Neugierde und Ehrlichkeit – Zahnmedizin in Bewegung
Die Akademie für zahnärztliche Fortbildung hatte zur 17. Karlsruher Konferenz eingeladen, und mehr als 400 niedergelassene Kolleginnen und Kollegen aus dem In- und Ausland folgten diesem Ruf.
„Die Zahnärzte sind erwachsen geworden. Und Zahnärzte sind Experten geworden“, so der Direktor der Zahnärztlichen Akademie in seiner Eingangsrede. Hierbei ist vor allem die gegenseitige Kommunikation wichtig. Ebenso entscheidend ist es, sich selbst in der Praxis, im Praxisalltag zu beobachten und das eigene Handeln ständig kritisch zu hinterfragen. Denn, so Heners, wenn es nicht gelingt, die Zahnmedizin auf eine wissenschaftliche Basis zu stellen, wird sie ein Traum bleiben. Und der Traum hört spätestens beim Patienten auf.
Aber dass das nicht geschieht, war sicherlich der Anlass, dass so viele Teilnehmer an dem Thema der diesjährigen Konferenz, „Bakterien – Gäste und Gegner in der Mundhöhle“, teilhaben wollten.
Professor Heners verdeutlichte dem Auditorium, dass die Wissenschaft über das Parodontium auf der Suche nach dem Schlüssel zur Parodontologie zu sein scheint. Es gibt zwar viele neue Erkenntnisse, die in den letzten Jahren zu diesem Thema veröffentlicht wurden, doch leider fehlt bisher der „verbindende Geist“ (Goethe), der alles zu einem Ganzen fügt. Das Ausmaß der Ratlosigkeit, so Heners, nimmt von Jahr zu Jahr zu.
Diese Direktheit, diese Ehrlichkeit des Leiters der international renommierten Akademie Karlsruhe, der sich nicht nur der Wissenschaft, sondern vor allem der niedergelassenen Kollegenschaft verpflichtet fühlt, macht auch das Besondere dieser Akademie aus. Viele Gespräche mit Kongressteilnehmern bestätigen diese Einschätzung: Ehrlichkeit als wichtigstes Prinzip zahnmedizinischen Fortschritts.
Prof. Dr. Dr. Ulf Berthold Göbel, RKI, Berlin, referierte über die Parodontitis als chronische bakterielle Mischinfektion mit ihren über 500 verschiedenen Arten. Seine eigene Begeisterung für das Thema motivierte die Zuhörer. Man spürte gerade die Neugierde des Wissenschaftlers, den Dingen auf den Grund zu gehen. Aber Göbel machte auch deutlich, dass er starke Zweifel habe, ob wirklich ein spezifischer Keim für die aggressive oder chronische Parodontitis verantwortlich ist, und ob es je einen Prädiktor für Zahngesundheit geben würde.
So fragte er sich: „Wie spezifisch ist die unspezifische Abwehr, die natürliche Immunität? Gibt es Leitkeime oder Bakterien, die mit Gesundheit assoziiert werden?“ Es geht letztendlich darum, so Göbel, „die Auseinandersetzung zwischen Wirt und Zellen zu verstehen“(Josua Lederberg). Ein Vorzeigedozent in unserer medial geprägten Welt, der nicht bereit ist, Vermutungen zu äußern, sondern allein gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnissen vertraut. Seine Ausführungen machten der Tradition des Robert-Koch-Instituts aller Ehre.
Zähne sind physiologische Kriegsschauplätze
Professor Dr. Winfried Walther, Karlsruhe, ergänzte dies, indem er aufzeigte, dass „Bakterien – als Kriegsgegner“ unser Bild in der Zahnmedizin seit der wilhelminischen Ära geprägt haben: „Wir haben bisher immer nach dem Bösen geschaut, und wir sollten endlich verstärkt nach dem „Guten“ schauen!“, so Winfried Walther.
Die Frage stand im Raum, ob es denn wirklich in der Zahnmedizin nur darum gehen könne, das anscheinend „Böse“ zu eliminieren, egal welche Verluste dabei entstehen. Oder geht es nicht eher darum, das „Gute“ zu stärken, damit das „Böse“ seinen negativen Einfluss verliert? Dies alles klingt fast etwas politisch. Aber warum sollte das Denken in der Wissenschaft nicht auch von solchen Denkmustern beeinflusst worden sein und immer noch bestimmt werden!
