Deutsche Kids mit „dicken“ Gesundheitsgefahren

Kinderernährung

Die deutschen Kinder sind durchweg zu dick: Rund jedes vierte Kind zwischen fünf und sieben Jahren ist deutlich übergewichtig, fast die Hälfte der über Neunjährigen sind regelrecht adipös – eine traurige Bilanz. Sie macht verstärkte Bemühungen um die Prävention erforderlich, so hieß es beim 5. Forum des Auswertungs- und Informationsdienstes für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (aid) in Bonn.

Prävention, das ist mehr als nur ein Schlagwort. Denn durch vernünftige Konzepte und breit angelegte Aktionen lässt sich durchaus eine Verbesserung des Gesundheitszustands bei Kindern erreichen, wie nicht zuletzt das Beispiel der Karies gezeigt hat. Früher weit verbreitet, ist die Karies für viele Schulkinder inzwischen zu einem Fremdwort geworden, eine Entwicklung, die allein den umfassenden Bemühungen um die Prävention zu verdanken ist, so hieß es beim aid-Forum.

Dort wurden zugleich erschreckende Daten der Kieler Adipositas-Präventionsstudie (Kiel Obesity Prevention Study, kurz KOPS) vorgestellt: Demnach liegt die Adipositasprävalenz bei den Fünf- bis Siebenjährigen bei 23 Prozent und sogar bei 42 Prozent bei den Neun- bis Elfjährigen. „Ein Adipositasrisiko wird bei weiteren 20 Prozent der normalgewichtigen Kinder angenommen“, berichtete Professor Dr. Manfred James Müller vom Institut für Humanernährung und Lebensmittelkunde der Universität Kiel. „Es besteht folglich ein erheblicher Handlungsbedarf“, mahnte der Ernährungswissenschaftler.

Dicke Kinder werden dicke Erwachsene

Denn nach den heutigen Erkenntnissen bleiben mindestens 40 Prozent der übergewichtigen Kinder auch als Erwachsene übergewichtig, bei den Jugendlichen steigt der Prozentsatz sogar auf 80 Prozent. Den Kindern drohen damit die bekannten Gesundheitsgefahren, Herz- und Kreislauferkrankungen sowie Stoffwechselstörungen stehen später auf der Tagesordnung. Schon jetzt weisen nach Müller 40 Prozent der adipösen Kinder zwischen fünf und sieben Jahren ein pathologisches Lipidmuster auf.

Das aber stört die Kinder und Jugendlichen kaum, anders sieht das mit anderen Konsequenzen des Übergewichtes auf. So leiden viele Kinder unter den orthopädischen Belastungen durch ihr Gewicht. Ein weitere Aspekt kommt hinzu: „Dicke Kinder werden oft benachteiligt und haben erhebliche psychosoziale Probleme“, sagte der Ernährungswissenschaftler.

Eine der wesentlichen Ursachen der Überernährung sieht er in der falschen Ernährung und der fehlenden Bewegung, die seinerseits durch einen zunehmenden Fernsehkonsum bedingt ist. Dazu Müller: „Die tägliche Zeit vor dem Fernseher ist praktisch linear verknüpft mit dem Körpergewicht der Kinder“.

Fehlernährung nimmt zu

„Die Fehlernährung bei Kindern und Jugendlichen nimmt extrem zu“, mahnte in diesem Zusammenhang auch Bundesministerin Renate Künast. Sie hat unter dem Motto „FIT KID macht müde Kinder munter“ eine neue Kampagne initiiert, die sich vor allem an Kindergärten und Kindertageseinrichtungen wendet und durch entsprechende Beratungsveranstaltungen und Schulungen dort für eine gesündere Ernährung der Kinder wirbt. „Denn Ernährungserziehung beginnt schon in den ersten Lebensjahren“, so Dr. Margret Büning-Fesek vom aid. Die Regeln sind nach ihren Worten einfach: Kinder brauchen eine vollwertige kindgerechte optimierte Mischkost mit reichlich pflanzlichen Lebensmitteln und Getränken. Nur mäßig sollten tierische Lebensmittel verzehrt werden und es sollte sparsam umgegangen werden mit fettreichen Lebensmitteln und Süßwaren. Andererseits dürfen den Kindern keine speziellen Nahrungsmittel verboten werden, vielmehr müssen die Eltern darauf achten, dass die richtige Mischung eingehalten wird. „Die Kost muss vollwertig, kindgerecht und lecker sein,“ sagte Frau Büning-Fesek in Bonn.

