Ein seltenes Krankheitsbild

Cherubismus – Krankheitsbild und Therapie

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In einer Kasuistik wird der Krankheitsverlauf und Therapie einer Patientin mit einer periorbitalen Manifestation des Cherubismus beschrieben. Dieses Krankheitsbild ist äußerst selten, aber sicherlich als Falldarstellung auch für den niedergelassenen Zahnarzt von großem Interesse.

Namensgebung und Erscheinungsbild

Cherubismus ist eine seltene, nichtneoplastische Erkrankung, deren klinisches Charakteristikum in einer schmerzlosen, symmetrischen Schwellung der unteren Gesichtshälfte besteht. Jungen erkranken doppelt so häufig wie Mädchen [22]. Es liegt ein autosomal-dominanter Vererbungsmodus vor [38]. Die Penetranz liegt bei 80 Prozent, die Expressivität ist dabei variabel [28]. Als beim Cherubismus betroffener Genort konnte das Chromosom 4p16.3 identifiziert werden [34,24,25]. Es liegen jedoch auch einige Fallberichte zu an Cherubismus erkrankten Kindern vor, bei denen keine familiäre Häufung nachweisbar war [9,19,29]. Durch die vollen Wangen und den aufwärts gerichteten Blick betroffener Kinder an Darstellungen von Engeln in der Renaissance erinnernd, führte ihr Erstbeschreiber Jones 1933 den Namen Cherubismus für die beobachtete Symptomatik ein [15,38]. Betroffene Kinder sind bei Geburt symptomfrei. Die Krankheit beginnt im zweiten bis siebenten Lebensjahr mit einer beidseitigen Vergrößerung der Mandibula, insbesondere im Bereich der Kieferwinkel [12,22]. Uneinheitlich sind die Literaturangaben zur Häufigkeit der Maxillabeteiligung, sie schwanken zwischen 20 und 60 Prozent [32,38,39].

Klinik

Klinisch verläuft die schmerzlose Erkrankung bis zur Pubertät progredient, limitiert sich dann jedoch selbst, wie radiologisch kontrollierte Verläufe zeigen konnten [19,40]. Spontanheilungen mit Rückbildung der Knochenveränderungen sind möglich [33]. Der Gesichtsschädel vergrößert sich im Krankheitsverlauf mit Betonung der unteren Gesichtspartien, bedingt durch die für den Cherubismus typische, symetrische Auftreibung der Mandibula oder des Mittelgesichtes. Durch Auflagerungen am Alveolarfortsatz im Oberkiefer kommt es zu umgekehrt V-förmigen Gaumenveränderungen [20]. Es kann zur verspäteten Dentition, zu Zahnwurzelresorptionen, Zahnfehlstellungen und Zahnverlust kommen [21,40]. Die Ursache für häufig retinierte und verlagerte Zähne bei Patienten mit Cherubismus besteht im Ersatz des Knochens durch fibröses Bindegewebe. Vermehrtes Auftreten von Okklusionsfehlstellungen sind die Folge. [4,13,23,26,27]. Beeinträchtigungen des periorbitalen Skeletts treten kasuistisch auf [3]. In Einzelfällen ist eine Beteiligung von Knochen außerhalb des Gesichtsskeletts beschrieben worden. Wayman berichtet über eine 17-jährige Patientin mit Rippen-Läsionen im Sinne der Erkrankung [37]. Gelegentlich wird eine Lymphadenopathie der Halslymphknoten beschrieben [16].

Radiologische Zeichen

Radiologisch entsprechen den klinisch imponierenden Knochenveränderungen gut abgrenzbare multilokuläre, zystische Areale verminderter Röntgendichte mit einem vermehrten Gehalt an Knochensepten unregelmäßiger Struktur [18,31] (Abbildung 1). In Übereinstimmung mit dem klinischen Befund finden sich die multizystischen Degenerationen hauptsächlich in den Molarregionen des Unterkiefers, im aufsteigenden Kieferast und gelegentlich im Oberkiefer (Abbildungen 2a und 2b). Eine Weichteilbeteiligung besteht nicht [32,38]. Szintigrafisch können beim klinisch manifesten Cherubismus keine pathologischen Veränderungen gesehen werden [35].

Histologische Merkmale

Die histologische Untersuchung zeigt nicht-neoplastische, fibrotische Läsionen, die zahlreiche multinukleäre Riesenzellen enthalten [14,31]. Southgate et al. konnten in In-vitro-Studien mit Gewebe, das sie aus den Läsionen gewannen, osteoklastische Aktivität der multinukleären Riesenzellen nachweisen. Die Riesenzellen exprimierten den Vitronectin-Rezeptor und synthetisierten die tartrat-resistente saure Phosphatase; beides sind Eigenschaften von Osteoklasten [31]. Das Stroma von Cherubismus-Läsionen ist fibrotisch verändert und zeigt vermehrt Fibroblasten [22]. Zysten können enthalten sein. Kapillaren im Stroma weisen verlängerte Endothelzellen auf [34]. Im peripheren Bereich des fibrösen Stromas werden gehäuft Osteoid und neugebildete Knochengrundsubstanz gefunden. Perivaskulär ist in den betroffenen Arealen eine vermehrte Kollagendeposition beschrieben worden [10]. Die biochemischen Marker und Hormone des Knochenstoffwechsels, wie Serumkalzium, Serumphosphat, alkalische Phosphatase, TSH, LH, T3, T4 und Kortikosteroide, befinden sich beim Cherubismus im altersentsprechenden Normbereich [19,21,35, 22].

