Des einen Leid ist des anderen Leid

„Heller Wahnsinn“, „ein schlechter Witz“, „ein Schlag ins Gesicht der niedergelassenen Ärzte“ – über die Reaktionen auf ihr jüngst vorgestelltes Kostendämpfungs-Gesetz darf und wird Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt sich wohl kaum wundern. Ihr stünde ein „heißer Herbst“ bevor, so titeln die Publikumsmedien nicht ganz jahreszeitengemäß. Und die Deutsche Presse-Agentur ergänzt: „Die Lobbyverbände werden mit aller Macht versuchen, die Sparpläne zu Fall zu bringen.“ Damit sind zwar zunächst die Vertretungen und Zusammenschlüsse der Heilberufler gemeint – doch auch die Patienten hätten einigen Grund, sich gegen das Vorschaltgesetz auszusprechen. Denn Gewinn und Nutzen bringt dieses zunächst nur einem dritten Akteur im Gesundheitswesen: den Gesetzlichen Krankenkassen.  

Um mehr als drei Milliarden Euro sollen die Kassen im kommenden Jahr entlastet werden. Dabei setzt Ulla Schmidt auf verschiedene Maßnahmen. So sollen Pharmafirmen und Arzneihandel den Kassen Rabatte in Höhe von 1,4 Milliarden Euro gewähren. Der Wechsel in die Private Krankenversicherung soll mit einer angehobenen Pflichtversicherungsgrenze deutlich erschwert werden. Kern der Sparaktion ist aber die geplante Nullrunde für Ärzte, Zahnärzte und Krankenhäuser, deren Ausgabenbudgets auf dem Stand von 2002 eingefroren werden sollen.  

Von den Kassen selbst wird indes verlangt, dass sie ihre Beiträge nicht weiter erhöhen. Was irgendwie einleuchtet, liegt hierin doch auch der tiefere Sinn der ganzen Sparaktion – der „drohende Anstieg“ der Beiträge soll „abgebremst“ werden, gleichzeitig sollen die GKV-Ausgaben von 2003 nicht höher liegen als 2002. Einsparungen seitens der Kassen selbst, etwa im Verwaltungsbereich, werden von Schmidts Eilgesetz nicht explizit gefordert. Doch kündigte die Ministerin bereits an, dass sie sich eine drastische Reduzierung der Anzahl von Gesetzlichen Krankenkassen wünscht – „370 Kassen brauchen wir nicht“, 50 würden allemal reichen. Im Falle eines Falles, so die Ministerin weiter, sollen sogar Betriebskrankenkassen mit der AOK fusionieren können.  

Die Ärzteverbände reagieren unisono mit harter Kritik auf das Vorschaltgesetz. Bundesärztekammer- Präsident Dr. Jörg-Dietrich Hoppe fürchtet, dass die Nullrunde „zum Ausverkauf unseres Gesundheitswesens“ führt. Dr. Manfred Richter-Reichhelm, Vorsitzender der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, nimmt an, dass „die Jobmaschine Gesundheitswesen mit 4,2 Millionen Beschäftigten abgewürgt wird“ – und das, weil den Heilberufen seitens der Politik nicht die gleiche Bedeutung beigemessen würde „wie beispielsweise der Automobilindustrie“. Dr. Frank Ulrich Montgomery, Vorsitzender des Marburger Bundes, sieht durch die Sparverordnungen die Patienten stärker getroffen als die Ärzte. In Bezug auf das Vorschaltgesetz ist des einen Leid nicht wirklich des anderen Freud. So sieht es auch die Bundeszahnärztekammer (BZÄK), die das Vorschaltgesetz nahezu als ein „Notstandsgesetz“ betrachtet. BZÄK-Präsident Dr. Dr. Jürgen Weitkamp befürchtet, dass Patienten und Heilberufe gleichermaßen getroffen werden, „weil die ökonomische Notwendigkeit zur Kompensation auf beider Rücken ausgetragen wird“. Leistungen, die betriebswirtschaftlich nicht mehr zu erbringen seien, würden künftig nicht mehr erbracht – gerade bei komplizierten und zeitaufwändigen Behandlungen werde sich das Niveau merklich verschlechtern. Eine Situation, die auch für Dr. Rolf-Jürgen Löffler, Vorsitzender der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung, nicht akzeptabel ist: „Die Versicherten und die Leistungsträger haben ein Recht auf ein zukunftsweisendes Konzept, anstatt immer wieder mit neuen Horrorszenarien konfrontiert zu werden.“ (Siehe auch Leitartikel auf Seite 4.)  

„Ärztefeindlich“ bedeutet „patientenfeindlich“ – so der Tenor der kollektiven Kritik an Ulla Schmidts Plänen. So würde die flächendeckende Einführung von Disease Management Programmen unmöglich gemacht, wie KBV-Chef Richter-Reichhelm erklärt. Eine „drastische Verschlechterung“ der medizinischen Versorgung befürchtet Ärzte- Präsident Hoppe.  

Eine Kritik, die Ulla Schmidt nicht zulassen will. Die Versicherten sollen nicht die Leidtragenden ihrer Sparpläne sein, jeder müsse „auch in Zukunft bekommen, was medizinisch notwendig ist“. Unterstützung bekommt Schmidt nicht nur vom Sozialverband Deutschland, der Ärzte und Kliniken bereits gewarnt hat, die Nullrunde „zum Vorwand für eine schlechtere medizinische Versorgung der Patienten zu nehmen“. Auch Bundeskanzler Gerhard Schröder stellt sich schützend vor seine Ministerin: Die Kritik der Ärzte und Zahnärzte bezeichnete er bei einem SPD-Landesparteitag in Essen als „Gejammere“.  

Ihr Vorschaltgesetz, so Ulla Schmidt in Richtung Opposition, würde anders als frühere Seehofer-Eilverordnungen „nicht die Versicherten heranziehen“. Es ginge lediglich darum, sich durch die Einsparungen ein wenig „Luft“ zu verschaffen. Auf ein Neues stellt Schmidt weit reichende strukturelle Verbesserungen für das Gesundheitswesen in Aussicht. „Wir werden das kommende Jahr nutzen, um die große Reform vorzubereiten.“ Anfang 2004 soll sie in Kraft treten. Wenn der Ministerin nicht vorher die Luft ausgeht.

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