Zu Lasten der Renten
Das höchste Gericht hat das erwartete Urteil gefällt. Bis Ende 2004 bleibt noch alles wie bisher. Rentner werden nicht rückwirkend höher belastet oder Pensionäre rückwirkend besser gestellt. Langfristig aber werden Beitragszahler steuerlich entlastet, Rentner – auch die über die Versorgungswerke abgesicherten Freiberufler – dagegen höher belastet. Schon zweimal (1980 und 1992) hatte das BVG den Gesetzgeber dazu angehalten, für die steuerliche Gleichbehandlung von Renten und Pensionen zu sorgen. Jetzt muss der Gesetzgeber handeln. Ihm bleibt nur die Möglichkeit, schrittweise zur nachgelagerten Besteuerung überzugehen. Das bedeutet, dass langfristig Beiträge zur Altersvorsorge steuerfrei gestellt, Renten aber voll besteuert werden.
Der Senat sagt nur, dass der Gesetzgeber sich für ein Lösungsmodell entscheiden und dieses dann folgerichtig ausgestalten müsse. Die heutige Besteuerung der Sozialrenten mit dem Ertragsanteil (27 Prozent bei Rentenbeginn im Alter 65) hält das Gericht nicht mehr für vertretbar. Der Gesetzgeber wird sich nicht darauf beschränken können, die Ertragsanteile anzuheben. Er muss bei der Neuregelung der Besteuerung von Beiträgen und Renten darauf achten, dass Einkommensteile nicht doppelt steuerlich belastet werden.
Das ist die wichtigste Vorgabe des Senats. Diese wird aber in ihrer Bedeutung durch den Hinweis gemindert, dass dem Gesetzgeber ein weiter Gestaltungsspielraum zusteht. Bei der Ordnung von Massenerscheinungen sei er berechtigt, generalisierende, typisierende und pauschalierende Regelungen zu treffen, auch wenn damit Härten verbunden seien, sagt der Senat.
Entscheidend kommt es darauf an, ob und in welchem Ausmaß Rentenanwartschaften aus versteuertem oder unversteuerten Einkommen angespart worden sind. Da gibt es große Unterschiede zwischen Arbeitnehmern, Selbständigen und jenen Angestellten, die sich 1967 von der Versicherungspflicht befreien ließen und weiterhin freiwillige Beiträge zahlten. Arbeitnehmern fließt der Arbeitgeberanteil steuerfrei zu; ein Teil ihres Beitrags wird durch den begrenzten Abzug als Sonderausgaben steuerfrei gestellt. Fachleute belegen, dass die Beiträge der Arbeitnehmer zu 65 Prozent und mehr aus unversteuerten Einkommen aufgebracht werden. Selbstständige, die keinen Arbeitgeberanteil erhalten, bezahlen erheblich mehr als Arbeitnehmer aus versteuertem Einkommen. Das gilt auch für die Gruppe der „befreiten“ Angestellten, die sich mit freiwilligen Beiträgen aus versteuertem Einkommen eine Zusatzrente verschafft haben. Für diese drei Gruppen kann es nur eine abgestufte Steuerpflicht geben.
Zur Diskussion steht ein Modell, nach dem ab 2005 etwa 65 bis 70 Prozent des Rentenbetrages in die Besteuerung einbezogen werden. Das erscheint als ein erheblicher Belastungssprung, auch wenn Rentner und Pensionäre danach einen gleich hohen Freibetrag erhielten. Die Mehrzahl der Rentner bliebe zwar steuerfrei, Rentner mit mittleren und höheren Einkommen würden jedoch zusätzlich belastet. Die Regelung wäre allenfalls dann zu vertreten, wenn die Prozentsätze für Selbstständige und damit auch für selbstständig arbeitende Freiberufler deutlich niedriger festgelegt würden. Dazu hat der Senat nichts gesagt. Nach dem Modell sollen die Beiträge in einem ersten Schritt zu 65 Prozent von der Steuer befreit werden. In einer Übergangszeit von etwa 35 Jahren müssten die Beiträge dann schrittweise bis zu 100 Prozent von der Steuer freigestellt und die Renten steuerlich voll erfasst werden.
Der Senat hat aus steuersystematischer Sicht richtig entschieden. Dennoch bleibt ein Unbehagen. Wieder werden jene belastet, die besser vorgesorgt haben. Renten und Pensionen werden trotz erheblicher Unterschiede in einen Topf geworfen. In anderen Entscheidungen haben die Karlsruher Richter dagegen argumentiert, dass es sich bei der Beamtenversorgung um ein mit anderen Sicherungseinrichtungen nicht vergleichbares System handele. Die Einkommensanrechnung auf Hinterbliebenenrenten ist ein Beispiel dafür. Das Gericht rechnet den Rentnern den Bundeszuschuss an die Rentenversicherung zu; doch dieser deckt heute fast nur deren versicherungsfremde Leistungen.
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