Prof. Dr. Ulrich Schlagenhauf, Würzburg, beschrieb in seinen Ausführungen den Zahn als einen physiologischen und psychologischen Kriegsschauplatz. Seine provokante Frage an die versammelte Exper- tenschaft lautete: „Wird nur ein schlechter oder nicht geputzter Zahn krank? Sind nur plaquefreie Zähne gesunde Zähne?“
Seine weiteren Ausführungen machten deutlich, dass es hierfür keine eindeutige Antwort geben kann. Möglicherweise sollte nicht die Eliminierung von Bakterien angestrebt werden, sondern nur deren Wachstumshemmung. Scheinbar sichere Erkenntnisse gerieten durch Schlagenhaufs Erkenntnisse ins Wanken. Zahnseide allein könnte sogar kontraproduktiv sein. „Zahnseide entfernt keine Bakterien, sondern verteilt sie nur“, wie der Referent postulierte. Erst in Zusammenwirken mit einer Chlorhexidinspülung könne eine gute Wirkung erzielt werden. Auch das Zähneputzen an sich sei nicht als positiv zu werten, zumal in der Regel nur leicht zu entfernende Zahnbeläge (90 Prozent) erreicht werden, und die Bakterien Streptokokkus mutans (acht Prozent) sich danach umso ungestörter ausbreiten können (von acht Prozent auf 30 Prozent). Allein der Fluoridkontakt, wie durch die tägliche Anwendung einer fluoridierten Zahncreme (er sollte zwei Mal täglich mindestens drei Minuten betragen), führt zu einer erheblichen Besserung einer Karieserkrankung und lässt eine kalziumfluoridhaltige Deckschicht entstehen.
Karies ist keine Mangelerscheinung
Doch wie Studien von Prof. Schlagenhauf auf der Schwäbischen Alb zeigen, ist Karies keine Fluorid-Mangel-Erkrankung. Denn die extensive Gruppen-Prophylaxe in Schweden und Finnland brachte keine signikant besseren Ergebnisse als in der schwäbischen Region, wo es ein solches Programm nicht gibt. Das ließ, so der Referent, die Skandinavier sehr nachdenklich werden.
Dr. Christof Dörfer, Heidelberg, ging auf das differenzierte Ökosystem in der Mundhöhle mit seinen ausgeprägten Schutzmechanismen ein. Er äußerte sich kritisch zu dem Positionspapier der AAP (USA 1998), welches die Auswirkungen einer Parodontal-Erkrankung auf zahlreiche Allgemeinerkrankungen apostrophierte (Bakteriämie, Endokarditis, koronare Herzerkrankungen, Schlaganfall, Lungenerkrankungen, Schwangerschaft, Diabetis mellitus und mehr). Er warnte vor eiligen Therapieplanungen, da eigentlich jede dieser Studien angreifbar sei. Das einzige, was als gesichert anzusehen ist, sei, dass sich bei Taschen mit mehr als 4,5 Millimetern Tiefe das Risiko bestimmter Allgemeinerkrankungen um den Faktor 2,5 und mehr erhöht.
Abschließend referierte Prof. Dr. Leif Tronstad, Oslo, zu seinem Spezialgebiet „die Wurzelkanäle“. Der Referent zeigte mittels neuester Forschungsergebnisse auf, dass in einem entzündeten Wurzelkanal weit mehr verschiedene Bakterien anzutreffen sind, als bisher vermutet. Wurzelkanäle müsse man, so Tronstad, spezifisch behandeln und die Bakterien mit hochwirksamen „small and effectiv drugs“ lokal bekämpfen.
Praxisorientiert fortbilden
Jetzt war das gesamte Auditorium wieder dort, wo auch die Wissenschaft sich nach der Überzeugung von Prof. Heners immer wieder hinbegeben sollte: in die Praxis des niedergelassenen Kollegen. Denn dort wird die eigentliche Zahnmedizin am Patienten praktiziert, und dort muss sich wissenschaftliche Erkenntnis immer erst bewähren.
Doch was macht die Zahnärztliche Akademie Karlsruhe so besonderes, was zeichnet sie aus? Prof. Tronstad, international erfahrener Wissenschaftler und diesjähriger Walther-Engel-Preisträger, brachte es auf den Punkt, als er sagte: „Diese Akademie ist für mich weltweit etwas ganz Besonderes. Es ist nicht nur die familiäre Atmosphäre, der enge Kontakt mit den niedergelassenen Kollegen, die voll beruflich im Leben stehen, und deren Offenheit und regen wissenschaftlichen Interesses er schätzt. Diese Akademie hat ein Behandlungskonzept, mit dem es sich auseinanderzusetzen lohnt. Sie ist ein besonderer Ort der Neugierde und der Ehrlichkeit. Aber im Mittelpunkt steht immer die gemeinsame Suche nach Perfektion zum Wohle des Patienten. Dies war auch in diesem Jahr wieder geschehen.
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