Gentherapie
Bei der Gentherapie wird versucht, Gene in Zellen eines erkrankten Organismus einzubringen, damit sie dort Defizite beheben und über diesen Weg einen Gendefekt und dadurch bedingte Fehlfunktionen des Körpers kompensieren. Die Gentherapie kann verschiedene Strategien verfolgen: So wurde ursprünglich vermutet, dass sich vor allem Erkrankungen, die auf der Fehlfunktion eines bestimmten Gens beruhen, wie beispielsweise bei der Hämophilie A oder B also so genannte monogenetische Erkrankungen, besonders gut für eine Gentherapie eignen. Inzwischen laufen rund 5 000 klinische Gentherapiestudien, wobei der Anteil der monogenetischen Erkrankungen jedoch gering ist.
Denn Erkrankungen, die auf einem umschriebenen Gendefekt beruhen, sind eher selten. Weit häufiger sind Störungen, die auf Fehlfunktionen mehrerer oder gar vieler Gene oder auf Unzulänglichkeiten bei deren Steuerung und ihrem Zusammenspiel beruhen. Es handelt sich um Störungen mit polygenetischem Hintergrund. Beispiele hierfür sind Autoimmunerkrankungen, Herz-Kreislauferkrankungen, Krebserkrankungen oder auch Allergien. Sie stellen regelrechte Volkskrankheiten dar und zeichnen für die überwiegende Mehrzahl der Todesfälle in der westlichen Welt verantwortlich.
Bei solchen Krankheiten kann der zu Grunde liegende Defekt wohl auch durch eine Gentherapie nicht behoben werden. Es kann jedoch versucht werden, durch das Einbringen von Genen oder auch durch die Modulation der körpereigenen Gene und ihrer Funktion, regulierend in das entgleiste System einzugreifen.
In vivo oder ex vivo
Grundsätzlich unterscheidet man verschiedene Ansätze und zwar die In-vivo- sowie die Ex-vivo-Gentherapie. Im ersten Fall werden dem Patienten Zellen entnommen, und diese werden außerhalb des Körpers manipuliert und nach der gentherapeutischen Veränderung wieder in den Organismus eingebracht. Im zweiten Fall erfolgt die Gentherapie dagegen direkt im Organismus. Über spezielle Vektoren werden die Gene in die Körperzellen eingeschleust, in der Hoffnung, dass sie dort wie in normalen Körperzellen exprimiert werden und normale Zellfunktionen übernehmen.
Im Tierversuch lassen sich solche Hoffnungen bereits über weite Bereiche realisieren, wie Dr. Leonhard Mohr von der Medizinischen Universitätsklinik Freiburg bei der diesjährigen Gastroenterologie-Seminarwoche der Falk-Foundation in Titisee darlegte. Beim Menschen sieht das jedoch ganz anders aus.
Einen empfindlichen Rückschlag hat die Gentherapie außerdem durch den Todesfall eines jungen Mannes erlebt, der im Rahmen eines gentherapeutischen Heilversuchs verstarb. Seitdem hat die Diskussion um die Sicherheit des Verfahrens eine neue Dimension erhalten.
Suche nach geeigneten Vektoren
Grundlegende Probleme macht bei der Entwicklung gentherapeutischer Verfahren vor allem die Frage, wie es gelingt, die gewünschten Gene in die Zielzellen und dort zur Expression zu bringen. Bei Erkrankungen wie der Hämophilie soll das entsprechende Gen am besten dauerhaft in das Genom der Zielzellen inseriert werden, damit die betroffenen Patienten möglichst lebenslang von dem Defekt der Blutgerinnung befreit werden. Es wird in solchen Fällen deshalb nach Vektoren gesucht, die sich stabil in das Genom der Zielzelle integrieren.