Zytogenetische Analysen

Zytogenetische Studien zur Differenzierung einzelner, beim Cherubismus involvierter Gene am Genort 4p16.3 zeigten bei einigen Patienten mit Cherubismus eine Mutation des Gens für den Fibroblast Growth Factor Receptor 3 (FGF-RIII) [25]. Mutationen auf diesem Gen sind an Störungen der Knochenentwicklung, wie nicht-syndromale Kraniosynostosen, Achondroplasie und Hypochondroplasie, beteiligt [1,2]. Im Gegensatz zu den Beobachtungen von Mangion et al. fanden Stiller et al. in einer neueren Untersuchung eines koinzidenten Falles von Cherubismus und Kraniosynostose keine Mutation des FGF-RIII-Gens [32]. Zu den bisher bekannten hereditären Formen des Cherubismus wird heute außerdem eine nicht hereditäre Form vermutet. Darauf weisen mehrere Fallberichte über Cherubismus ohne familiäre Häufung hin [7].

Differenzialdiagnose

Differenzialdiagnostisch kommen Riesenzelltumore der Knochen, zentrale Riesenzellgranulome, braune Tumore beim Hyperparathyreoidismus, fibröse Dysplasie sowie aneurysmatische Knochenzysten in Betracht [13,19,31,40]. Die histopathologischen Merkmale beim Cherubismus entsprechen denen des Riesenzellgranuloms. Das zentrale Riesenzellgranulom betrifft hauptsächlich Patienten zwischen dem zehnten und dem 30. Lebensjahr und ist meist unilateral im Bereich der vorderen Mandibula lokalisiert, während beim Cherubismus symetrische Läsionen gefunden werden [19]. Der Riesenzelltumor der Knochen tritt gewöhnlich im Alter zwischen 20 und 40 Jahren auf. Manifestationen im Ober- und Unterkiefer sind dabei selten [40]. Die mit Hyperparathyreoidismus assoziierten braunen Tumoren zeigen im Gegensatz zum Cherubismus selten einen isolierten Kieferbefall. Im Serum an Hyperparathyreoidismus erkrankter Patienten werden typischerweise pathologisch erhöhte Parathormon- und Kalziumspiegel gefunden [31,40]. Das Erscheinungsbild der fibrösen Dysplasie ist histologisch von c-förmigen Knochenfragmenten in fibrotischem Stroma geprägt [31]. Aneurysmatische Knochenzysten können Riesenzellen aufweisen, das hauptsächliche Charakteristikum sind jedoch Hohlräume, die nicht von Endothel ausgekleidet sind.

Therapie

Ein Therapiestandard für Cherubismus existiert nicht. Spontanheilungen werden beobachtet [17]. Deren Häufigkeit ist jedoch nicht bekannt, da die Mehrzahl der in der Literatur beschriebenen Patienten chirurgisch behandelt wurden, bevor sie die Pubertät erreichten [30]. Jones empfahl als erster 1950 die Extraktion von Zähnen innerhalb der Läsionen, gefolgt von einer Kürettage, als effiziente Therapie [16]. Nach Hamner und Ketcham werden seit 1969 vier Säulen in der Therapie des Cherubismus unterschieden:

1. Zuwarten unter Annahme einer spontanen Stabilisierung und spontaner Remission der cherubischen Läsionen,

2.Zahnextraktion aus den fibrös umgebauten Kieferanteilen,

3. Osteoplastik der betroffenen Kiefer,

4. Kürettage der cherubischen Läsionen [10].

Experimentell wurde in Therapiestudien Kalzitonin zur Behandlung des Cherubismus eingesetzt. Damit konnte im Tierexperiment eine Hemmung der Knochenresorption erzielt werden [12,36]. Auch an Cherubismus erkrankte Kinder wurden nach Harris et al. erfolgreich mit Kalzitonin therapiert [11]. Davis empfahl die Kürettage betroffener Kieferareale sowie eine längstmögliche Zahnerhaltung [6]. In Fällen von Cherubismus, die mit fettiger Degeneration der betroffenen Knochenanteile einhergingen, konnte durch Liposuktion erfolgreich therapiert werden [8]. Riefkohl et al. sahen eine Remission mehrerer Fälle von Cherubismus bei Patienten im Teenager-Alter nach Kürettage der Läsionen [30]. Durch vollständige Resektion der fibrös umgewandelten Anteile konnten Zachariades et al. im Unterkiefer, nicht jedoch im Oberkiefer, dauerhafte Rezidivfreiheit erreichen [40]. Die therapeutische Bestrahlung wurde wegen des Risikos einer Osteoradionekrose, verzögerter fazialer Skelettentwicklung und Erschwerung einer späteren möglicherweise erforderlichen chirurgischen Therapie verlassen [28,5].

