Moderne Therapiestrategien im Lückengebiss
Prof. Dr. Reiner Biffar, Greifswald, stellte in seinem Vortrag das komplexe Thema des Lückengebisses dar. Obgleich die prothetische Versorgung einer Lücke als wichtige Methode der Dysfunktionsprophylaxe gilt, ist nach seiner Meinung der rein numerische Ersatz von Zähnen und die zahntechnisch komplizierte Ausführung nicht in jedem Fall sinnvoll. Wichtig ist zu entscheiden, wann das Lückengebiss infolge Dekompensation des Zahnverlustes tatsächlich einen Risikofaktor darstellt. Ein „Kurzfunktionscheck“ sollte helfen, dies zu erkennen. Bei Patienten mit manifesten Funktionsstörungen muss der prothetischen Versorgung eine Vorbehandlung vorausgehen. Karies-, Parodontalund Dysfunktionsprophylaxe sind, seiner Meinung nach, mehr zu betonen und dem Patienten nahezubringen.
Prof. Andrea Wichelhaus, Basel, referierte über das Thema „Kieferorthopädisches Lückenmanagement mit der Compound- Technik“. Anhand interessanter klinischer Beispiele zu der von ihr entwickelten Compound- Technik zeigte sie, wie vor allem bei jugendlichen Patienten Zahnlücken nicht nur prothetisch, sondern mit kierforthopädischen Maßnahmen geschlossen werden können. Bei der Compound-Technik wird eine Bogenkombination aus den verschiedenen Materialien Stahl und Nickel-Titan verwendet, welche den Vorteil der kontinuierlichen Wirkung hat und keiner Nachaktivierung bedarf. Es stellt sich im Folgenden die Frage, welches Material wann einzusetzen ist. Die Nickel-Titan-Legierungen applizieren sehr kleine Kräfte, deren Größe vorhersagbar ist; der Bogen ist gut auslenkbar und ein starker Torque kann eingebogen werden. Nach ihren Erkenntnissen geben auch Nickel-Titan-Legierungen intermittierende Kräfte ab und nicht, wie bisher angenommen, nur gleichbleibende Kräfte. Die Referentin stellte die interdisziplinäre Zusammenarbeit der Kieferorthopäden mit den verschiedenen Fachgebieten der Zahnheilkunde in den Vordergrund.
Zahnerhalt aus endodontischer Sicht
Zu den Möglichkeiten des Erhalts von Zähnen durch konservative Endodontie nahm PD Dr. Michael Hülsmann, Göttingen, Stellung. Er wies darauf hin, dass die in klinischen Studien nachgewiesenen hohen Erfolgsquoten der modernen Endodontie von über 80 Prozent einen längeren Zahnerhalt zu Gunsten prothetischer und implantologischer Maßnahmen ermöglichen. Unter Einhaltung aseptischer Bedingungen können wesentliche Erfolgsverbesserungen erzielt werden. Moderne Hilfsmittel erleichtern das zentrale Anliegen endodontischen Bemühens. Standard sind hier Nickel-Titan- Instrumente in Verbindung mit drehmomentgesteuerten Motoren. Neue elektronische Hilfsmittel vereinfachen die Längenmessung der Kanäle, ersetzen aber nicht das klassische Röntgenbild.
Prof. Dr. Klaus Löst, Tübingen, warnt vor zu großer Euphorie hinsichtlich der großen Möglichkeiten der technischen Gegebenheiten. Nach wie vor sind die richtige Indikationsstellung und die differentialdiagnostische Abgrenzung entzündlicher Prozesse im Bereich der Zähne seiner Meinung nach wichtige Kriterien für den Erfolg der Endodontie. Gelegentlich werden periradikuläre Prozesse durch entzündungsinduzierende Materialien oder Zysten ausgelöst. In der überwiegenden Mehrzahl der Fälle jedoch findet sich im infizierten Endodont die biologische Ursache der apikalen Entzündung, die sich insbesondere in Fällen ohne orthograden Zugang, zum Beispiel bei einzementierten Wurzelstiften, nicht beherrschen lässt. Grenzen ergeben sich für die Endodontie zudem durch verfahrens- oder situationsinhärente Probleme. So können trotz der hoch flexiblen neuen Instrumente nicht alle stark gekrümmten oder obliterierten Kanäle zufrieden stellend aufbereitet und anschließend gefüllt werden. Dies gilt auch für Situationen, wo es bereits zu entzündlichen Resorptionen im Bereich der Zahnwurzel gekommen ist. Zudem weisen viele Molaren mehr als nur drei Wurzelkanäle auf, nach denen man unter Umständen länger suchen muss. Nicht zuletzt müssen Aufwand-Nutzen-Relation und die Gegebenheiten des Patienten beachtet werden. Eine endodontische Behandlung ist aber grundsätzlich immer möglich, auch bei älteren Menschen, letztlich entscheidet der Patient nach Abwägung der Alternativen über Art und Umfang der Behandlung.