Bei anderen Erkrankungen kann es unter Umständen ausreichend sein, wenn die eingebrachten Gene über einen gewissen Zeitraum aktiv sind. Eine solche Therapie könnte zum Beispiel bei Krebserkrankungen zum Tragen kommen, etwa wenn es gelingt, zellschädigende Gene direkt in Tumorzellen zu inserieren und diese damit zum Absterben zu bringen. Eine dauerhafte Integration des Gens ist in solchen Fällen nicht Voraussetzung, da die Tumorzelle im Idealfall durch das eingebrachte Gen rasch zum Absterben gebracht wird.
Nicht-virale Vektoren
Bekannt geworden und weit verbreitet sind vor allem Versuche, mit Hilfe von viralen Vektoren Gene in Zielzellen einzuschleusen. Allerdings gibt es durchaus auch Möglichkeiten für nicht-virale Vektoren. So kann zum Beispiel auch versucht werden, mit reiner DNA (Desoxyribonukleinsäure, Grundlage der Erbsubstanz) zu arbeiten. Diese kann aus Zellen gewonnen, moduliert und dann mittels Injektion wieder in Zellen gebracht werden. Die Effizienz des Verfahrens aber ist bislang gering und es wird auf unterschiedlichem Wege versucht, sie zu steigern, sei es durch das Beschichten kleiner Partikel mit der freien, gentechnisch veränderten DNA, sei es durch die Injektion unter hohem Druck.
DNA-Vakzinierung
Therapeutisch genutzt wird das Einschleusen freier DNA bei der so genannten DNAVakzinierung. Dabei wird DNA, die für ein bestimmtes Antigen kodiert, intramuskulär injiziert. Dadurch gelangt – trotz geringer Effizienz – doch ein gewisses Maß an DNA in den Organismus. Die Menge reicht aus, um das Immunsystem gegen das entsprechende Antigen zu mobilisieren und eine Immunantwort zu induzieren.
Das Verfahren eignet sich deshalb bei all jenen Erkrankungen, bei denen das Immunsystem vom Prinzip her aus eigener Kraft in der Lage sein sollte, mit bestimmten Antigenen fertig zu werden, bei denen das jedoch aus meist unbekannten Gründen nicht geschieht und der Organismus krank wird. Dann kann es hilfreich sein, durch das Einbringen des betreffenden Antigens dessen Konzentration soweit zu erhöhen, dass die körpereigene Immunabwehr „anspringt“, eine Strategie, die Ähnlichkeit mit der beim Impfen hat, weshalb das Verfahren auch den Namen DNA-Vakzinierung erhielt.
Liposomen als Vektoren
Als nicht-viraler Vektor können außerdem Liposomen fungieren. Es handelt sich um (meist positiv) geladene Partikel (kationische Liposomen), die mit DNA beladen werden und auf Grund ihrer elektrischen Ladung mit Zellmembranen in Wechselwirkung treten können. Die elektrostatische Interaktion hat zur Folge, dass die Liposomen samt der DNA, die sie tragen, in die jeweilige Zelle aufgenommen werden, ein Verfahren, das als Transfektion bezeichnet wird.
Ein Nachteil ist, dass die Liposomen, anders als Viren, die Transfektion nicht gezielt, beispielsweise über bestimmte Rezeptoren auf der Zellmembran, vermitteln. Das Verfahren ist dadurch weniger selektiv und damit auch weniger effektiv. Andererseits sind die Liposomen in nahezu beliebiger Menge verfügbar, was ein deutlicher Vorzug gegenüber viralen Vektoren ist. Noch sind die viralen Vektoren hinsichtlich der Effizienz des Gentransfers überlegen. Die genannten Vorteile machen die nicht-viralen Vektoren aber zunehmend zu einer attraktiven Alternative für die Gentherapie.
Virale Vektoren
Bei den meisten Protokollen zur Gentherapie werden virale Vektoren eingesetzt. Dabei nutzt man die besondere Struktur der Viren. Diese bestehen in aller Regel aus einem DNA- oder einem RNA-Faden, der zum Teil in eine spezielle Virushülle eingebettet ist. Viren können – das ist jedermann aus eigener Erfahrung bekannt – leicht in den Körper eindringen und dessen Zellen infizieren. Bestimmte Viren suchen dabei gezielt bestimmte Körperzellen auf, eine Eigenschaft, die man sich in der Gentherapie beim Gentransfer zu Nutze macht. Denn in den viralen DNA-Faden könnten gezielt Gene eingebaut und über eine provozierte „Infektion“ in Körperzellen eingeschleust werden.