Kasuistik

Bei einer 27-jährigen, an Cherubismus erkrankten Patientin bestand eine progrediente, lateround infraorbitale Verdrängung beider Bulbi nach kranial und nasal (Abbildung 3a). Die Anamnese ergab eine im Alter von neun Jahren aufgetretene Raumforderung mit Konturveränderung im Unterkiefer. Zu diesem Zeitpunkt erfolgte die Diagnostik mit histologischer Sicherung eines Cherubismus. Ein Jahr später wurde die Extraktion von vier teilweise resorbierten Zähnen im Unterkiefer notwendig, während sich die Raumforderungen im Unterkiefer im zeitlichen Verlauf zurückbildeten. Im Alter von 27 Jahren imponierte erstmals die knöcherne Auftreibung der Jochbeinmassive beidseits. Außer Motilitätsstörungen der Bulbi durch Funktionseinschränkungen des M. obliquus inferior beidseits bestanden keine weiteren klinischen Beschwerden.

Röntgenologisch zeigten sich in der Panoramaschichtaufnahme des Unterkiefers multizystische Läsionen (Abbildung 4). In der Computertomographie des Kopfes mit koronarer Schichtung (Abbildung 5a) kamen bilateral hypodense Raumforderungen der latero- und infraorbitalen Region der Jochbeine bis in den lateralen Anteil des Orbitabodens zur Darstellung (Abbildung 5a).

Histologisch entsprach das im Rahmen einer Exzisionsbiopsie entnommene Gewebe einem reparativen Riesenzellgranulom mit mehrzelligen osteoklastenartigen Riesenzellen und fibroblastoiden Zellproliferationen (Abbildung 6). Kernatypien waren nicht nachweisbar. Ein Anhalt für Malignität bestand nicht.

In zwei Eingriffen wurde zunächst eine Reduktion der knöchernen Auftreibungen des rechten Jochbeins durch eine modellierende Osteotomie vorgenommen (Abbildungen 7a und 7b). Mittels einer PDS-Folie wurde der laterale Anteil des Orbitabodens wieder rekonstruiert. Fünf Monate später erfolgte die Operation des linken Jochbeins in analoger Art und Weise. Der postoperative Heilungsverlauf gestaltete sich unauffällig. Die während der Kindheit bestehenden Läsionen im Unterkiefer sistierten (Abbildungen 3b und 5b).

Zusammenfassung

Der autosomal-dominant vererbte Cherubismus ist eine Erkrankung des Kindesalters mit Bevorzugung des männlichen Geschlechtes. Ursächlich sind Mutationen des Genort 4p16.3 oder des Gens SH3BP2. Bei einigen Fällen wurde eine Mutation des Gens für FGF-RIII (Fibroblast Growth Factor Receptor 3) nachgewiesen. Das klinische Bild des Cherubismus ist geprägt von schmerzlosen, symetrischen Auftreibungen der Mandibula und polyzystischer Destruktion der Knochenstruktur im Unterkiefer. Komplikationen stellen verspätete Dentition, Zahnwurzelresorptionen, Zahnfehlstellungen und retinierte Zähne dar. Die Krankheit limitiert sich gegen Ende der Pubertät selbst. Spontanheilungen werden beobachtet. Histologisch werden mehrkernige Riesenzellen mit osteoklastischer Aktivität in fibrösem Stroma, einem Riesenzellgranulom entsprechend, gefunden. Einigkeit besteht über eine zurückhaltende Indikationsstellung zur chirurgischen Intervention.

In einer Kasuistik wird der Krankheitsverlauf und Therapie einer Patientin mit einer periorbitalen Manifestation des Cherubismus beschrieben. Durch die lateroorbitale Auftreibung der Jochbeine resultierte eine Verdrängung des Orbitainhaltes mit resultierenden Motilitätsstörungen des Bulbus. Durch eine Reduktion des erkrankten Hartgewebes und eine modellierende Osteotomie wurde die Motilitätsstörung beseitigt und anatomisch regelrecht rekonstruiert.

Priv.-Doz. Dr. Dr. Stefan Schultze-MosgauKlinik und Poliklinik fürMund-, Kiefer-, GesichtschirurgieFriedrich-Alexander UniversitätErlangen-NürnbergGlückstrasse 11,91054 ErlangenE-Mail:stefan.schultze-mosgau@mkg.imed.uni-erlangen.de

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