Prävention lohnt sich

Dass sich auch bei der Adipositas ähnlich wie bei der Karies Präventionsprogramme lohnen, hat die KOPS bereits belegt. In der Untersuchung wurden fünf bis siebenjährige Kinder im Kieler Stadtgebiet im Rahmen der ärztlichen Schulanfängeruntersuchung erfasst.

Ihr Adipositasrisiko wurde charakterisiert und die Kinder wurden bis zur Pubertät weiter beobachtet. In ausgewählten Schulen gab es bei Kindern der ersten Klasse außerdem gezielte Interventionen zur Adipositasprävention, wobei die Maßnahmen den spielerischen und selbständigen Umgang der Kinder mit Ernährung und Bewegung unterstützten. Ferner wurden erweiterte Interventionen in 72 Familien mit dicken oder mit adipositasgefährdeten Kindern angeboten.

Das Ergebnis war ausgesprochen positiv: Nach nunmehr vier Jahren lässt sich nach Müller feststellen, dass der Ernährungszustand der Kinder, die gezielte Interventionen erleben, deutlich besser ist und dass Kinder aus Familien mit entsprechender Intervention eine um 15 Prozent geringere Fettmasse aufweisen.

Es ist also, so Müller, durchaus eine Prävention der Adipositas möglich, wenn das Problem frühzeitig erkannt wird und gezielte Interventionen folgen. „Kinder, die bereits dick sind, werden so aber leider nicht erreicht“, schränkte der Kieler Wissenschaftler ein.

Schwachpunkte bei der Kinderernährung

Allerdings gibt es auch unabhängig von dem Problem der Adipositas bei der Ernährung deutscher Kinder noch erhebliche Schwachpunkte, wie eine langfristige Ernährungsstudie, die bereits 1985 am Forschungsinstitut für Kinderernährung (FKE) in Dortmund begonnen hat, belegt. „Die Kinder essen zu wenig pflanzliche Lebensmittel, wie Gemüse, Vollkorngetreide und Kartoffeln, während fettreiche tierische Produkte, wie Wurst oder Fleisch, zu reichlich verzehrt werden“, berichtete Privatdozentin Dr. Mathilde Kersting, Dortmund, vom FKE. Die Ernährung der Kinder ließe sich nach Kersting leicht verbessern: „Seltener Fleisch- und Süßspeisen und dafür häufiger Gemüse und Rohkost“, so lautet nach ihren Worten das Motto. Außerdem weisen nicht wenige Kinder und Jugendliche Versorgungsdefizite bei bestimmten Mikronährstoffen auf, berichtete Professor Dr. Bernhard Koletzko vom Dr. von Haunerschen Kinderspital in München. Hervorzuheben ist nach seinen Worten die Versorgung mit Jod und mit dem B-Vitamin Folsäure. Auch der Münchner Mediziner sprach sich für eine weniger energie- und fettreiche Kinderkost und für mehr Anteile an Getreideprodukten sowie Obst und Gemüse aus. Gleichzeitig sollte der Verzehr fettarmer Milchprodukte konsequent gefördert werden, um die Kalziumversorgung der Kinder sicher zu stellen. Zudem ist nach Koletztko ein verstärkter Verzehr von mit Jod und Folsäure angereicherten Lebensmitteln ratsam.

Spezialkost für Kinder oft überflüssig

Spezielle „Kinderlebensmittel“ brauchen Kinder jenseits des ersten Lebensjahres nach Dr. Kersting aber nicht. Das Angebot derartiger Produkte hat sich nach ihren Worten in den vergangenen Jahren verdreifacht, die ernährungsphysiologische Qualität hat sich jedoch nicht verbessert, und es überwiegen nach wie vor die ungünstigen, gesüßten Produkte.

Christine VetterMerkenicherstrasse 22450735 Köln

Melden Sie sich hier zum zm-Newsletter des Magazins an

Die aktuellen Nachrichten direkt in Ihren Posteingang

zm Heft-Newsletter


Sie interessieren sich für einen unserer anderen Newsletter?
Hier geht zu den Anmeldungen zm Online-Newsletter und zm starter-Newsletter.