Schließlich bringen viele Viren auch bei der normalen Infektion ihre ureigensten Gene in die Körperzellen und hier sogar in die Erbinformation des Menschen, den sie infizieren, ein. Sie bieten damit anscheinend optimale Voraussetzungen dafür, genetisch manipuliert zu werden und Gene in Körperzellen zu transportieren.
Allerdings müssen die Viren zuvor so manipuliert werden, dass sie nicht nur das gewünschte Gen tragen, sondern sich zusätzlich nicht – wie beispielsweise ein Wild-Typ-Virus – in der infizierten Körperzellen vermehren und anschließend zahlreiche weitere Zellen infizieren können. Eine solche Infektion wäre unkontrolliert und nicht mehr steuerbar. Die Viren sollen vielmehr nur als „Verpackung“ für das zu transportierende Gen dienen und diesem den Weg in die jeweilige Körperzelle weisen und erleichtern.
Obwohl diese Strategie schon seit Jahren verfolgt wird, wurde ein Problem bislang nicht gelöst. Mit dem Eindringen der viralen Vektoren wird in aller Regel das Immunsystem des Organismus aktiviert, das in den Viren logischerweise fremde und potenziell schädigende Eindringlinge erkennt, die es zu bekämpfen gilt.
Retroviren und Lentiviren
Verbreitet als virale Vektoren sind Retroviren. Das sind Viren, die aus RNA (Ribonukleinsäure, das ist die Nukleinsäure, die von der DNA abgelesen wird) bestehen und von einer Lipidhülle umgeben sind. Die Retroviren infizieren allerdings nur Zellen, die sich in Teilung befinden. In diesen wandeln sie mit Hilfe eines vom Virus selbst mitgebrachten Enzyms, der Reversen Transkriptase, die RNA in DNA um und integrieren sie in das zelluläre Genom. Es kommt dadurch zu einer kontinuierlichen Genexpression, was die Retroviren für den Gentransfer und die Gentherapie attraktiv macht. Nachteilig ist allerdings, dass nur sich teilende Zellen infiziert werden. Erste Versuche laufen jedoch mit diesen Vektoren und das durchaus erfolgreich, wie Fallberichte von zwei Kindern mit einem sehr seltenen Immundefekt zeigen. Die Kinder wurden mit einer Exvivo-Gentherapie bei Knochenmarks-Stammzellen behandelt, wobei ein Gen, das für die Expression eines Zytokins verantwortlich zeichnet, eingeschleust wurde. Dies führte zu einer deutlichen Besserung der Immunabwehr, so dass die zuvor isolierten Kinder wieder in einer normalen Umgebung leben können.
Anders als die Retroviren können so genannte Lentiviren auch als Vektoren für den Gentransfer in sich nicht teilenden Zellen genutzt werden. Dies geschieht bei den Lentiviren bevorzugt in den Zellen des zentralen Nervensystems, die Effizienz beim Versuch eines Gentransfers in Muskel- oder Leberzellen ist dagegen gering. Im Mausmodell wird deshalb mit den Lentizellen primär versucht, eine Gentherapie bei neurologischen Erkrankungen, wie der Parkinsonschen Krankheit, zu etablieren. Problematisch aber ist, dass die Lentiviren sich von den HIV-Viren ableiten, weshalb strengste Sicherheitsvorkehrungen erforderlich sind, um eine Kontamination mit lebensfähigen, sich möglicherweise noch replizierenden Viren zu vermeiden.