Parodontale Faktoren
PD Dr. Peter Eickholz, Heidelberg, reflektierte über Möglichkeiten und Grenzen des Erhalts parodontologisch schwer geschädigter Zähne. Die prognostische Einschätzung eines Zahnes sollte Patientencharakteristika, wie individuelle Mundhygiene und Nikotinabusus, und lokale Befunde, insbesondere Furkationsbeteiligung und Knochentaschen, berücksichtigen und stellte die deutlich erhöhten Verlustraten parodontal unbehandelter Zähne dar.
Eine unterstützende Parodontitistherapie ist in regelmäßigen Abständen nach Parodontalchirurgie immer für einen langfristigen Zahnerhalt notwendig. Der Referent wies darauf hin, dass die wichtigste parodontologische Maßnahme zum Zahn – und Kieferkamm- Erhalt die Prävention beziehungsweise frühzeitige Diagnose und Therapie der Parodontitis ist.
Chirurgische Ansätze zum Lückengebiss
Prof. Dr. Dr. Klaus Louis Gerlach, Magdeburg, berichtete über seine mehr als 20-jährige Erfahrung mit autogenen Zahnkeimtransplantaten als Lückenschluss im Molarenbereich. Er sieht die Indikation im Ersatz eines nicht erhaltungswürdigen ersten beziehungsweise zweiten unteren Molaren durch Weisheitszahnkeime bei Patienten, die jünger als 25 Jahre sind. Ferner sollte das Wurzelwachstum annähernd abgeschlossen und möglichst ein weit offenes Foramen apikale vorhanden sein. Der Referent empfahl, auf eine möglichst atraumatische Arbeitsweise zu achten und eine Verletzung der Wurzelhaut unter allen Umständen zu vermeiden. Der Autor favorisiert ein einzeitiges Vorgehen und sieht lediglich beim Vorliegen einer periapikalen Entzündung ein Abweichen von dieser Vorgabe für gerechtfertigt. Anschließend empfiehlt sich eine Schienung für ein bis vier Wochen mit einer Miniplastschiene. Eine länger als acht Wochen bestehende Schienung verhindert die Stimulation und damit die Regeneration des Parodontiums. Artikulationskontakte sollten in der Anfangsphase vermieden werden. Diese Methode ergab über einen mehrjährigen Beobachtungszeitraum eine Erfolgsquote von 86 Prozent.
Prof. Dr. Dr. Johannes Schubert, Halle, referierte einerseits über die präventiven, zahnerhaltenden chirurgischen Maßnahmen, wie die Wurzelspitzenresektion (WSR) und parodontalchirurgische Eingriffe, andererseits über chirurgische Möglichkeiten zum Lückenschluss. Am verbreitetsten ist die Wurzelspitzenresektion, die ihren Stellenwert seit ihrer Erstbeschreibung durch Partsch im Jahre 1898 unbestritten beibehielt. Neue Füllungsmaterialien, die Knochendeckelmethode, der Einsatz von Ultraschallpräparation, Lupenbrille und OP-Mikroskop bieten neue Möglichkeiten, beeinflussten die Erfolgsquote jedoch nicht entscheidend. Dennoch erlaubt die WSR die sichere Entfernung eines Krankheitsprozesses in kurzer Behandlungszeit.
Seiner Meinung nach werden parodontalchirurgische Eingriffe, wie Hemisektionen und Wurzelamputationen, sehr selten, zum Beispiel zum Erhalt eines Antagonisten, durchgeführt. Unter den chirurgischen Möglichkeiten zur Versorgung einer bestehenden Lücke nannte er neben der Transplantation von Zahnkeimen die Implantologie einschließlich augmentativer Maßnahmen. Der in den vergangenen zehn Jahren deutlich weiterentwickelten Methodik wird heute eine Erfolgswahrscheinlichkeit von über 90 Prozent zugesagt, die einer Erfolgsquote von 70 bis 90 Prozent der oben genannten Eingriffe gegenübersteht.
