetzt die Nebenwirkungen sehr sorgfältig zu registrieren und zu dokumentieren.“
Prof. Wolf-Dieter Ludwig
Hoffnungsträger sind derzeit Rekonvaleszentenseren, in denen sich Antikörper von Menschen befinden, die eine Infektion mit SARS-CoV-2 durchgemacht haben sowie monoklonale Antikörper, die den Antikörpern von Patienten ähneln, die COVID-19 überlebt haben, und ebenfalls gegen das Spike-Protein gerichtet sind. Ziel der Therapie mit Rekonvaleszentenseren oder monoklonalen Antikörpern ist es, Risikopatienten nach SARS-CoV-2-Infektion beziehungsweise in der Frühphase von COVID-19 rasch zu behandeln, um dadurch schwere Verläufe zu verhindern. Das Bundesgesundheitsministerium hat gerade 200.000 Dosen zu etwa 2.000 Euro pro Dosis eingekauft. Aus meiner Sicht war dies eine vorschnelle Entscheidung, für die überzeugende Ergebnisse zur Wirksamkeit der Antikörper aus klinischen Studien bisher fehlen.
Die Impfstoffe gelten als das Licht am Ende des Tunnels. Auf den Forschern, Herstellern, Politikern lastet ein ungeheurer Erfolgsdruck. Wäre es nicht klug, seitens der Wissenschaft die Erwartungen etwas zu dämpfen und vielmehr zu signalisieren, dass wir durchaus in die Lage kommen können, noch längere Zeit mit dem Virus leben zu müssen?
Dafür plädiere ich, seit ich Interviews zu diesem Thema gebe. Wir haben momentan eine völlig unzureichende Kommunikation in der Öffentlichkeit über das, was die Impfstoffe kurz- und mittelfristig leisten können. Wir beklagen ständig, dass wir derzeit zu wenig Impfstoffe bekommen, aber wir thematisieren aus meiner Sicht zu wenig, was wir von den jetzt zugelassenen Impfstoffen realistischerweise mittelfristig erwarten können.
Diese unzureichende Kommunikation ist auch ein Grund für die derzeit noch fehlende Impfbereitschaft bei einem nicht kleinen Teil der Bevölkerung. In den USA diskutiert man intensiv geeignete Kommunikationsstrategien in Zeiten von COVID-19 in führenden medizinischen Fachzeitschriften, wie beispielsweise dem New England Journal of Medicine, und das Resümee lautet immer wieder: Wenn es uns nicht gelingt, den Stand des Wissens in der Kommunikation authentisch und realistisch darzustellen, dann wird es uns auch nicht gelingen, die Impfbereitschaft so zu steigern, dass wir damit erfolgreich die Pandemie eindämmen können.
Sie haben wiederholt auch Intransparenz vonseiten der EU und der Impfstoffhersteller kritisiert.
Die Hersteller haben sehr viel öffentliches Geld für die Erforschung und Entwicklung ihrer Impfstoffe erhalten. Dennoch gibt es viel Intransparenz rund um die Verträge, die die EU mit den Herstellern abgeschlossen hat. Die Öffentlichkeit hat ein Recht darauf zu erfahren, mit wem welche Verträge abgeschlossen wurden. 39 Organisationen auf EU-Ebene, darunter auch Vertreter der Patienten und Ärzteschaft in Brüssel, haben wiederholt gefordert, dass man größtmögliche Transparenz herstellt. Das Gegenteil ist eingetreten – die Dinge wurden weitgehend hinter verschlossenen Türen verhandelt.
Zum Abschluss vielleicht noch etwas Positives: Die Pandemie hat zu einer beispiellosen Mobilisierung von Ressourcen für die medizinische Forschung geführt. Kann das einen technologischen Schub auslösen und zu schnelleren Fortschritten bei der Bekämpfung anderer Erkrankungen wie beispielsweise Krebs führen?
Beeindruckend an der gegenwärtigen Entwicklung ist tatsächlich die schnelle Verfügbarkeit wirksamer Impfstoffe gegen SARS-CoV-2. Verantwortlich hierfür sind vor allem die sehr rasche molekularbiologische Sequenzierung von SARS-CoV-2 Anfang 2020, die zuvor bereits erprobten Technologieplattformen für die Produktion von mRNA-Impfstoffen sowie die Beschleunigung der Zulassungsverfahren – das sogenannte „Rolling Review“ – bei der EMA.
Was die Aussichten bei der Krebsbekämpfung betrifft, muss ich die Erwartungen leider wieder etwas dämpfen. Die beiden BioNTech-Gründer hatten ja zunächst an einem Impfstoff gegen Krebs geforscht und waren damit bisher nicht erfolgreich. Die Pandemie bot die Chance, die mRNA-Technologie auf ein vergleichsweise leicht zu attackierendes Angriffsziel wie das Spike-Protein des SARS-CoV-2 anzuwenden. Bei Krebserkrankungen sind die Verhältnisse durch unzählige Mutationen in den Krebszellen weit komplexer. Hierfür einen Impfstoff zu entwickeln, ist eine ungleich größere Herausforderung an die Forschung. Ich sehe leider nicht, dass wir Krebserkrankungen mit einer solchen Technologie in absehbarer Zeit wirksam behandeln können.
Das Gespräch führte Benn Roolf.