Akute Porphyrie
Bei der akuten Porphyrie handelt es sich um eine genetisch bedingte Stoffwechselerkrankung, die vergleichsweise selten ist. Sie tarnt sich mit Symptomen, die denjenigen vieler anderer Krankheiten ähneln, was die Diagnose erschwert und zur Folge hat, dass die Porphyrie bei vielen Betroffenen nicht oder häufig erst sehr spät erkannt wird.
Grundlage der Erkrankung ist eine Störung der Porphyrin-Häm-Synthese. Unter den Porphyrinen versteht man organische Verbindungen, in deren Zentrum ein Metall als Zentralatom gebunden ist. Zwei wichtige Beispiele aus dem biologischen Bereich sind das Chlorophyll, also der grüne Blattfarbstoff, in dessen Mitte als Zentralatom Magnesium gebunden ist, sowie das Hämatoglobin, bei dem Eisen das Zentralatom darstellt und das den roten Blutzellen und damit dem Blut durch eine andere Anzahl der korrespondierenden Doppelbindungen die rote Farbe verleiht. Die Metallporphyrine werden in der Natur in Proteine eingebaut und übernehmen lebenswichtige Funktionen, beispielsweise im Energiestoffwechsel oder beim Sauerstofftransport. Mit Hilfe von Enzymen werden sie im Organismus je nach Bedarf auf- und abgebaut, eine Funktion, die nicht mehr möglich oder erschwert ist, wenn ein genetischer Defekt der notwendigen Enzymsysteme vorliegt. Es kommt dann zu einer Störung der Porphyrinbildung und somit zur Porphyrie. Allerdings handelt es sich nicht um eine einheitliche Störung, sondern es gibt verschiedene Formen der Porphyrie, und zwar abhängig davon, welche der acht Stufen der Hämatoglobinbildung (kurz Häm) konkret gehemmt wird. Da die Hämbildung zum Teil im Knochenmark und zum Teil in der Leber abläuft, kann, je nachdem welcher Teil betroffen ist, zudem zwischen einer hepatischen und einer erythropoetischen Porphyrie unterschieden werden. Die hepatischen Porphyrien sind weiter in akute Störungen und solche mit eher chronischem Verlauf zu unterteilen.
Die eigentlichen pathogenen Prozesse sind jedoch bei allen Formen der Porphyrie gleich: So kommt es durch den Enzymdefekt zur Akkumulation von Vorstufen des Häm im Organismus, was die Vielgestaltigkeit der möglichen Symptome erklärt.
Insgesamt betrachtet, ist die Porphyrie eine seltene Erkrankung, und das gilt vor allem für die erythropoetische Form. Etwas häufiger ist die hepatische Krankheitsform, ihre Prävalenz wird in Europa mit 1:3 000 bis 1:10 000 Einwohner angegeben.
Am häufigsten: die akut intermittierende Porphyrie
Am häufigsten ist die akut intermittierende Porphyrie (AIP), die jedoch in aller Regel latent verläuft. Denn der Erkrankung liegt ein genetischer Enzymdefekt zu Grunde, der für sich allein nicht zu Krankheitszeichen führt. Manifest wird die Störung erst, wenn äußere Faktoren, wie etwa die Einnahme bestimmter Medikamente, hinzu kommen. Dann kann ein Porphyrie-Anfall ausgelöst werden. Das aber ist bei nur zehn bis 20 Prozent der Genträger der Fall. Mit akuten Attacken einer Porphyrie ist deshalb rein statistisch betrachtet nur bei einem Patienten auf 75 000 Einwohner zu rechnen. Die Attacken treten fast ausschließlich nach der Pubertät auf, Frauen erkranken generell häufiger als Männer. So sind 80 Prozent der Patienten Frauen im Alter von 15 bis 45 Jahren.
Neben der AIP gibt es vor allem die Porphyria cutana tarda, eine Porphyrie-Form, bei der sich Porphyrine in der Leber ansammeln, sowie die Protoporphyrie, die durch eine hohe Photosensitivität gekennzeichnet ist. Die Störung geht mit der Akkumulation von Protoporphyrin in der Leber einher, was zu massiven Leberschäden führen kann. Behandelt wird mit Ursodeoxycholsäure, um die Ausscheidung der Gallenflüssigkeit anzuregen und über diesen Weg auch die Ausscheidung des Protoporphyrins zu forcieren. Kommt es auf Grund der Erkrankung aber zur Leberzirrhose, so ist zumeist die Lebertransplantation die einzige Behandlungsoption.
Die Häufigkeit der Porphyrien dürfte nach Professor Dr. Manfred O. Doss aus Marburg allgemein noch unterschätzt werden, da die Erkrankung insgesamt wegen ihrer schillernden Symptomatik unterdiagnostiziert wird. Der Mediziner rechnet damit, dass in Deutschland einige Tausend Porphyrie- Patienten leben, viele davon möglicherweise unerkannt.