Adenoviren und Adeno-assoziierte Viren
Bei den Adeno-assoziierten Viren (AAV) handelt es sich um Parvoviren, die für ihre Vermehrung Adenoviren als Helferviren benötigen. Die AAV eignen sich zum Gentransfer in proliferierende wie auch nicht proliferierende Zellen, und zwar bevorzugt bei Muskel-, Leber- und Nervenzellen. Sie sind nach Mohr nicht zuletzt deshalb als Vektoren beliebt, weil sie für den Menschen nicht pathogen sind; sie rufen auch keine relevante Immunantwort hervor, da sie nicht für virale Proteine kodieren. Tierexperimente belegen zudem, dass mit den AAV eine dauerhafte Inkorporation von Genen möglich ist, und es gibt bereits eine erste klinische Studie bei Hämophilie-Patienten, bei denen zumindest die Schwere der Erkrankung gemildert werden konnte. Nachteilig bei den AAV ist allerdings, dass sie Helferviren brauchen, die dann ihrerseits Immunreaktionen auslösen können.
Auch Adenoviren selbst werden zunehmend als Genvektoren genutzt, da sie unterschiedlichste Zelltypen transfizieren. Obwohl sich das Virus selbst im Organismus nicht vermehrt, bildet es dennoch virale Proteine, die zu erheblichen Immunreaktionen führen können – ein Nachteil, der die Anwendung limitiert. Hinzu kommt, dass die Adenoviren sich anders als die Retrooder Lentiviren nicht dauerhaft in das Genom der Zielzelle einbauen, was zur Folge hat, dass das eingebrachte Gen nur für eine begrenzte Zeit aktiv ist. Die Gentherapie muss damit regelmäßig wiederholt werden, was jedoch die Bildung neutralisierender Antikörper provoziert und so die Effizienz in Frage stellt. Eingesetzt werden Adenoviren deshalb nach Angaben des Freiburger Mediziners derzeit im experimentellen Bereich, und zwar vor allem bei der lokalen Tumor-Gentherapie, die darauf abzielt, Tumorzellen zum Absterben zu bringen.
Gentherapie schon im Mutterleib
Parallel zu den Bemühungen, eine „traditionelle“ Gentherapie zu etablieren, arbeiten Forscher um Privatdozent Dr. Holm Schneider aus Erlangen-Nürnberg auch an Versuchen einer Gentherapie im Mutterleib. Rational hierfür ist die Vorstellung, durch einen so frühzeitigen Therapiebeginn mögliche Entwicklungsschäden des Embryos noch abwenden zu können. Denn Erbkrankheiten führen, so Holm in der Zeitschrift TargetForum, häufig schon in der frühen Kindheit zu irreparablen Organschäden. Gehen sie bereits zum Geburtszeitpunkt mit einer erhöhten Morbidität und Mortalität einher, so muss nach Holm zwangsläufig eine Intervention in utero erwogen werden.
Der Mediziner hält die pränatale Situation für den besten Zeitpunkt, um eine lebenslange dauerhafte Produktion eines therapeutischen Genproduktes initiieren zu können, da die DNA vom Feten wahrscheinlich besser aufgenommen wird und auch weniger Immunreaktionen gegen Vektoren oder Genprodukte hervorgerufen werden. Die geringe Größe des Feten sollte es außerdem ermöglichen, mit nur geringen Vektormengen klar zu kommen.
Allerdings handelt es sich nach Holm bei der Gentherapie in utero um ein Konzept, das intensiv an Versuchstieren geprüft werden muss, ehe eine Anwendung beim Menschen erwogen werden kann. Denkbar wäre jedoch die Behandlung lebensbedrohlicher Erbkrankheiten, wie etwa der zystischen Fibrose (Mukoviszidose), da diese schon bei der Entwicklung im Mutterleib gravierende Schädigungen bedingt. Auch bei der Hämophilie könnte die Gentherapie in utero nach der derzeitigen Vorstellung eine Heilung bewirken, wenn es gelingt, das entscheidende Gen in die Körperzellen zu inserieren. Solche Ansätze sind nach Holm bislang aber kaum mehr als ärztliche Visionen, von einer Anwendung beim Menschen ist die Forschung noch weit entfernt.