Lückenmanagement in der Kieferorthopädie
Prof. Dr. Gerhard Sterzik, Halle, ging auf das Thema „Zahnunterzahl – eine interdisziplinäre Aufgabe aus kieferorthopädischer Sicht“ ein. Er unterschied die Zahnunterzahl, bedingt durch heriditäre Faktoren, zunächst in Hypodontie, Oligodontie und Anodontie. Weiterhin beschrieb er scheinbare Zahnunterzahlen, zum Beispiel nach traumatischem Zahnverlust oder Zahnretentionen. Eine Anodontie, so betonte der Referent, ist ein äußerst seltenes Ereignis.
Nichtanlagen haben, so der Referent, eine Häufigkeit von sechs bis neun Prozent der Gesamtbevölkerung. Außerdem treten sie viermal häufiger auf als eine Hyperdontie. Die Therapieentscheidung bei vorhandenen Lücken im Zahnbogen geht in zwei grundsätzlich getrennte Richtungen: Lückenschluss oder Offenhalten zur späteren prothetischen Versorgung. Beide Varianten sollten im Fachkollegium sowie mit dem Patienten und dessen Eltern individuell erörtert werden. Bei der Retention oberer Eckzähne sollte die größte Anstrengung zum Erhalt der vor allem prothetisch wichtigen Eckzähne unternommen werden. Hier erhält die operative Freilegung mit nachfolgender Einordnung des Eckzahnes die oberste Priorität.
Implantatprothetische Gesichtspunkte
Prof. Dr. Karl-Ernst Dette, Halle, sprach über „Die Funktionssicherheit von Verbindungselementen für herausnehmbare Teilprothesen“.
Obwohl in Deutschland hochwertige Verbindungselemente, beispielsweise Teleskope, bevorzugt und in großer Zahl eingesetzt werden, mahnt er, deren Erfolgsstatistik kritisch zu überprüfen. Umfangreiche Longitudinalstudien zeigten interessante Analysen im Vergleich zwischen Modellguss und Teleskopprothesen. So haben Teleskopprothesen zwar eine erhöhte Überlebensrate, aber die Zahl von Korrekturen und Reparaturen, die an ihnen im gleichen Zeitraum vorgenommen werden musste, sei deutlich größer. Wenn die Ästhetikansprüche es gestatten, ist seiner Meinung nach die gegossene Klammer eine sichere und kostengünstige Lösung.
Für den strategischen, konsequenten nutzenorientierten Einsatz des Therapiemittels Implantat plädierte Prof. Dr. Jürgen Setz, Halle, in seinem Vortrag „Implantatgetragene Rekonstruktionen im Lückengebiss“. In einem Stufenmodell vom Verlust einzelner Zähne über Kronen und Brücken zu Teilprothesen bis hin zum totalen Zahnverlust sollte seiner Meinung nach das Implantat immer dann angewendet werden, wenn es den Patienten vor dem Abstieg vor eine niedrigere Stufe bewahre.
Er wies darauf hin, dass im Falle einer implantatgetragenen Versorgung das Gebiss stets als komplexe Einheit betrachtet werden muss. Risiken, parodontale Probleme, aber auch die mögliche Schonung von Nachbarzähnen und nicht zuletzt finanzielle Aspekte spielen bei der Behandlungsplanung mit Implantaten eine wichtige Rolle.
Prof. Dr. Heiner Weber, Tübingen, stellte das breite Spektrum prothetischer Versorgungsmöglichkeiten mit konventionellen und modernen Methoden dar. Er wies darauf hin, dass die konventionelle Kronen-, Brücken- und Geschiebeprothetik durch die modernen Methoden der Adhäsivtechnik und Implantologie mit ihren Entwicklungen starke Konkurrenz erfährt. Er mahnte, angesichts des breiten Spektrums von umfangreicher Nichtbehandlung bis hin zur umfangreichen Luxusbehandlung immer wieder neu zu hinterfragen, in welchen Fällen Zahnersatz tatsächlich notwendig sei.
OA Dr. Christian Gernhardt et al.Martin-Luther-Universität Halle-WittenbergUniversitätspoliklinik für Zahnerhaltungskundeund ParodontologieGroße Steinstraße 1906108 Halle