Auslösefaktoren
Die Hauptauslösefaktoren für eine AIP sind Medikamente, und zwar insbesondere Schlafmittel, Antiepileptika, Analgetika, Antibiotika und Hormonpräparate. Außerdem können hormonelle Schwankungen die Erkrankung zum Ausbruch bringen, was allein schon durch die regelmäßigen Schwankungen von Östrogen im weiblichen Zyklus geschehen kann. Auch können Alkohol, strenge Fastenkuren, Infektionen sowie seelischer oder körperlicher Stress als Auslöser für Attacken fungieren.
Dies erklärt, warum die Symptome der Porphyrie zum Teil nur gelegentlich und dann anfallsartig auftreten und warum es zum Teil lange symptomfreie Phasen gibt. Dies wiederum erschwert neben der relativen Seltenheit der Erkrankung und der Vielschichtigkeit der Symptomatik die Diagnosestellung zusätzlich. So gibt es Personen, die immer wieder unter Beschwerden leiden, während andere möglicherweise nur ein einziges Mal in ihrem Leben einen Porphyrie- Anfall erleben.
Schillernde Symptomatik
An eine Porphyrie als Ursache muss praktisch immer gedacht werden, wenn akute kolikartige Bauchschmerzen auftreten, und das insbesondere, wenn sie mit Erbrechen einhergehen oder mit Verstopfung sowie mit Rückenschmerzen. Diagnostisch hinweisend ist außerdem eine Rotverfärbung des Urins. Sie tritt bei rund jedem vierten Patienten auf und ist ein wichtiges Indiz für eine Porphyrie.
Hellhörig werden muss man auf jeden Fall, wenn die beschriebenen Symptome im Zusammenhang mit kardialen Problemen auftreten und speziell zusammen mit einem Bluthochdruck, mit Herzrasen und/oder Atemsymptomen. Es kommen oft neurologische und psychiatrische Symptome hinzu, von der Muskelschwäche über allgemeine Missempfindungen der Haut, zum Beispiel Kribbeln, bis hin zu Lähmungserscheinungen in Armen und Beinen oder gar epileptischen Krampfanfällen, komatösen Zuständen, Verwirrtheit, Halluzinationen sowie Ängsten und Depressionen. Nach Angaben von Privatdozent Dr. Jorge Frank, Aachen, stehen die kolikartigen Bauchschmerzen im Vordergrund und finden sich bei 90 Prozent der Patienten. 80 Prozent leiden zudem unter Erbrechen, 75 Prozent unter einer Obstipation. Neurologische und psychiatrische Veränderungen finden sich bei 50 bis 60 Prozent, sind aber variabel und können als motorische oder sensorische Störungen auftreten, wobei bei bis zu 15 Prozent der Patienten generalisierte Krampfanfälle und akute Psychosen drohen.
Wegen dieser zum Teil schillernden Symptomatik werden Fälle einer Porphyrie oft zunächst fehldiagnostiziert. „Es wird nicht selten ein akutes Abdomen vermutet und der Patient sogar einem operativen Eingriff unterzogen“, berichtete Professor Doss im Rahmen des Internistenkongresses in Wiesbaden.
Treten die beschriebenen Beschwerden und insbesondere eine Kombination der genannten Symptome auf, so muss nach Doss zwangsläufig an die Möglichkeit einer Porphyrie gedacht werden und das ganz besonders bei Frauen im Alter zwischen 20 und 30 Jahren. Auch bei Patienten, die wiederholt wegen Unterleibsschmerzen und wegen kardialen Problemen sowie wegen neurologischer oder psychiatrischer Auffälligkeiten behandelt wurden, muss immer auch an die Möglichkeit einer akut intermittierenden Porphyrie gedacht werden, fordert der Marburger Mediziner. Da dies oft nicht geschieht, haben nach seinen Worten zahlreiche Betroffene eine regelrechte „Odyssee von Arzt zu Arzt“ hinter sich, ehe dann schließlich die richtige Diagnose gestellt wird.
Gefahren der Porphyrie
Dabei ist andererseits eine frühzeitige Diagnosestellung und die Einleitung einer effektiven Behandlung unter Umständen lebenswichtig, da die Einnahme falscher Medikamente sogar lebensbedrohliche Porphyrie- Anfälle auslösen kann. Eine rechtzeitige Diagnosestellung ist außerdem bedeutsam, um Folgeschäden abzuwenden. So sind die neurologischen Veränderungen bis hin zu den Lähmungserscheinungen bei rechtzeitiger Behandlung reversibel. Erfolgt diese nicht, so drohen bleibende Schäden. Denn speziell die neurologischen Komplikationen gefährden den Patienten, wobei die schwerste Komplikation in einer lebensbedrohlichen Atemlähmung besteht.
Besteht der Verdacht auf eine Porphyrie, so ist nach Doss deshalb unverzüglich eine Untersuchung auf Porphyrine und auch auf Porphyrin-Vorläufer im Urin und im Blut erforderlich. Hinweisend ist auch eine Rotfärbung des Urins bei längerem Stehenlassen (zehn bis 30 Minuten nach dem Wasserlassen), ein Diagnosekriterium, das aber nur bei jedem vierten Patienten erfüllt ist. Bei familiärer Häufung der Erkrankung sind außerdem Gentests zu erwägen. Bestätigt sich der Verdacht auf eine Porphyrie, so kann durch weitere Testverfahren zwischen den jeweiligen potenziellen Krankheitsformen differenziert werden.
Vermeidung von Komplikationen
Eine der wesentlichen Grundlagen der Behandlung ist anschließend das Vermeiden von Faktoren, die den Porphyrie-Anfall auslösen. Die Patienten sollten keinesfalls Fastenkuren durchführen und gegebenenfalls das Rauchen aufgeben und den Alkoholkonsum einschränken oder auf Alkohol gänzlich verzichten. Sie sollten versuchen, starke körperliche Belastungen und generell Stress zu vermeiden.
Die wohl wichtigste Maßnahme aber ist es, sofort porphyrinogene Medikamente abzusetzen. Die Betroffenen müssen zudem gut informiert werden, welche Wirkstoffe sie nicht einnehmen dürfen. Sie sollten zusätzlich einen Notfallausweis mit sich tragen, und zwar mit Angaben zur Stoffwechselstörung sowie Angaben zu erlaubten und zu porphyrinogenen Arzneimitteln, damit im Falle eines Falles der behandelnde Arzt vor Ort weiß, wie er zu reagieren hat.
Bei etwa der Hälfte der Patientinnen mit akuter Porphyrie treten die Anfälle vor allem prämenstruell auf und lassen sich durch die Einnahme niedrig dosierter Östrogen-Gestagen- Kombinationen oder durch hormonelle Kontrazeptiva unterdrücken. Allerdings reagieren die Frauen recht unterschiedlich, wobei orale Kontrazeptiva unter Umständen auch Porphyrie-Anfälle direkt auslösen können, so dass im Einzelfall das Vorgehen sehr sorgfältig abgewogen werden muss.
Gezielte Therapie der Porphyrie
Eine gezielte Behandlung der Porphyrie ist mit Hilfe großer Mengen an Kohlenhydraten möglich, und durch die intravenöse Injektion von Glukose kann die Überproduktion von Porphyrin-Vorläufern zurückgedrängt werden. Zur weiteren Stabilisierung der Porphyrin-Biosynthese wird nach Angaben von Privatdozent Dr. Ulrich Stölzel, Chemnitz, eine kohlenhydrat- und proteinreiche Diät empfohlen, die weniger als 50 Gramm Fett pro Tag enthält.
Wirksamer aber ist, so das Urteil einer Konsensus- Konferenz, eine Behandlung mit Hämarginat. Der Wirkstoff gleicht einerseits den Häm-Mangel aus und hemmt zugleich die Delta-Aminolävulinsäure-Synthase als Schlüsselenzym bei der Hämsynthese. Sie unterbindet damit zugleich die Bildung der Porphyrinvorstufen und der Porphyrine. Dadurch unterbleibt die Akkumulation dieser Substanzen im Körper, die entsprechenden Symptome klingen ab oder treten im Idealfall gar nicht erst auf.
Wird mit Hämarginin im akuten Anfall behandelt, so kommt es nach den vorliegenden Studienergebnissen zu einem beschleunigten Abklingen der Leibschmerzen und zur Normalisierung der biochemischen Parameter. Etwas langsamer bilden sich die neurologischen Symptome zurück. Wird jedoch die Diagnose rechtzeitig gestellt und eine spezifische Therapie eingeleitet, so kann den betroffenen Menschen quasi ein fast völlig normales Leben ermöglicht werden.
Gegebenenfalls ist jedoch eine Hämarginin- Intervalltherapie notwendig, wobei die betroffenen Patienten einmal wöchentlich behandelt werden. Erwogen werden muss ein solches Vorgehen in all jenen Fällen, in denen es wiederholt zu klinischen Symptomen einer Porphyrie kommt.
Denn die akute Porphyrie ist ein potenziell lebensbedrohlicher Zustand. Im Falle eines akuten Anfalls ist deshalb eine unverzügliche stationäre Einweisung und unter Umständen auch intensivmedizinische Überwachung erforderlich.
Porphyrie – ein Thema, das die Öffentlichkeit bewegt
Übrigens ist die Porphyrie keineswegs eine „Erfindung“ der modernen Zeit. Sie ist bereits Jahrhunderte beschrieben und gilt auch als „königliche Erkrankung“, denn King George III von England soll an einer Porphyrie gelitten haben. Auch bei Vincent van Gogh vermuten die Medizinhistoriker, dass er an einem Porphyrie-Anfall litt, als er sich das rechte Ohr abschnitt und es zu einer Prostituierten brachte. Aufmerksamkeit erhielt das Krankheitsbild dann vor allem durch den Roman „Paula“ von Isabel Allende. In diesem Roman beschreibt Isabel Allende die Porphyrie-Erkrankung und schließlich den Tod ihrer Tochter Paula, bei der die Störung nicht rechtzeitig erkannt wurde.
Die Autorin der Rubrik „Repetitorium“ist gerne bereit, Fragen zu ihren Beiträgenzu beantwortenChristine VetterMerkenicher Str. 22450735 Köln